New York - Die Festnahme des Chefs des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn, in New York droht den Fahrplan zur Bewältigung der Schuldenkrise in der Eurozone durcheinanderzubringen. Strauss-Kahn war am Samstag am John F. Kennedy Airport aus dem Flugzeug geholt worden. Dem 62-Jährigen wird zur Last gelegt, eine Hotelangestellte in New York belästigt zu haben. Die Anklage lautet auf sexuelle Nötigung, versuchte Vergewaltigung und Freiheitsberaubung. Strauss-Kahn bestreitet nach Angaben seines Anwalts die Vorwürfe. Im Verhör mit dem zuständigen Richter werde er auf unschuldig plädieren.

Strauss-Kahn hätte am Sonntag mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel in Berlin über neue Hilfen für Athen beraten wollen. Heute Montag wäre er in Brüssel erwartet worden, wo die EU-Finanzminister das Rettungspaket für Portugal beschließen und über Anschlusskredite für Griechenland debattieren wollen. Der IWF trägt die Hilfen für die klammen Euroländer zu einem Drittel mit.

Beratungen über neue Hilfen werden nun von einer Debatte über die Nachfolge des Franzosen überlagert. Griechenland warnte am Sonntag bereits vor Verzögerungen. Ein Regierungssprecher erklärte aber, dass begonnene Reformen umgesetzt würden, ein Privatisierungsschub kommt.

***

Wäre der Anlassfall für die allerjüngsten Turbulenzen nicht so brutal, müsste Jean-Claude Juncker in Brüssel frei nach Friedrich Torbergs Tante Jolesch wohl aufstöhnen: Wennst kein Glück hast, ist das Pech auch nicht weit.

Vor einer Woche war ein "Geheimtreffen" der Finanzminister der großen Eurostaaten bei ihm in Luxemburg aufgeflogen. Seither wurde der Chef der Eurogruppe nicht fertig mit Dementis, dass eine Umschuldung Griechenlands oder gar ein Austritt aus der Währungsunion kein Thema sei.

Für heute Montag lag eigentlich das 78 Milliarden Euro schwere Hilfspaket von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) für Portugal fertig zur Verabschiedung auf dem Verhandlungstisch der EU-Finanzminister. Italien hatte angekündigt, mit Mario Draghi offiziell den von Frankreich, Deutschland und Großbritannien mitgetragenen Kandidaten für die Nachfolge des Chefs der Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, auf den Weg zu bringen (siehe Bericht unten).

Neuer IWF-Chef gesucht

Die Verhaftung von IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn wegen angeblich versuchter Vergewaltigung einer Hotelangestellten in New York wird all das wohl in den Schatten stellen, wenn sich sämtliche Finanzspitzen Europas am Nachmittag im Justus Lipsius, dem Ratsgebäude der EU in Brüssel, zusammenfinden. Strauss-Kahn hätte eigentlich dabei sein sollen.

Die Absicht des französischen Sozialisten, bei den Präsidentenwahlen nächstes Jahr gegen Nicolas Sarkozy anzutreten, hätte ohnehin bald dazu führen müssen, dass man sich über einen Nachfolger an der IWF-Spitze verständigt. Der Chefsessel steht traditionell den Europäern zu, während die USA in der Regel den Chef der Weltbank stellen.

Unter den gegebenen Umständen dürfte die Debatte, wer Strauss-Kahn nachfolgen könnte (sein vorzeitiger Abgang nach Frankreich war erst für Ende des Jahres angepeilt) wohl vorgezogen werden müssen. Anspruch darauf hat der britische Premierminister David Cameron angemeldet. Gute Chancen wurden aber auch der französischen Finanzministerin Christine Lagarde zugemessen. Interimistisch übernimmt Strauss-Kahns Stellvertreter John Lipsky den Spitzenposten.

Hilfspaket für Portugal steht

Aber solche Personalturbulenzen sind eher klimatischer Natur. Direkte Auswirkungen auf Inhalt und Umsetzung der Hilfsprogramme für Griechenland, Portugal und Irland werden sie nach übereinstimmender Ansicht von Experten jedenfalls keine haben. Nicht zufällig hat der IWF sofort nach der Verhaftung Strauss-Kahns in einer Aussendung betont, dass die Arbeit des Instituts ohne Einschränkung weitergehe.

Das Hilfspaket für Portugal ist bereits seit zwei Wochen im Kern fertig geschnürt. Die EU-Kommission hat in den vergangenen Tagen noch einige offene Detailfragen geklärt: Das Land bekommt bis 2013 insgesamt 78 Milliarden Euro an Kredithilfen, von denen 26 Milliarden vom IWF stammen.

Dafür muss die künftige portugiesische Regierung ein hartes Fiskalsparpaket umsetzen, den staatlichen Sektor kräftig zurückstutzen und die Löhne senken sowie Privatisierungen vornehmen.

Es ist davon auszugehen, dass in der Eurogruppe kein Land gröbere Einwände erhebt. Nachdem der zuständige Ausschuss des finnischen Parlaments sich Freitag mit großer Mehrheit für die Portugal-Hilfe ausgesprochen hat, wird es in der Eurogruppe grünes Licht geben. Mitte Juni wird die erste Tranche von etwa neun Milliarden Euro nach Portugal fließen.

Griechen privatisieren mehr

Anders die Lage mit Griechenland. Das Land braucht bald ein zweites Hilfspaket aus dem Eurorettungsfonds (EFSF), weil das erste von Mai 2010 nicht ausreicht. Es war von den Eurostaaten als Kredithilfe damals noch bilateral gegeben worden.

Wie es in Brüssel heißt, werde die Eurozone weitere Kredite auch gewähren bzw. eine deutliche Fristerstreckung für die Rückzahlung von Verbindlichkeiten, ohne schnelle Umschuldung. Die Griechen müssten dafür aber ihr Privatisierungsprogramm beschleunigen. Der Staat besitzt allein 340 Milliarden an Immobilienvermögen.

Premierminister Giorgos Papandreou kündigte bereits an, dass Privatisierung von Staatsvermögen ab nun "erste Priorität" habe. 50 Milliarden will man bis 2015 erlösen. Sein Land werde beweisen, dass es in der Lage sei, die Schulden zu bedienen. EZB-Chef Trichet betonte am Wochenende, der Euro sei als Währung "stabil und glaubwürdig. Was wir derzeit in einigen Ländern beobachten, ist in erster Linie eine Schuldenkrise der öffentlichen Haushalte". (Thomas Mayer, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 16.5.2011)