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"Wenn ein Türke mit einer deutschen Fahne in der Straße läuft, dann nimmt ihm das keiner ab", meint Costa.

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Sérgio Costa bei einem Gastvortrag an der Universität Innsbruck.

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Ist Brasilien ein gelungenes Beispiel für friedliches Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft? Im fünftgrößten Land der Welt leben die größten Diaspora-Gemeinschaften von japanisch-, libanesisch- oder italienischstämmigen Menschen außerhalb ihrer Heimatländer. Gleichzeitig sind die reichsten zehn Prozent der Einwohner des Landes nahezu ausschließlich Weiße. Schwarze und Personen gemischter Herkunft machen dagegen 70 Prozent der Armen aus. Stimmt also der Mythos vom Land als Schmelztiegel der Kulturen?

daStandard.at: Das Bild von Brasilien ist hierzulande frei von Spannungen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Gibt es dort tatsächlich keine ethnischen Konflikte?

Sérgio Costa: Der Mythos, dass alle gleich sind, ist falsch. Die schwarze Bevölkerung steht zum Beispiel finanziell schlechter dar als die weiße. Es stimmt aber, dass die kulturelle Herkunft keine große Rolle spielt. Seit den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts haben sich Menschen verschiedener Nationen vermischt und daraus ist eine Art Nationalideologie entstanden.

daStandard.at: Ist Brasilien also der klassische Schmelztiegel?

Costa: Kulturell ja, sozial nein. Die nationale Konstruktion ist also schon ein Melting Pot, aber sozial ist die brasilianische Gesellschaft sehr hierarchisch.

daStandard.at: Gibt es Vorbehalte gegenüber Einwanderern in Brasilien?

Costa: Heute verlassen mehr Menschen Brasilien, es ist zum Auswanderungsland geworden. Die Migrationspolitik ist und war aber sehr liberal im Vergleich zu Europa. Man muss allerdings gleichzeitig erwähnen, dass es in der Geschichte Unterscheidungen von Migranten nach ihrer Herkunft gab. Heute gibt es das nicht mehr.

daStandard.at: Aus welchen Ländern kommen die heutigen Einwanderer?

Costa: Es kommen vor allem Chinesen, Koreaner und Bolivianer nach Brasilien. Gegen die asiatischen Einwanderer gibt es kaum Widerstand, sie sind sozial besser gestellt als der Rest der Bevölkerung, haben ein besseres Einkommen. In Brasilien werden sie als fleißig wahrgenommen. Gegenüber den Bolivianern gibt es Vorbehalte, die vor allem im Alltag spürbar sind.

daStandard.at: Gibt es Ihrer Meinung nach vergleichbare Muster in Deutschland und Österreich?

Costa: In Deutschland ist die Herkunft eines Menschen wichtiger als in Brasilien. Egal wie reich und gebildet türkische oder arabische Migranten in Deutschland sind, werden sie von der Gesellschaft trotzdem nicht wirklich akzeptiert.

daStandard.at: Es gibt in Brasilien zwölf Millionen Menschen arabischer oder türkischer Herkunft...

Costa: Und sie sind Brasilianer wie alle anderen auch. Es gab während des zwanzigsten Jahrhunderts Wellen von großteils römisch-katholischen syrischen oder libanesischen Einwanderern, die nach Brasilien kamen. In Brasilien führt Armut und Mangel an Bildung zu Diskriminierung.

daStandard.at: Was könnten Österreich und Deutschland also von Brasilien lernen?

Costa: Deutschland hat ein großes Problem: Im politischen Diskurs wird jemandem mit türkischer oder arabischer Abstammung nicht die Möglichkeit gegeben als Deutscher anerkannt zu werden. Auch wenn sich diese Menschen zu Deutschland bekennen, nimmt man sie nicht als Deutsche wahr. Ein Araber bleibt immer ein Araber.

daStandard.at: Und das liegt Ihrer Meinung nach nur an der deutschen Aufnahmegesellschaft?

Costa: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn ein Türke mit einer deutschen Fahne in der Straße läuft, dann nimmt ihm das keiner ab. Deutschland muss lernen den neuen Mitgliedern des Landes auch eine neue Identität anzubieten.

daStandard.at: Was soll das heißen: "eine neue Identität anbieten"?

Costa: Deutschland erklärt Einwanderern und deren Nachfahren was es heißt deutsch zu sein. Wenn sich diese dann selber als deutsch bezeichnen, glaubt ihnen das aber keiner.