Signalisiert nach dem nicht rechtskräftigen Tierschützerfreispruch eine für das Justizministerium neue "Gesprächsbereitschaft nach allen Seiten": Christian Pilnacek.

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Standard: Dass wir uns gegenübersitzen, ist nicht selbstverständlich. Seit Beginn des Tierschützerverfahrens hieß es aus dem Justizministerium bisher: Wir kommentieren nichts. Was hat sich geändert?

Pilnacek: Nach dem Freispruch, der übrigens nicht rechtskräftig ist, besteht keine Gefahr mehr, das laufende Verfahren zu beeinflussen. Das macht den Unterschied.

Standard: Drückt sich darin vielleicht auch ein neuer Stil in der Öffentlichkeitsarbeit unter der neuen Justizministerin Beatrix Karl aus?

Pilnacek: Nein, denn schon unter der früheren Ministerin Claudia Bandion-Ortner war die Erkenntnis da, dass besser als bisher vermittelt werden muss, was Staatsanwaltschaften und Gerichte tun. Die Justiz muss sich in einer neuen Art präsentieren. Dazu zählt, dass man Gesprächsbereitschaft nach allen Seiten zeigt.

Standard: Im Tierschützerprozess scheint nach den Freisprüchen von der Anklage gar nichts übrig zu sein. War es rückwirkend betrachtet ein Fehler, diesen Prozess durchzuziehen?

Pilnacek: Man muss zwischen dem Zeitpunkt der Anklage und jenem der Urteilsverkündung unterscheiden. Die Staatsanwaltschaft hat bei einer bestimmten Dichte der Verdachtslage anzuklagen, dazu ist keine Gewissheit einer Verurteilung, sondern nur die Wahrscheinlichkeit nötig. Davon konnte sie zum Zeitpunkt der Anklageerhebung unserer Ansicht nach ausgehen. Vor Gericht hat sich dann einiges entwickelt.

Standard: Richterin Sonja Arleth hat die Tierschützer nicht nur vom Mafia-Vorwurf, sondern auch in allen angeklagten Einzeldelikten - Nötigung, Sachbeschädigung usw. - freigesprochen. Warum erkannten Staatsanwaltschaft, Oberstaatsanwaltschaft und Ministerium nicht vor Anklageerhebung, wie dünn die Suppe war?

Pilnacek: Um das zu beantworten benötigen wir jetzt eine schriftliche Urteilsbegründung. Dass die Richterin keinen Hinweis auf Bestehen der kriminellen Organisation sah, ist ziemlich klar, aber bei den Einzeltaten sind wir nach wie vor der Meinung, dass es Beweise gegeben hat. Aufgrund der schriftlichen Urteilsverkündung werden wir prüfen, ob es Möglichkeiten für ein erfolgreiches Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft gibt.

Standard: Kann der Beweismangel auch an einem fehlerhaften Vorgehen der Sonderkommission Tierschutz liegen?

Pilnacek: Auch das werden wird beleuchten. Wir wollen schauen, ob da Scharniere nicht ineinandergepasst haben - zum Beispiel im Fall der verdeckten Ermittlerin 'Danielle Durand'.

Standard: Im Mittelpunkt der Kritik in der Tierschützercausa steht der Paragraf 278a. Soll dieser reformiert werden?

Pilnacek: Hier gibt es in der Fachwelt divergierende Aussagen. Heinz Mayer etwa meint, der Paragraf sei in Ordnung, er werde nur schlecht angewandt, andere stellen die Bestimmung an sich infrage. Klar ist, dass Paragraf 278a und Folgeparagrafen nicht dazu da sind, um legitime Zwecke - etwa Tierschutz - zu kriminalisieren. Sondern um illegale Aktivitäten, die sich hinter legalen, menschenrechtlich geschützten Vorgangsweisen verstecken, zu ahnden. Wir überlegen derzeit, ob der Fehler darin liegt, dass schon der bloße, dringende Verdacht, Mitglied einer Organisation zu sein, ausreicht, um schwerwiegende Grundrechtseingriffe im Ermittlungsverfahren zu setzen.

Standard: Sie meinen, künftig sollten ohne Einzeltatverdacht - etwa Sachbeschädigung - keine 278a-Ermittlungen mehr stattfinden?

Pilnacek: Ja, es sollte dieser Verdacht nicht hinreichen, um die schwersten Grundrechtseingriffe wie etwa einen Lauschangriff durchführen zu können.

Standard: Wie sollte diese Änderung festgeschrieben werden?

Pilnacek: Nicht in Paragraf 278a an sich, sondern im Prozessrecht.

Standard: Wie hält man echte Zivilgesellschaftszwecke und vorgeschobene rechtlich auseinander?

Pilnacek: Indem man sich anschaut, mit welchen Mitteln Anliegen durchgesetzt werden sollen. Die Protestbewegung im Deutschland der 1970er-Jahre hat mit legitimen Demonstrationen gegen den Schah-Besuch begonnen. Und was ist daraus zum Teil geworden? Terroristische Aktivitäten.

Standard: Paragraf 278a stellt für NGOs derzeit eine Bedrohung dar. Was raten Sie Betroffenen?

Pilnacek: Achtsam in der Anwendung der Mittel zu sein. Wer an einer legalen Demonstration teilnimmt, geht kein Risiko ein. Aber unter Verdacht geraten kann jeder, auch ungerechtfertigt.

Standard: Ist das nicht irgendwie kafkaesk?

Pilnacek: Kafkaesk? Nicht unbedingt. Es hat mit dem Funktionieren des Rechtsstaats zu tun. Die Verdachtslage im Tierschützerverfahren wird ja bis hin zum Obersten Gerichtshof geprüft. (Irene Brickner, DER STANDARD/Printausgabe, 28./29. Mai 2011)