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Strauss-Kahn (rechts) mit seinem Rechtsbeistand.

Foto: REUTERS/Shannon Stapleton

Der Fall Julian Assange ist noch gar nicht lange her und schon wieder sieht sich eine "linke Hoffnung" mit dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs konfrontiert. Der Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn, war der Hoffnungsträger der Französischen Sozialisten, ihm hätten sie bei den Präsidentschaftswahlen 2012 eine erfolgreiche Kandidatur zugetraut.

Männer, die die Welt ein bisschen verändern hätten können - wäre da nur nicht die strafrechtliche Verfolgung wegen sexueller Belästigung, versuchter Vergewaltigung oder minder schwerer Vergewaltigung. Assange und Strauss-Kahn haben nicht nur die strafrechtliche Verfolgung wegen einem dieser Delikte und den Status "Very Important Person" gemeinsam: Beim einen wie beim anderen interessieren sich die Medien für die Herrschaften als "Schürzenjäger" oder "Schwerenöter" und für ihre Anklägerinnen als potenzielle Sexpartnerinnen - auch wenn der sexuelle Kontakt von ihnen selbst als erzwungen beschrieben wird.

Moralische Vorverurteilungen

Von "Sex-Eskapaden" oder "Sex-Affäre" ist, wie schon bei Assange, auch bei Strauss-Kahn die Rede. Der Lebensstil des Angeklagten wird in den Fokus gerückt, mit wem er "unpassende" Affären hatte, dass es viele waren und überhaupt ließ er hin und wieder den Ungustl raushängen. Das alles bringt natürlich keine Sympathiepunkte ein, trägt aber zur tragischen Vermischung zwischen moralischen Urteilen - die völlig unterschiedlich und subjektiv sein dürfen - und einem klaren Straftatbestand bei, dem unbedingt nachgegangen werden muss. Auch die Seite der Klägerin wird mit moralischer Vorverurteilung behaftet. Der VIP-Faktor der Beschuldigten scheint der Glaubwürdigkeit der Klägerin abträglich zu sein.

Ein Sexualdelikt ist kein Sex

Aus einer Anzeige eines Sexualdeliktes wird so eine Verschwörung, aus erzwungenem Oralsex wird eine "Sex-Affäre", aus einem  Vergewaltiger ein "Schwerenöter" - alles Kraut und Rüben, drunter und drüber. In der Berichterstattung über Sexualdelikte haben jedoch moralische Statements gegenüber dem Lebensstil von Opfern und Tätern, Psychologisierungen und Charaktereinschätzungen sowie Analogien zu einvernehmlichem Sex nichts zu suchen. Was nicht heißen soll, dass in den Medien nicht andere Opfer von sexuellen Übergriffen des Beschuldigten zu Wort kommen sollen. Die Journalistin Tristane Banon beschuldigte 2007 in einem TV-Interview Strauss-Kahn (sie bestätigte aber erst später, dass es sich dabei um ihn handelte, im Interview sprach sie nur von einem hochrangingen Politiker) der Vergewaltigung. Das ist keine Vorverurteilung, sondern eine konkrete Beschuldigung und somit Sache der Justiz.

Vorverurteilungen mit unterschiedlichen Konsequenzen

Der öffentliche Umgang mit Sexualdelikten zieht unterschiedliche Konsequenzen nach sich. Menschen, die ein Sexualdelikt zur Anzeige bringen, implizit oder explizit einer Lüge zu bezichtigen, sendet fatale Signale an alle, die jemals Opfer von sexuellen Misshandlungen geworden sind. Die Gleichsetzung von Nötigung, Belästigung oder Vergewaltigung mit "Sex" suggeriert außerdem schon eine MittäterInnenschaft. Der Ruf eines Mannes, der Frauen gegenüber immer wieder zu weit ging, hat aber Strauss-Kahn zumindest karrieretechnisch bisher nicht geschadet. Kurz nach dem Vergewaltigungsvorwurf von Banon wurde er Generaldirektor des Währungsfonds. Derartige Vorwürfe haben für mächtige Männer wie Strauss-Kahn oft wenig bis keine Konsequenzen, weil sie nur schwer zu beweisen sind. Trotzdem sollen sich Opfer von sexueller Gewalt nicht davor fürchten müssen, sexuelle Übergriffe zur Anzeige zu bringen, ob sie letztendlich nachgewiesen werden können oder nicht - auch sie dürfen keinen Schaden durch eine Anzeige erleiden.

Schlussendlich darf auch nicht vergessen werden, dass die strafrechtliche Verfolgung von sexueller Gewalt eine enorm wichtige menschenrechtliche Errungenschaft ist. Im jüngsten Fall gerät sie aber einerseits als "Störaktion" von Seiten einer Frau, andererseits als Grenzüberschreitung eines "Schürzenjägers" völlig aus dem Blick. Zu gunsten reißerischer Medienberichte und zu ungunsten aller Opfer von sexueller Gewalt. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 18.5.2011)