Schweizer gelten im allgemeinen als sehr schmackhaft. Das dürfte an der Fütterung liegen. Daher überraschte auch die Meldung der "Presse" vom Donnerstag nicht: Kannibale wollte Schweizer essen. Überraschender war da schon, dass ausgerechnet "Die Presse" kulinarische Correctness insofern vermissen ließ, als allein der Wille, einen Schweizer zu essen, noch niemanden zum Kannibalen macht, selbst wenn der Besitzer eines derart verwöhnten Gaumens aus dem Raum Kosice in der Ostslowakei kommen soll. Es ist ja auch nicht jeder, der fünfzig Austern auf einmal verdrücken will, gleich ein Brillat-Savarin.

Noch überraschender war freilich die Tatsache, dass die "Kronen Zeitung" von der geplanten Mahlzeit nichts vermeldete, obwohl der Feinschmecker aus dem Raum Kosice in der Ostslowakei kommen soll. Macht es sich das Blatt doch zur freiheitlichen Ehrensache, die Verdienste osteuropäischer, unter Umständen auch türkischer oder afrikanischer Ausländer prinzipiell detailliert zu würdigen, wenn sie anderen, in welcher Form auch immer, zu Leibe rücken. Das war diesmal besonders schade, musste doch jedem "Krone"-Redakteur schon die in der "Presse" beschriebene Mise en Place des 43-Jährigen, der aus dem kleinen Dorf Sokol unweit von Kysak stammte, das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen: Zuerst das Opfer betäuben, durch einen Messerstich ins Herz töten, zerstückeln und in kleinen Happen verspeisen. Was hätte ein "Krone"-Reporter daraus gemacht!

Und wie hätte ihn erst die verantwortungsvoll geplante Lagerung des Speiseguts journalistisch beflügelt! Die Leiche wollte er an einem vorbereiteten Ort im Wald verstecken und mit Pfeffer bestreuen, um Tiere von ihr abzuhalten, bis er für den nächsten Happen zu dem Versteck käme. Da liegt endlich einmal nicht der Hase, sondern ein Schweizer im Pfeffer, und die "Krone" verpasst eine solche Chance! Das wäre ihr niemals passiert, hätte es sich um einen Wiener gehandelt, egal, ob als Happen oder als Kannibale. Das sind eben die Nachteile eines übertriebenen Lokalpatriotismus: Man muss dem Weltblatt "Presse" das gastronomische Feld überlassen.

Zum Glück der Dichands aber nicht ganz. "Heute" rettete die Familienehre mit einem bildunterstützten Text unter dem Titel: Hier liegt ein Kannibale, der einen Schweizer essen wollte. Da war es schon geschehen: Der Kannibale - übrigens ein Arbeiter (43) aus Kosice - wurde beim Polizei-Einsatz angeschossen. Und das, obwohl gar nicht aufgetischt wurde. Über den Schweizer ließ sich "Die Presse" von Polizeipräsident Jaroslav Spisiak deuten, dass er möglicherweise gar nicht wirklich sterben wollte, sondern die ganze Vereinbarung für einen makabren Scherz gehalten haben könnte. Möglicherweise! Der Schweizer ist eben schwer zu durchschauen - oder fand er sich diesfalls selbstkritisch nur zu schwer zu durchkauen? Jedenfalls immer für einen makabren Scherz gut, wie wir seit langem aus "Wilhelm Tell" und seit neuestem auch aus der "Presse" wissen.

Man muss aber nicht aus dem Raum Kosice in der Ostslowakei kommen, um feinstem Kannibalismus, wenn auch anderer Art, zu frönen. Christian Ortner frisst nicht nur in der "Presse", sondern als Relikt aus Andreas Unterbergers Zeiten auch in der "Wiener Zeitung" seit Jahren alles mit Haut und Haar, mit oder ohne Pfeffer, was seine Zwangsvorstellungen über die Sinnhaftigkeit von Privatisierungen nicht teilt. Opfer dieses Kannibalismus ist diese Woche - doch ein wenig überraschend - Karl-Heinz Grasser geworden. Dabei hat es der Mann ohnehin schwer genug. In einem Gutachten über seine Diplomarbeit stellte die Uni Klagenfurt nun fest, es fänden sich darin 34 Fehler in der wissenschaftlichen Vorgangsweise, 37 Literaturhinweise seien falsch gekennzeichnet - für die Gutachter ein Beweis, dass kein Plagiat vorliegt.

So sanft ging Ortner nicht mit ihm um, als er ihm die Fratze des Neoliberalismus zeigte. Nicht zuletzt dem eigentümlich buntscheckigen Freundeskreis rund um den ehemaligen Finanzminister Karlheinz "Es gilt die Unschuldsvermutung" Grasser ist zu verdanken, dass ein öffentliches Bekenntnis zur Privatisierung von Staatsbetrieben in Österreich derzeit ungefähr so viel Ansehen verschafft wie die nachgewiesene Mitgliedschaft bei einer transnistrischen Mädchenhändler-Bande. Wenn Privatisierung eher als eine Art von Wirtschaftsdelikt denn als eine Art von Wirtschaftspolitik gelte, sei das das Vermächtnis des Karl-Heinz Grasser. Aber nur, weil er aufgeflogen ist. (Günter Traxler/DER STANDARD; Printausgabe, 14./15.5.2011)