Im IWF beginnt rund um die DSK-Affäre die Nachfolgedebatte; einige europäische Finanzminister plädieren bereits für denRücktritt von Dominique Strauss-Kahn. Finanzministerin Maria Fekter etwa meint, er müsse sich selbst überlegen, ob er der Institution Schaden zufüge.

In Frankreich scheuen dagegen sozialistische Parteifreunde Strauss-Kahns keine starken Worte: Ex-Kulturminister Jack Lang wirft der US-Justiz "Lynchmord" vor; auch Ex-Justizminister Robert Badinter meint, Strauss-Kahn werde "von den Medien gemeuchelt" und stehe schon am Pranger, bevor er verurteilt sei; "offensichtlich wird versucht, seine Karriere vorsätzlich zu zerstören" .

Drei Tage nach der Festnahme des Währungsfondschefs wogt in Frankreich die Debatte höher denn je. Bisher hatte ein nationaler Schulterschluss hinter dem 62-jährigen Franzosen gegolten. Doch nun lassen sich in Paris auch andere Stimmen vernehmen. Nicht alle, aber die meisten stammen von Frauen. Umweltministerin Nathalie Kosciusko-Morizet erklärte schon am Montag, das erste "Opfer" der Affäre sei Frankreich; Strauss-Kahns Verhalten schade also Frankreich.

Der Gaullist Bernard Debré wird noch deutlicher: Die Affäre sei eine "Schande" für ein Land, dessen Angehörige nun dastünden wie Leute, die "nur eines" im Kopf hätten. Der Ex-Minister meinte, es sei schon seit langem bekannt gewesen, dass sich Strauss-Kahn im New Yorker Sofitel über Zimmermädchen hermache. Die Hoteldirektion dementierte.

Nach ihrer Meinung befragt, antworten Oppositions- oder Regierungspolitiker - wie Premierminister François Fillon - stets dasselbe: Solange Strauss-Kahn nicht rechtskräftig verurteilt sei, gelte er als unschuldig.

Die Kommunistin Clémentine Autain meinte als erste, sie denke "auch an die betroffene Hotelangestellte" , obwohl diese "unsichtbar" sei. Über Internet zirkulierte am Dienstag erstmals ein Bild der jungen Sofitel-Angestellten. Das sorgte auch in Frankreich dafür, dass ihr Schicksal überhaupt wahrgenommen wird. Bei Befragungen von Fernsehsendern zeigten viele Französinnen Mitgefühl für das laut Pressemeldungen unter Schock stehende Opfer der angeblichen sexuellen Belästigung. Die französischen Medien berichten nun auch breit über den Fall der Autorin Tristane Banon, die schon 2007 behauptet hatte, Strauss-Kahn habe sie zu vergewaltigen versucht. Nach seiner Festnahme in den USA will sie nun ebenfalls Klage einreichen.

Medien lassen nun auch Frauenverbände zu Wort kommen, die den französischen Politikern insgesamt Vorhaltungen machen: "Egal von welcher Partei haben diese Politiker manchmal das Gefühl, eine Art ‚Recht auf die erste Nacht' zu haben, sodass sie ihre Position missbrauchen" , meinte gestern etwa die Organisation "Paroles de Femmes" .

Die Feministin Magali de Haas erinnerte daran, dass in Frankreich jährlich 75.000 Frauen vergewaltigt würden. Diese Zahl werde regelmäßig heruntergespielt - so wie jetzt Strauss-Kahns Anwälte die Glaubwürdigkeit der Hotelangestellten in Zweifel zögen. Zuerst hätten sie von Auftragsgeld gesprochen, jetzt von einer möglichen Einwilligung in den Sexualakt.  (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, Printausgabe, 18.5.2011)