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Wesley Clark.

Foto: REUTERS/Lucy Nicholson

Ex-Nato-Oberbefehlshaber Wesley Clark sieht im Gespräch mit Christoph Prantner die Allianz in Libyen auf einem guten Weg: Gaddafis Abgang sei eine Frage der Zeit, der Einsatz von Bodentruppen möglich. Eine Intervention ist auch in Syrien vorstellbar.

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STANDARD: Sie waren in den 1990er-Jahren führend bei den Balkankriegen dabei. Welche Lektionen gelten heute für die Libyen-Intervention?

Clark: Die wesentliche Lektion ist, dass man nicht warten darf, bis ein Staat kollabiert. Die USA, Europa und die UN haben damals viel zu lange gezögert, obwohl sie wussten, dass Jugoslawien auseinanderfallen würde. Konflikte müssen früh gelöst werden - am besten politisch. Und wenn das Töten beginnt, muss man besser schnell intervenieren. Je länger das Töten andauert, desto schwieriger wird es, die Positionen und Herzen zu versöhnen. Am Balkan hätten wir deswegen beinahe verloren.

STANDARD: Ist der diplomatische Weg in Libyen bereits versperrt?

Clark: Nein. Die Libyer bekommen bloß nicht jene Antwort, die sie erwarten. Es ist völlig klar, dass sie keine Lösung akzeptieren können, die Muammar al-Gaddafi im Land belässt. Er hat seine Finger überall Spiel. Es kann keine haltbaren Zukunftsversprechen geben, solange er dort ist. Sein von der Stasi trainierter Geheimdienst ist immer noch sehr effektiv und äußerst skrupellos. Wenn er bleibt, wird er fürchterliche Rache üben.

STANDARD: War es klug, Gaddafi als Kriegsverbrecher anzuklagen? Er muss nun bis zum Ende kämpfen.

Clark: Das stimmt nicht. Sein Ausweg ist, dass er endlich jener Staatsmann werden muss, der er zu sein behauptet. Er hat sich bisher nicht um eine wirkliche Lösung der Krise gekümmert. Wie Slobodan Milošević während des Kosovokrieges sagt er bloß: Hört auf mit den Bombardements und lasst mich im Amt bleiben!

STANDARD: Wie läuft die Militäraktion ihrer Einschätzung nach?

Clark: Adäquat. Die Nato ist effektiv, keine Frage. Wie lang es gehen wird, hängt von Gaddafi ab. Die Nato wird die Operationen jedenfalls nicht von sich aus einstellen. Die Allianz ist eine sehr effektive Konsensmaschine. Sobald es Übereinstimmung gibt, dann gibt es keinen Weg mehr zurück: Das haben auch Milošević und seine russischen Unterstützer auf die harte Tour lernen müssen.

STANDARD: Wird es Bodentruppen in Libyen brauchen wie seinerzeit in Bosnien?

Clark: Das ist möglich. Ich hätte gerne schon früher Friedenstruppen dort gesehen. Wenn Gaddafi um Hilfe und Mediation gebeten hätte, wäre er heute nicht ein angeklagter Kriegsverbrecher. Das Ende Gaddafis ist unumgänglich. Wenn es sich länger hinzieht, dann könnte ein Nato-Land Bodentruppen entsenden. Die UN-Resolution erlaubt dies - dort wird nur eine Besatzung Libyens untersagt. Die USA haben Pakistan auch nicht besetzt, sondern nur Osama Bin Laden eliminiert.

STANDARD: Ist der Tod Bin Ladens der Startschuss für den US-Abzug aus Afghanistan?

Clark: Das ist eine Voraussetzung, keine Frage. Es läuft ein Entscheidungsprozess, im Juli wird es dazu wohl Ankündigungen geben. Ich denke, wir werden Truppenreduzierungen sehen. Dazu brauchen wir aber auch einen Übergangsplan, bei dem alle beteiligten Parteien mitreden. Pakistan muss sich gänzlich aus Afghanistan zurückziehen. Und es braucht einen Sicherheitsdialog auf dem gesamten Subkontinent.

STANDARD: Zum Nahen Osten: Was geschieht, wenn in Syrien die Dinge völlig außer Kontrolle geraten?

Clark: Bashar al-Assad könnte das gleiche Schicksal wie Gaddafi ereilen, wenn er jetzt nicht seine Armee und Sicherheitskräfte unter Kontrolle bringt. Die geostrategische Bedeutung Libyens machen Öl und Menschen aus. Im Fall Syrien ist das geostrategische Gewicht ein völlig anderes: Wenn Assad dort einen humanitären Anlass für eine Aktion gibt, könnte die Entscheidung dafür durchaus beschleunigt werden, weil der Wert eines Wandels in Syrien als sehr hoch eingeschätzt wird. Assad bewegt sich derzeit auf sehr dünnem Eis.

STANDARD: Wie viel Spielraum hat Assad noch?

Clark: Sehr wenig, wenn es um die internationale Gemeinschaft geht. Intern muss er selbst sehen, wie er klarkommt. Wenn er der Präsident sein will, dann muss er danach handeln.(DER STANDARD Printausgabe, 23.5.2011)