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SVP-Exponent Christoph Blocher will per Volksbegehren die Zuwanderung in die Schweiz begrenzen.

Foto: Reuters/Arnd Wiegmann

Die Schweizer Arbeitnehmergewerkschaft TravailSuisse schlägt Alarm: Doch diesmal warnt sie nicht etwa vor Arbeitslosigkeit, sondern vor einem drohenden Arbeitskräftemangel. In zwanzig Jahren, so rechneten die Ökonomen vor, würden in der Schweiz bis zu 400.000 Arbeitskräfte fehlen, weil es zu wenig Nachwuchs gebe und die geburtenstarken Jahrgänge in Pension gingen.

Wirtschaft und Staat müssten deshalb alles unternehmen, um den Arbeitsmarkt attraktiver für Schweizer Arbeitnehmer zu gestalten: mit Teilzeitstellen und Kinderkrippen die Erwerbsquote der Frauen fördern; mit innovativen Arbeitszeitmodellen dafür sorgen, dass Ältere tatsächlich bis zum regulären Pensionsalter von 65 Jahren arbeiten können; mit mehr Weiterbildung die beruflichen Qualifikationen fördern und mit besseren Löhnen gegen den Nachwuchsmangel beim Pflegepersonal und im Lehrerberuf ankämpfen.

Viele dieser Gewerkschaftsforderungen klingen bekannt, sind es auch - neu ist aber die Begründung dafür: Mit all diesen Maßnahmen könne man immerhin 200.000 Stellen mit Schweizern besetzen; und damit müssten "nur" noch 200.000 - und nicht 400.000 - ausländische Arbeitskräfte einwandern.

Das Beispiel zeigt: Die Kritik an der starken Zuwanderung ist mittlerweile nicht mehr nur den konservativen Kräften vorbehalten. Doch noch will niemand so weit gehen wie die SVP, die auf einem Parteitag am Samstag ein Volksbegehren zur Begrenzung der Zuwanderung starten will. "Die Initiative ist ein Frontalangriff auf die Personenfreizügigkeit mit der EU", kommentiert die liberale Neue Zürcher Zeitung. "Die SVP geht im Wahljahr auf Konfrontationskurs mit der politischen Konkurrenz und mit der Wirtschaft."

Wegen der Zuwanderung wächst die Bevölkerung in der Schweiz jährlich um rund 70.000 Personen. Zwar sind die meisten Zuwanderer gut qualifiziert und halten die Wirtschaft in Schwung. Doch dies ist nur die eine Seite der Medaille. Die Kehrseite illustriert etwa das Sachbuch Aufruhr im Paradies, das von zwei linksliberalen Publizisten herausgegeben wurde: Wohnungsnot, steigende Mieten, Zersiedelung, überlastete Infrastrukturen und überfordertes Bildungswesen. Auch Sozialdemokraten und Gewerkschaften fordern angesichts des zunehmenden Lohndumpings schärfere Kontrollen. Und auch die Arbeitgeber und die Parteien der bürgerlichen Mitte haben die Probleme erkannt, verweisen aber noch unverdrossen darauf, dass der freie Personenverkehr der Schweiz mehr genützt als geschadet habe. (DER STANDARD, Printausgabe, 25.5.2011)