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Der Fall des berühmten chinesischen Konzeptkünstlers Ai Weiwei (Bild) hat im Ausland für Aufsehen gesorgt - um einen Einzelfall handelt es sich nicht. Pekings Behörden geraten in Erklärungsnot.

Foto: REUTERS/Grace Liang/Files

Nach 42 Tagen durfte die Frau des verschleppten chinesischen Künstlers Ai Weiwei, Lu Qing, ihren Mann erstmals sehen. Was die Behörden ihm vorwerfen, bleibt weiter im Dunkeln. Die Familie fordert Klarheit.

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Ai Weiweis Frau Lu Qing wusste nicht, was sie erwartete, als sie zum Polizeirevier im Künstlerviertel Caochangdi bestellt wurde. Immer wieder hatte sie dort vorgesprochen, seitdem der weltbekannte Konzeptkünstler am 3. April auf dem Pekinger Airport kurz vor seinem Abflug polizeilich verschleppt worden war. Lu Qing bat um ein Lebenszeichen ihres Mannes. Sie wollte ihn nur einmal sehen, selbst wenn sie nicht mit ihm sprechen dürfte.

Die Beamten reagierten nicht. Sie wüssten selbst nichts, könnten auch keine Kleidung oder Medikamente für den an hohem Blutdruck und Diabetes leidenden 53-Jährigen entgegennehmen. Sie würden über Lu Qings Anfragen Meldung nach oben machen. 42 Tage hielten die Behörden die Frau so hin. Es war, sagte sie Ai Weiweis Schwester Gao Ge, als ob "wir gegen eine Wand reden".

Keine Folter

Am Sonntag öffnete sich plötzlich eine Tür. Gao Ge berichtet dem Standard, wie Lu Qing auf dem Revier erfuhr, sie werde jetzt sofort zu ihrem Mann gefahren. "Ich konnte in dem Moment an nichts mehr denken. Mein Kopf war völlig leer", sagte sie nach ihrer Rückkehr zur Schwester, die mit Ai Weiweis 79 Jahre alter Mutter zusammenlebt.

Die Familie atmete auf. Gerüchte, wonach Ai Weiwei gefoltert wurde, entpuppten sich als unwahr. Er durfte zwar weder über seine Haftbedingungen noch seine Verhöre Auskunft geben. Aber er konnte seiner Frau sagen, dass er nicht gefoltert oder geschlagen wurde. Ai Weiwei habe gesund und unverändert ausgesehen. Als das Treffen nach rund zehn bis 15 Minuten endete, hätte sie "nicht gewusst, worum es in seinem Fall geht, wo er inhaftiert ist. Er wiederum weiß nichts davon, was außen alles passiert."

Warnung von der Polizei

Die Polizei hatte Frau Lu Qing bei der Fahrt zum unbekannten Treffpunkt, wohin auch ihr Mann gebracht wurde, davor gewarnt, über anderes als Familie und Gesundheit zu reden. Beide hätten sich an einem Tisch gegenübergesessen. Polizisten überwachten ihr Gespräch, nahmen alles auf. Ihr Mann wäre ruhig und gefasst geblieben, bis auf bewegte Momente, als es um sein Kind oder seine Mutter Gao Ying ging, und als er hörte, wie eng die Familie zusammenhalte.

Er bekomme Kleidung und Medikamente gestellt, die er brauche. Die Familie dürfe nichts für ihn abgeben. Nach dem Abschied wurde ihr nicht gesagt, ob es ein weiteres Treffen gibt. "Wir sind alle erleichtert, dass es ihm gutgeht", sagt Gao Ge. "Wir wollen aber jetzt, dass ein Verfahren eingeleitet wird. Damit wir endlich wissen, woran wir sind."

Nachrichten über das Treffen wurden im Internet blockiert. Nur über Mikroblogs konnten sich Anwälte und Freunde Ai Weiweis informieren. Sie wunderten sich über die "delikate Zusammenkunft, die mit Recht und Gesetz nichts zu tun hat". Das Treffen sei aber ein "kleiner Fortschritt".

Pekings Behörden stehen unter Druck des Auslands, ihre rechtsbeugenden Verfolgungen von Bürgerrechtlern, Anwälten und Journalisten zu erklären. Im Fall Ai Weiwei reißen internationale Proteste nicht ab. Sie begleiten die Ausstellungen seines Werkes, das derzeit in Berlin, London, New York und im Juli in Österreich, im Herbst auf Taiwan und in Südkorea gezeigt wird. Anfang Mai fragte Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann gleich mehrfach Premier Wen Jiabao nach Ai Weiwei und erhielt ausweichende Antworten.

Pekings höchste Politiker erweckten den Anschein, als ob sie von ihren Sicherheitsbehörden nicht informiert werden. Diese verfahren mit Ai Weiwei offenbar so wie anfangs mit dem später zu elf Jahren Haft verurteilten Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo: Am 8. Dezember 2008 schleppte die Polizei den Charta-08-Verfasser aus seiner Wohnung und setzte ihn in einem ihrer geheimen Zivilgebäude monatelang fest. Im Februar 2009 durfte ihn seine Frau Liu Xia zum ersten Mal an einem von Sicherheitsbehörden arrangierten Ort treffen. Nach einer weiteren "Begegnung" dauerte es bis zum 23. Juni 2009, bevor Liu Xiaobo in offizielle Untersuchungshaft genommen wurde. (Johnny Erling aus Peking, STANDARD-Printausgabe, 17.5.2011)