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Mailands Bürgermeisterin Letizia Moratti muss um ihre Wiederwahl fürchten, trotz der massiven Hilfe von Silvio Berlusconi im Wahlkampf.

Foto: Giuseppe Aresu/AP/dapd)

Wie lange braucht wohl ein Wähler in Turin, um unter 1500 Kandidaten auf 37 Listen den bevorzugten anzukreuzen und den Stimmzettel dann wieder auf die Originalgröße von 64 Zentimetern zu falten?

Nie war der Run auf Gemeinderäte und Provinzparlamente verrückter als an diesem Wochenende, wenn zwölf Millionen Italiener in 1340 Gemeinden und elf Provinzen zur Wahl aufgerufen sind. Allein in 30 Provinzhauptstädten bewerben sich über 20.000 Kandidaten um einen Sitz im Gemeinderat. Die Zahl der Listen hat mit 629 wahnwitzige Rekordhöhe erreicht.

Seit Silvio Berlusconi die Politik zur Reality-Show umfunktioniert hat und Showgirls, Höflinge und Mitläufer mit Posten belohnt, gilt Politik als einträgliche Karrieremöglichkeit.

Besonders anschaulich demonstriert werden die Wahlkampf-Exzesse in der Provinzhauptstadt Latina südlich von Rom, die sonst bestenfalls mit Camorra-Fehden für Schlagzeilen sorgt: Transparente an den Balkonen, Riesenplakate auf Terrassen und in Gärten, Aufkleber an den Heckscheiben der Pkws und an Autobussen. Bündelweise quillt Wahlwerbung aus Briefkästen, werden Faltprospekte unter Scheibenwischer geschoben. Auf dem Stimmzettel stehen 26 Listen mit fast 800 Kandidaten - vom Fleischhauer bis zum Schulwart.

Spannung versprechen die Wahlen vor allem in den Großstädten Mailand, Turin, Neapel und Bologna.

Trotz ihres zehn Millionen Euro schweren Wahlkampfs muss Mailands Bürgermeisterin Letizia Moratti um ihre Wiederwahl bangen. Eine Niederlage in der Hochburg des Rechtsbündnisses gilt Berlusconi als absoluter Albtraum. Daher kandidiert er in seiner Heimatstadt sogar als Listenerster und drückt dem aggressiven Wahlkampf seinen Stempel auf.

Wie gewohnt gestaltet der Cavaliere den Urnengang zu einer Volksabstimmung, zu einem Plebiszit über seine eigene Person: "Wählt mich, wenn ihr mich liebt!" Kommunalpolitische Themen ignoriert der Cavaliere, er beschwört lieber seine altbewährten Obsessionen: die Staatsanwälte als "Krebsgeschwür der Demokratie", die Kommunisten als "Gefahr für die Freiheit", den "anthropologischen Unterschied" zwischen links und rechts. Die Linken attackiert er als "ungewaschene Grantler". Seine Partei erwähnt er kaum - nur er, Silvio, selbst steht im Scheinwerferlicht.

Der Feind im eigenen Lager

Berlusconis Selbstherrlichkeit schmeckt dem Koalitionspartner Lega Nord schon seit längerem nicht mehr. In zahlreichen Städten des Nordens tritt die Lega daher mit eigenen Listen an.

In Neapel, wo aus dutzenden Müllbergen schwarzer Rauch in den Himmel steigt, ließ Berlusconi das Heer anrücken, um bis zum Wahltag wenigstens einen Teil des Mülls wegzuräumen. Den Wählern der Hafenstadt erklärte er den Grund des Notstands so: "Linke Staatsanwälte haben rechtzeitig zur Wahl mehrere Deponien beschlagnahmt." Auch mit einem weiteren Wahlgeschenk wirbt der Premier in der süditalienischen Metropole: Der Abriss der allgegenwärtigen illegalen Bauten soll eingestellt werden.

In Neapel und Mailand muss Berlusconi um jeden Preis im ersten Wahlgang siegen, um seiner wackeligen Regierung den Rücken zu stärken. Der Tonfall der Auseinandersetzung erinnert freilich eher an Bürgerkrieg als an Wahlkampf. Der Corriere della Sera ortet "pathologische Streitsucht unter Kampfhähnen": "Sachthemen fallen unter den Tisch, im Vordergrund steht einmal mehr der Kampf für und wider Berlusconi."

Auch Mailands Bürgermeisterin, die ihre "bürgerliche Ausgewogenheit" anpreist, ließ sich hinreißen: In einer TV-Diskussion warf sie ihrem Rivalen Giuliano Pisapia (siehe Seite 3) vor, in seiner Jugend wegen Autodiebstahls verurteilt worden zu sein. Der Schuss ging nach hinten los: Die Anschuldigung erwies sich als falsch. Grund zur Entschuldigung sah Moratti dennoch nicht. (Gerhard Mumelter aus Rom, STANDARD-Printausgabe, 14./15.5.2011)