Zwei Columbicolae columbae klammern sich ans Bein einer Lausfliege.

Foto: Burtt Jr. & Ichida, Ohio Wesleyan University

Die Taube auf dem Sims ist schwer beschäftigt. Nach einer üppigen Altbrotmahlzeit putzt sie ihr Gefieder, wuselt mit dem Schnabel unter ihren Flügeln und am Bauch herum. Die Pflegemaßnahme dient vor allem der Parasitenbekämpfung. Zwischen den Federn leben Läuse. Hunderte von ihnen können sich auf einem einzigen Vogel tummeln. Und auch wenn die Taube gewiss anderer Meinung wäre: Die Plagegeister sind wahre Wunderwerke der Evolution.

Vogelläuse ernähren sich nicht von Blut. Stattdessen verzehren sie Hautschuppen und vor allem das weiche Hornmaterial von Daunenfedern. Um diese dennoch zähe Kost verdauen zu können, kommen ihnen in ihrem Darm sogar spezialisierte Bakterien zu Hilfe. Die Parasiten scheinen zudem sehr gut an ihre Wirte angepasst zu sein. "Fast jede Taubenart hat zwei eigene Läuse-Spezies: eine auf den Flügeln und eine am Körper", sagt der US-Biologe Chris Harbison von der University of Utah in Salt Lake City. Das gilt auch für die heimischen Stadttauben. Bei ihnen siedelt Columbicola columbae auf den kräftigen Flügel- und Schwanzfedern, Campanulotes compar dagegen in den Daunen.

Die Arten haben ähnliche Lebensweisen und eine starke Bindung an ihre Wirte. Trotzdem ist die genetische Vielfalt bei Ca. compar deutlich größer als bei den flügelbewohnenden Co. columbae, und Erstere haben sich, Erbgutanalysen nach zu urteilen, viel länger mit den Tauben gemeinsam entwickelt. Eine seltsame Diskrepanz. Was macht die "Flügelläuse" so anders als die Daunenparasiten?

Chris Harbison ist der Sache zusammen mit seinem Kollegen Dale Clayton auf den Grund gegangen. Die beiden Wissenschafter hatten bereits beobachtet, dass sich flügelbewohnende Co. columbae manchmal an die Beine von Lausfliegen (Hippoboscidae) klammern. Diese belästigen ebenfalls Tauben und andere Vögel, dringen bis zur Haut in deren Gefieder ein und saugen dort Blut. Die Daunen bewohnenden Ca. compar fanden die Forscher jedoch nie auf Lausfliegen. Das dürfte kein Zufall sein.

Die Beinchen vertreten

Des Rätsels Lösung fanden Harbison und Clayton in den Überlebensstrategien der beiden Läusearten. Sie haben eigentlich nur einen Feind: den Wirt. Um dem putzenden Schnabel zu entgehen, müssen sich die Parasiten verkriechen. Ca. compar, flach und oval gebaut, gräbt sich dazu so tief wie möglich ins Daunengefieder ein. Ihre kurzen Beinchen sind dabei von Nutzen. Die schlanke Co. columbae, die sich ebenso von Daunen ernährt, flieht dagegen in eine ganz andere Richtung. Sie versteckt sich zwischen den einzelnen Ästen in den Fahnen der Außenfedern - und klammert sich mit ihren längeren Beinen fest.

Diese Fähigkeit macht offensichtlich den großen Unterschied. Die Beinlänge ermöglicht es den Flügelläusen, sich per Anhalter von den Fliegen mitnehmen zu lassen - zum nächsten Wirt, den es zu besiedeln gilt. Bis zu 31 Läuse gleichzeitig können sich an einer einzelnen Fliege festhalten.

Harbison und Clayton haben die evolutionsökologische Bedeutung solcher Tiertransporte experimentell nachgewiesen. Die Biologen hielten lausbefallene Stadttauben in zwei Scheunen zusammen mit nordamerikanischen Trauertauben (Zenaida macroura). Da die Vögel in Einzelkäfigen untergebracht waren, konnten sie nicht miteinander in Kontakt kommen. Doch in einer der Scheunen setzten die Wissenschaftler Lausfliegen aus. Der Effekt war eindeutig: Dort, wo die Fliegen flogen, wurden auch die Trauertauben von Läusen befallen. Allerdings nur von der Flügel bewohnenden Sorte. In der Nachbarscheune fand keine Übertragung statt. Die detaillierten Studienergebnisse wurden heuer online vom Fachblatt PNAS publiziert.

Für Chris Harrison steht fest: Die Fähigkeit, per Anhalter fliegen zu können, hat die Entwicklung der Flügelläuse entscheidend geprägt. Sie lernten dadurch, auch andere Vogelspezies zu besiedeln, wurden flexibler und weniger auf einen bestimmten Wirt angewiesen als die Daunenläuse. Solche Wechsel passieren wahrscheinlich zwar nicht oft, meint Harbison, "aber sie haben größere evolutionäre Konsequenzen." (Kurt de Swaaf/DER STANDARD, Printausgabe, 24.05.2011)