Mathias Huter lebt seit eineinhalb Jahren in Tiflis und beobachtet beruflich die Entwicklung seines Gastlandes.

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"Mischa hau ab", steht auf den Transparenten. Gemeint ist Mikheil Saakaschwili.

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Die georgische Polizei ging mit Härte gegen die Demonstranten vor.

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Protestorganisatorin Nino Burdschanadse bei einer Kundgebung am Dienstag.

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Einer der maskierten Demonstranten von Donnerstag Nacht.

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Prügel für die Besetzer des Parlamentsplatzes.

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Georgiens Präsident Saakaschwili nahm am Tag nach den Ausschreitungen eine Militärparade ab.

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In der Nacht zum Donnerstag ist es im Zentrum der georgischen Hauptstadt Tiflis zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Die Sicherheitskräfte lösten eine nächtliche Kundgebung gegen die Regierung des pro-westlichen, von Kritikern aber als autoritär gescholtenen Präsidenten Mikheil Saakaschwili auf, dabei kam es zu Tränengas- und Schlagstockeinsätzen, zwei Menschen wurden getötet. Der Salzburger Mathias Huter, 27, lebt seit Juli 2009 in der georgischen Hauptstadt und arbeitet als Senior Analyst im Tifliser Büro der Antikorruptions-NGO Transparency International. Im Gespräch mit derStandard.at schildert er seine Sicht der Dinge.

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derStandard.at: BBC-Korrespondent Damien McGuinness berichtet von maskierten Männern mit Knüppeln, die sich unter die Demonstranten in der Tifliser Innenstadt gemischt hätten. Ist da was dran?

Mathias Huter: Diese Demonstrationen begannen am Samstag, als es auf dem Freiheitsplatz eine größere Kundgebung mit etwa 5.000 Teilnehmern gab. Ein kleiner Teil dieser Demonstranten war maskiert und hatte Fahnenstangen aus Plastik dabei, die dann in den Tagen darauf als Knüppel verwendet wurden. Von Samstagabend an kampierten die Demonstranten vor dem Gebäude des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Zentrum von Tiflis, über Tage hinweg wurde eine der Hauptdurchzugsstraßen blockiert und es kam zu Schlägereien mit der Polizei und mit Leuten in Zivil. Am Mittwoch ist der Demonstrationszug weitergezogen, ursprünglich wollte man wieder zum Freiheitsplatz, aber dann ist der Zug vor dem Parlament stehengeblieben. Das waren etwa 2.000 Leute, vielleicht 200 hatten Stangen dabei und waren maskiert. Es war absehbar, dass die Polizei den Platz vor dem Parlament wegen einer geplanten Militärparade räumen würde. Die Demonstranten haben Angebote der Regierung, die Proteste zu verlagern, abgelehnt. Als dann die Polizei die Demonstration kurz nach Ablauf der Genehmigung in der Nacht auf Donnertag gewaltsam aufgelöst hat, waren nur noch wenige Hundert Leute dort. Die Organisatoren der Proteste waren nicht schuldlos an der Eskalation, und haben wohl auch darauf gehofft.

derStandard.at: Warum sind so wenige Menschen dem Aufruf zu einem "Tag des Zorns" gefolgt?

Huter: Dieser Protest wurde nur von einer einzelnen Politikerin, nämlich Ex-Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse, organisiert. Eigentlich wollte noch eine radikale Oppositionspartei den Protest unterstützen, nämlich jene von Irakli Okruaschwili, einem wegen Korruption verurteilten früheren Verteidigungsminister, der heute im Exil in Frankreich lebt. Er hatte angekündigt, für die Proteste wieder nach Georgien zu kommen, hat das dann aber nicht getan, wahrscheinlich weil er verhaftet würde, wenn er zurückkommt. Acht Oppositionsparteien verhandeln derzeit mit der Regierung über eine dringend notwendige Wahlrechtsreform, alle haben sich schon im Vorfeld von den Demonstrationen distanziert. Diese Parteien bilden die wirklich demokratisch gesinnte Opposition des Landes.

derStandard.at: Ex-Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse hat sich an die Spitze der Anti-Saakaschwili-Bewegung gesetzt. Wie schätzen Sie ihr Standing im Volk ein?

Huter: Sie ist nicht das, was man sich unter einer demokratischen Oppositionsführerin vorstellt. Sie hat sich geweigert, nach den Parlamentswahlen 2008 ihren Sitz im Parlament anzutreten und im Vorjahr hat sie auch nicht an den Regionalwahlen teilgenommen. Sie steht außerhalb des demokratischen Spektrums. ihre Anhängerschaft ist auch sehr überschaubar; in Meinungsumfragen liegt sie meist im sehr niedrigen einstelligen Bereich. Für einen großen Teil der Bevölkerung ist sie durch ihre Vergangenheit und sehr scharfe Rhetorik nicht glaubwürdig.

derStandard.at: Burdschanadses Auto soll nach offiziellen Angaben zwei Menschen überfahren haben als die Demo aufgelöst wurde. Halten Sie das für plausibel?

Huter: Das ist sehr schwer abzuschätzen. Es hat stark geregnet und es war mitten in der Nacht, es scheint mir aber durchaus möglich, dass die Schilderungen des Innenministeriums zutreffen. Es gibt ein Video, das den Unfall zeigt, es ist aber von sehr schlechter Qualität und erlaubt kaum Rückschlüsse. Allerdings hat das auftauchen unklarer und misteriöser Videos und Telefon-Mitschnitte in Georgien auch schon Tradition. So hat das Innenministerium heute Aufnahmen veröffentlicht, die belegen sollen, dass Burdschanadse einen blutigen Putsch gegen die Regierung überlegt habe. Sie selbst sagt, die Aussagen seien aus dem Zusammenhang gerissen worden.

derStandard.at: In zwei Jahren stehen die nächsten Präsidentenwahlen an, wollen die Georgier Saakaschwili überhaupt jetzt schon loswerden?

Huter: Saakaschwili muss 2013 sein Amt auf jeden Fall abgeben, da seine zweite verfassungsmäßige Amtszeit ausläuft. Es gibt derzeit zwar konstruktive Oppositionsparteien, sie sind aber allesamt sehr schwach organisiert, kaum eine hat realistische Visionen oder ideologische Basis, wie sie das Land führen möchte. Das links-rechts-Spektrum existiert in Georgien nicht wirklich. Viele Parteien basieren nur auf einem Führer, der Freunde um sich schart. Echte Alternativen gibt es bislang zumindest nicht.

derStandard.at: Wieviel Unterstützung hat Saakaschwili noch?

Huter: Die Regionalwahlen im vergangenen Jahr haben gezeigt, dass Saakaschwili und seine Partei United National Movement (UNM) doch relativ großen Rückhalt im Volk haben, landesweit haben sie etwa 65 Prozent der Stimmen bekommen. Bei den Parlamentswahlen 2012 werden wir wohl keinen Machtwechsel sehen, vielleicht aber eine gestärkte Opposition, die die Arbeit der Regierung besser kontrollieren kann. Das demokratiepolitische Kernproblem Georgiens derzeit ist die Verfassungsmehrheit des UNM im Parlament, es gibt kein funktionierendes System von Checks and Balances. Unabhängige Medien sind sehr schwach und erreichen nur kleine Teile der Bevölkerung, die beiden führenden landesweiten Fernsehsender sind von der Regierung kontrolliert. Die Rechtsprechung ist auch noch nicht so unabhängig wie sie sein sollten, es gibt keine Institutionen, die die Machtfülle der Regierungspartei und des Präsidenten ausbalancieren könnten.

derStandard.at: Welche Probleme lasten am schwersten auf dem durchschnittlichen Georgier?

Huter: Das Hauptproblem ist die massive Arbeitslosigkeit von geschätzt über dreißig Prozent. Dazu kommt eine große Unterbeschäftigung, Leute haben zwar einen Job, der aber nicht genug abwirft um damit den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Ein Viertel der georgischen Bevölkerung lebt von weniger als zwei US-Dollar am Tag, vor allem außerhalb der Hauptstadt ist Armut ein großes Problem. Im vergangenen Jahr sind Lebensmittel um zirka 25 Prozent teurer geworden, was weite Teile der Bevölkerung hart getroffen hat. Die positive wirtschaftliche Entwicklung Georgiens ist bei vielen Menschen noch nicht angekommen.

derStandard.at: Gerade das Wirtschaftsembargo durch Russland belastet die Bevölkerung stark. Ist das in der Gesellschaft noch ein Thema?

Huter: Russland hat schon vor dem Krieg ein Embargo gegen georgischen Wein und Mineralwasser erlassen. Das hat der georgischen Wirtschaft einen kleinen Dämpfer versetzt, sie aber auch gezwungen, sich in Richtung neuer Märkte zu orientieren, vor allem jene in Europa. Das Problem ist, dass die Importe des Landes die Exporte massiv übersteigen. Was exportiert wird ist etwa Altmetall aus sowjetischen Industrieruinen, oder Autos, die aus Europa über Georgien nach Armenien und Aserbaidschan weiterverkauft werden. Die Lebensmittelpreise sind auch deshalb so stark gestiegen, weil Georgien etwa Weizen aus der Ukraine und Kasachstan importieren muss, um überhaupt die eigene Bevölkerung zu ernähren. 

derStandard.at: Abchasien und Südossetien hat Tiflis de facto längst verloren, trotzdem kommt es gelegentlich noch zu Scharmützeln.

Huter: Die Zukunft dieser beiden von Russland besetzten Gebiete dominiert nicht mehr den innenpolitischen Diskurs, aber weder die Regierung noch die Bevölkerung sind bereit, Abchasien und Südossetien in eine Unabhängigkeit zu entlassen. Das Langzeitziel der georgischen Politik bleibt die Wiederherstellung der territorialen Integrität innerhalb der international anerkannten Grenzen. Wie realistisch das ist, ist eine andere Frage. Die Frage der nationalen Sicherheit ist in den Köpfen der Bevölkerung immer noch ein essenzielles Thema. Russland hat seine Militärpräsenz in Abchasien und Südossetien in Abchasien weiter ausgebaut, was angesichts der geringen Größe Georgiens in den Augen vieler Menschen eine Gefahr darstellt.

derStandard.at: Ihre Organisation hat die Einkommens- und Besitzverhältnisse georgischer Politiker aufgelistet und veröffentlicht. Fühlen Sie sich noch sicher in Georgien?

Huter: Ich habe hier keinerlei Sicherheitsprobleme. Georgien ist ein relativ freies Land, es gibt hier keine Visaregulierungen für Staatsbürger der EU und der USA. Man kann hier einfach herkommen und arbeiten. Anders als in Russland oder anderen Ländern in der Region kommt es nicht vor, dass kritische Ausländer einfach nicht mehr ins Land gelassen werden. Mir sind auch keine Angriffe auf NGOs in den letzten Monaten und Jahren bekannt. Was wir gemacht haben ist, bereits öffentliche Einkommens-Erklärungen in ein durchsuchbares Dokument umzuwandeln, damit diese Daten auch verwendbar werden. In gewissen Bereichen hat Georgien große Fortschritte gemacht, was die Transparenz betrifft. Die 1.700 höchsten Politiker und Beamten müssen ihr Einkommen und ihren Besitz bis in die engere Verwandtschaft hin offenlegen. Das Parteienfinanzierungsgesetz ist etwa dem österreichischen wesentlich überlegen, ebenso das Informationsfreiheitsgesetz. In der Praxis gibt es natürlich in vielen Bereichen noch massive Probleme, etwa in Sachen Medienfreiheit, unabhängige Justiz, Eigentumsrechte und Wahlrecht. (flon/derStandard.at, 27.5.2011)