Zur Person: Behrouz Khosrozadeh, 1959 in Buschehr (Iran) geboren, lebt seit 1985 in Deutschland und arbeitet als Politologe und Publizist. 2003 promovierte er am politikwissenschaftlichen Seminar der Georg-August-Universität Göttingen, wo er vom 2004 bis 2006 als Lehrbeauftragter tätig war. Dr. Khosrozadeh ist Buchautor und hat zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitungen und Zeitschriften hauptsächlich in Deutschland und der Schweiz verfasst. Kürzlich erschienen: Die Ayatollahs und der Große Satan. Die Beziehungen Iran - USA im historisch-analytischen Überblick.

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Ahmadinedschad sei der einzige Präsident der Iranischen Republik, der sich durch Mut und Mumm auszeichnet, was die Herausforderung des obersten Religionsführers als letzte Entscheidungsautorität anbelangt, meint der aus dem Iran stammende Politologe Behrouz Khosrozadeh. Trotzdem sei der Machtkampf zwischen den beiden einer, in dem beide nur verlieren könnten. Das Image des "Steinzeitayatollah" Khameneis sei beschädigt und auch "dem protzigen Ahmadinedschad" wurden "die Flügel gestutzt".

derStandard.at: Eine Sonderkommission des iranischen Parlaments soll über ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Mahmud Ahmadinedschad entscheiden, schreibt die Zeitung "Wedomosti" am vergangenen Mittwoch. Stimmt das und wie dramatisch ist der Machtkampf in der iranische Führungsriege?

Behrouz Khosrozadeh: Ein Amtsenthebungsverfahren steht (noch) nicht auf der Agenda des Parlaments. Khamenei nahestehende Parlamentarier, einige davon standen bis zur Krise unerschütterlich zu Ahmadinedschad, und die Justiz sind dabei, Beweismaterials gegen Ahmadinedschad und seine Kabinettsmitglieder zu sammeln. Sie berichten täglich über schwere Korruptionsfälle, werfen dem Lager um Ahmadinedschad auch Hexerei und Geisterbeschwörung zu Gunsten des Präsidenten vor. Diese Dokumente sollen im Falle einer Wiederaufnahme des offenen Machtkampfs Ahmadinedschads mit Khamenei als Beweisgrundlage für ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten dienen. Führende Kommandeure der Sepah (Revolutionswächter) haben Ahmadinedschads Lager zu verstehen gegeben, dass sie einem blutigen Kampf zur Verteidigung der „Velayat-e Faqiih" (Herrschaft des Rechtsgelehrten), sprich die unangefochtene Autorität Khamemeis, nicht scheuten. Die Krise ist sehr dramatisch, sowohl für die beteiligten Parteien als auch für das Land.

derStandard.at: Worum geht es in diesem Machtkampf?

Behrouz Khosrozadeh: Das konservative Establishment stützt sich auf die traditionell-konservative, extrem rückwärtsgewandten Ayatollahs, an deren Spitze Khamenei selbst steht, wenngleich er sich selten weltfremder Äußerungen bedient. Dessen Gewaltapparat besteht aus der Sepah und der ihr untergeordneten Bassidsch-Miliz. Auch die sogenannten „Labas-Schakhsiha" (zivil gekleidete Schlägerbanden) gehören zum Unterdrückungsapparat der Ayatollahs. Ahmadinedschads Strömung distanziert sich zunehmend vom konservativen Klerus. Schon im Wahlkampf vor seiner ersten Amtsperiode versprach er, sich für die Erweiterung der bürgerlichen Freiheiten, insbesondere dem Respekt vor der Privatsphäre der Bürger und eine Lockerung der Verschleierungsvorschriften einzusetzen.

Sein Vorstoß, Frauen den Zutritt zu Fußballstadien zu ermöglichen stieß auf den Widerstand der Steinzeitayatollahs, die Fetwas dagegen erließen. Er hat oft zu verstehen gegeben, dass seine Regierung mit dem Schikanieren der Bürger durch die Sittenwächter und die Ordnungskräfte nicht einverstanden ist und damit auch nichts zu tun hat. Auch der Kommandeur der Ordnungskräfte wird von Khamenei ernannt. Ahmadinedschad und seine Strömung, die vom Gegner als "abweichende Strömung" (Dscheryan-e enherafi) stigmatisiert werden, ahnen die wachsende Unpopularität der weltfremden Steinzeitayatollahs. Diese ernten unter der Bevölkerungsmehrheit Häme und Spott für ihre irrsinnigen Äußerungen. Esfandiar Rahim Maschaie, Ahmadinedschads Bürochef und die zentrale Figur im gegenwärtigen Streit, möchte am liebsten die Geistlichkeit vom Staats- und Politikgeschehen fernhalten. "Die Ära des Islamismus ist passé. Das bedeutet nicht, dass es keinen Islamismus mehr gibt. Nein, aber so wie die Ära der Pferde (als Verkehrsmittel) vorbei ist, aber es gibt dennoch weiterhin Pferde." Das Ganze heißt, dass die Zeit der Velayat-e Faqih ebenfalls dahin ist.

In beiden Lagern wütet die Korruption und beide versuchen, die Schlüsselpositionen zu ergreifen, um einerseits ihre Vetternwirtschaft abdecken zu können und andererseits Enthüllungsdrohungen als Abschreckung gegen den Gegner in der Hand zu haben. Hierbei nimmt das Informationsministerium, das über vertrauliche Informationsquellen über die Führungsriege der Republik verfügt, eine Sonderstelllung ein. Vor diesem Hintergrund kann man die Entscheidung Ahmadinedschads, den Informationsminister Haidar Moslehi zu entlassen und seine Wiedereinsetzung durch Khamenei verstehen. Ahmadinedschad hatte bisher dutzende ranghohe Beamten dieses Ministeriums auf Anraten Maschaies gefeuert. Der Machtkampf gleicht somit einem Kampf um die Existenz und er kann in der Konsequenz blutig ausgetragen werden.

derStandard.at: Ahmadinedschad verdankt Khamenei eigentlich sein politisches Überleben, weil der nach der umstrittenen Präsidentenwahl im Sommer 2009 entschied, dass die Betrugsvorwürfe haltlos seien. Wie lange kann Ahmadinedschad seine Opposition zu Staatsoberhaupt Khamenei durchstehen?

Behrouz Khosrozadeh: Präsident Ahmadinedschad hat offenbar seine Basis überschätzt. Seine bisherigen einflussreichen, vermeintlich eingefleischten Unterstützer wenden sich gegen ihn und attackieren seine Strömung mit vernichtender Rhetorik. Selbst sein vermeintlicher Mentor, der Gewalt- und Hassprediger Ayatollah Mesbah Yazdi, verdammt nun die "abweichende Strömung", die sich um Ahmadinedschad schare und ihn beeinflusse und steuere. Um ihn und seine "abweichende Strömung" wird es immer einsamer. Trotz seiner Loyalitätsbekundung zu Khamenei nach zehntägiger Abwesenheit von Kabinettssitzungen hat er zu verstehen gegeben, dass die Messe noch nicht gelesen ist. So hat er gegen den Willen des Parlaments und des Wächterrates die Zusammenführung von vier Ministerien durchgesetzt und hat selber den reichste strategische Ressort, das Ölministerium, übernommen.

Es geht im Übrigen auch um die bevorstehenden Parlamentswahlen, die im März kommenden Jahres stattfinden. Die Khamenei-Getreuen (traditionelle und Ahmadinedschad gegenüber kritische Konservative) fürchten die Einflussnahme der Regierung auf die Wahlen. Das Innenministerium, die Provinzgouverneure, die Bezirks- und Gemeindevorsteher, die als Wahlbehörden fungieren, könnten die Wahlen manipulieren und dafür sorgen, dass die "abweichende Strömung" die Parlamentsmehrheit stellt. Maschaie könnte hypothetisch bei den Präsidentschaftswahlen 2013 als Nachfolge Ahmadinedschads, der nur zwei Amtsperioden regieren darf, antreten. Doch bevor das alles geschieht, wird er verhaftet und von der politischen Bühne heruntergeholt werden. Seyed Ali Khamenei hat sich bisher stets hinter Ahmadinedschad gestellt. Noch im vergangenen November hat er die Regierung hoch gelobt und sie als eine bezeichnet, die nie eine Polarisierung des Regimes betreibt. Ihn ohne Weiteres fallen zulassen, würde eine Selbstbrüskrierung bedeuten. Das wird er aber tun, wenn der streitsüchtige Präsident keine Ruhe gibt.
derStandard.at: Unter welchen Umständen würde Ahmadinedschad zurücktreten müssen und wird er versuchen, etwas dagegen zu tun?

Behrouz Khosrozadeh: Ahmadinedschad ist der einzige Präsident der Republik, der sich durch Mut und Mumm auszeichnet, was die Herausforderung des obersten Religionsführers als „Fasl el-Khetab" (letzte Entscheidungsautorität) anbelangt. Fünf Minister, allesamt aus den Ressorts, die nur mit dem Segen Khameneis bestimmt werden, hat er bisher entlassen. Die letzte Entlassung brachte das Fass zum Überlaufen. Ahmadinedschad weiß genau, dass es der Anfang von seinem Ende ist, wenn er als „Löwe ohne Mähne" dasteht. Daher steht er weiterhin zu seinem Berater und Bürochef. Mit Mohammad Reza Rahimi als erstem Vizepräsidenten steht Ahmadinedschad jemand zur Seite, der von Justiz und Parlament für den Kopf einer der größten korrupten Bande gehalten wird. Die Eröffnung eines Gerichtsverfahrens gegen ihn ist bisher am Khamenei gescheitert. Rahimis Verhaftung ist heute in der Hitze des Machtkampfes zwischen Khameneis Lager und der Bande um Ahmadinedschad und Maschaie ein Spiel mit dem Feuer. Der Vizepräsident ist zugleich Stabschef für die Bekämpfung von Korruption und Vetternwirtschaft und als solcher im Besitz von unzähligen belastenden Dokumenten.

Auch Ahmadinedschad selbst weiß um die vielen dunklen Geheimnisse des Regimes, zumindest der letzten sechs Jahre, in denen die Präsidentschaftswahlen von 2009 das aufsehenerregendste Ereignis war. Sehr oft hat er in der letzten Zeit damit gedroht, die Masken fallen zu lassen. Damit zeigt er, dass er nicht widerstandlos untergehen will. Ein Misstrauensvotum des Parlaments und eine Bestätigung der Absetzung durch Khamenei sind möglich. Jedes Ereignis, wie z. B. die Explosion einer Raffinerieanlage in der Stadt Abadan während der Eröffnung durch Ahmadinedschad am Dienstag, kann den Kampf zwischen Regierung und Parlament auf die Spitze treiben. Die Majlis scheint in der Tat ein Signal Khameneis herbeizusehnen, um Ahmadinedschad zu erledigen. Zuletzt wurde 1981 Abol-Hassan Bani-Sadr, der erste Präsident der Islamischen Republik, mit dem Segen Khomeinis von der Majlis gestürzt. Auch damals ging es um einen hitzigen Machtkampf. Aber insgesamt betrachtet und angesichts der Kräfteverhältnisse würde ich Ahmadinedschad weitaus weniger politische Überlebenschancen einräumen. Seine Tage sind gezählt.

Wie auch immer der Kampf ausgehen mag und wer, ob Khamenei oder Ahmadinedschad, die Oberhand gewinnen sollte, beide gehören zu den Verlieren. Es ist eine Situation, in der beide nur verlieren können. Khamenei, dessen Image und Legitimität bereits nach den Wahlen von 2009 immens beschädigt, wird nicht mehr der von vor einigen Monaten sein und dem protzigen Ahmadinedschad sind die Flügel gestutzt.


derStandard.at: Nimmt die iranische Bevölkerung diese Streitigkeiten auf höchster Ebene wahr?

Behrouz Khosrozadeh: Ja, allein schon dadurch, dass der traditionell-konservative Klerus beim Freitagsgebet bzw. in den Moscheen sowie die Sepah- und Bassidsch-Kommandeure sehr oft in ihren Vorträgen in den Kasernen und Öffentlichkeit die „abweichende Strömung" verbal heftig angreifen. Man muss es auch so sehen, dass beide Lager, besonders das Khameneis, versuchen, das Bewusstsein der Bevölkerung geistig auf etwaige Aktionen zu ihren Gunsten vorzubereiten. Die Bassidsch-Miliz, die Schlägerbanden und andere durch Gehirnwäsche fanatisierte Banden müssen ideologisch-religiös auf das gegnerische Lager (in diesem Falle eher das Ahmadinedschads) gehetzt werden. Ansonsten ist die normale Bevölkerung genug mit ihren materiellen Sorgen beschäftigt. Solange es nicht zu offenen gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt, wird die Bevölkerung passiv bleiben. Für die Mehrheit der Bevölkerung gehören die großen schamlosen Lügen Ahmadinedschads, insbesondere die geschönten Wirtschaftsdaten und die Bezeichnung seiner Regierung als Beste in der neuzeitlichen Geschichte Irans sowie Irans als das freieste Land der Welt zum Alltag. Die negativen Merkmale des Regimes spiegeln sich in der Gesellschaft wider. Sie sei durch Heuchelei und Schweigen vor der skrupellosen religiösen Tyrannei geprägt, so ein iranischer Journalist.
derStandard.at: Welches Potenzial hat die "grüne Bewegung" noch und welchen Einfluss haben die Ereignisse in der arabischen Welt darauf?

Behrouz Khosrozadeh: Die "Grüne Bewegung" besitzt ein großes, aber unterdrücktes Potenzial. Sie kann der größte Gewinner dieses Machtkampfes sein. Die Krise schwächt und diskreditiert beide Kontrahenten und könnte den Druck ihrer Gewaltmaschinerie auf die Opposition reduzieren. Denn die Schakale sind nun sehr mit sich beschäftigt. Die Krise könnte ebenfalls zu einer Spaltung der "Grünen Bewegung" führen und einige Kräfte der Opposition in das eine oder anderen Lager ziehen. Es gibt jene Gruppen innerhalb der Opposition, die in Ahmadinedschad den Hauptübeltäter sehen, und um ihn zu stürzen würden sie vielleicht bereit sein, Ayatollah Khamenei die Stange zu halten. Andererseits könnte es jene geben, die Ahmadinedschad tatsächlich für seine mutige Herausforderung des Religionsführers sowie seine erniedrigende Herabwürdigung der Ayatollahs bewundern und einen Schulterschluss mit ihm zumindest als eine kluge, rational sinnvolle Taktik ansehen. Für das Eintreten beider Alternativen gibt es gewisse Anzeichen.

In Kürze soll der"„Kooperationsrat des grünen Weges der Hoffnung", ein Rat, der die beiden unter Arrest stehenden Oppositionsführer Mir-Hossein Mousavi und Mehdi Karrubi vertritt, eine Roadmap für die künftigen friedlichen Proteste verkünden. Es sieht so aus, als ob die tiefe Krise des Regimes nicht auf die Gesamtheit der Opposition umschlägt und dass die Spaltung des Regimes keinen entscheidenden Riss innerhalb der "Grünen Bewegung" hervorruft, was aber nicht ganz auszuschließen ist.

Die jüngsten Ereignisse in der arabischen Welt haben den Oppositionellen im Iran Mut eingehaucht. Nur kurz darauf flammten die lange ausgebliebenen großen Straßenproteste wieder auf. Das war der Grund für die Arretierung von Mousavi und Karrubi. Den Einfluss des Aufstandes der Araber auf den Iran kann man aus den Demonstrationsparolen entnehmen. Bereits am Mittwoch skandierten tausende Anwesende bei der Beerdigung eines populären, regimekritischen legendären Fußballers die Parole „Mubarak, Ben Ali, nun ist Ali (Khamenei) an der Reihe" (Mubarak, Ben Ali, nobat-e Seyed Ali). Führende Oppositionelle warnen Khamenei und weisen stets auf das Schicksal gestürzter arabischer Despoten hin.

Nicht nur der Countdown für Ahmadinedschads Abgang hat begonnen. Das Regime der Steinzeitayatollahs hat bisher 32 Jahre lang geherrscht. Das ist eine sehr lange Zeit. Außer der wirtschaftlichen Zerstörung des Landes und der skrupellosen Plünderung nationaler Ressourcen in den 32 Jahren der Herrschaft der Mullahs übersteigen die Praktiken der Folterknechte des angeblichen „Wali-ye Amr-e Muslimin" (Befehlsinhabers der Muslime) das menschliche Vorstellungsvermögen. Ezatollah Sahabi, einer der prominentesten politischen Gefangenen in beiden Regimen berichtete: „ Ein einziger Tag im Gefängnis des Gottesstaates war für mich leidvoller als meine gesamten Gefängnisjahre im Schah-Regime." Die Europäer haben keinen blassen Schimmer davon, was sich alles in diesem Reich der Verbrecher gegen die Menschlichkeit im Namen des Islams abspielt.

Man kann nicht aus dem sicheren Ausland für die Iraner Rezepte und Befehle ausdenken und das Volk zum gewaltsamen Aufstand aufrufen. Man muss sich auch in die Lage der Angehörigen der Inhaftierten oder Getöteten versetzen, die finanziell völlig alleine dastehen, Millionen Toman Kaution für kurzzeitige Freilassung oder Hafturlab auftreiben und oft hinter den Mauern der Gefängnisse um einen Besuch ihrer Liebsten betteln müssen.

Doch machen es sich meine Landsleute im In- und Ausland zu leicht, in dem sie nur die Mullahs für das Desaster der Islamischen Republik verantwortlich machen. Die Verantwortung liegt bei allen und man kann von einem Kollektivschuld sprechen! (Manuela Honsig-Erlenburg, derStandard.at, 27.5.2011)