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In den vergangenen paar Jahrhunderten hat der Mensch das Gesicht der Erde markant verändert. Hier im Bild: Die Cadia Goldmine in Orange, Australien.

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Grafik: Veränderungen der Biosphäre durch den Menschen im Laufe der Jahrhunderte.

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Foto: Riemann Verlag

London - Dass der Homo sapiens in den letzten paar hundert Jahren das Antlitz der Erde verändert hat, ist schwerlich zu leugnen. Doch reichen seine Auswirkungen buchstäblich so tief, dass gleich ein ganzes geologisches Zeitalter nach ihm benannt werden soll? Und wenn ja: Wann hätte das Anthropozän begonnen?

Unumstritten ist nur, seit wann der Begriff in der Wissenschaftswelt im allgemeinen Gebrauch ist: Im Jahr 2000 verwendete ihn der niederländische Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen in einem Fachartikel das erste Mal und fasste in späteren Texten mit Kollegen zusammen, wie sehr der Mensch die Biosphäre verändert habe. Vergangene Woche diskutierten Fachleute bei einer Tagung der Londoner Geologischen Gesellschaft, was für den Begriff spricht.

Eines der zentralen Argumente, das auf der Londoner Tagung vorgebracht wurde: Waren vor 500 Jahren noch mehr als 50 Prozent der eisfreien Landmasse unseres Planeten unberührte Wildnis, ist deren Anteil auf ein Viertel gesunken (siehe Grafik). Außerdem bewege der Mensch mittlerweile um ein Vielfaches mehr Gestein und Erde, als die Natur es tut.

Es gebe aber auch Widerstand gegen das Konzept, wie Christian Schwägerl auf Nachfrage des Standard sagt. Der deutsche Wissenschafts- und Umweltjournalist war gewissermaßen in doppelter Mission in London: einerseits als Spiegel-Redakteur, andererseits aber auch als einer der profiliertesten Verfechter der Idee - nicht zuletzt durch sein 2010 erschienenes Buch Menschenzeit. Zerstören oder gestalten? (Riemann Verlag).

Schwägerl hält es für wichtig, dass das Anthropozän nicht nur ein metaphorischer Begriff bleibt, "der in den nächsten Jahren , Nachhaltigkeit' im öffentlichen Diskurs ablösen könnte". Deshalb wäre eine offizielle Anerkennung durch die Geologen wünschenswert, was bei den Fachleuten aber auch ein gewisses Umdenken erfordern würde. Es sei nämlich das erste geologische Zeitalter, das quasi vom Namensgeber bewusst gestaltet werden kann. Der Begriff solle jedenfalls nicht "die Summe aller Umweltschweinereien bedeuten", sondern darauf hinweisen, dass wir es selbst in der Hand haben, Veränderungen der Biosphäre bewusst zu verhindern.

Zu klären ist aber auch noch, wann das Anthropozän begann - zumal im Vergleich zum erst 11.700 Jahre alten Holozän. Die heißesten Kandidaten dafür sind der Beginn der Industrialisierung um 1800 oder 1945 mit der Freisetzung menschlich erzeugter radioaktiver Isotope.

Darüber und ob der Mensch wirklich ein eigenes Zeitalter wert ist, werden als Folge der Tagung Arbeitsgruppen weiterdiskutieren. Dann soll der Vorschlag der Internationalen Kommission für Stratigrafie zum Votum vorgelegt werden. Dieser Prozess wird, so viel ist absehbar, seine Zeit dauern. Für die Durchsetzung anderer Erdzeitalter brauchte es mitunter auch schon Jahrzehnte. (tasch/DER STANDARD, Printausgabe, 17.05.2011)