Links ein mathematisches Computermodell einer "Pioneer"-Sonde, rechts ein Nachbau.

Foto: ZARM

Bremen - Das Phänomen hat sogar einen eigenen Namen: "Pioneer-Anomalie". Es bezieht sich darauf, dass die 1972 bzw. 1973 gestarteten Schwestersonden "Pioneer 10" und "Pioneer 11" der NASA von ihrem Kurs abzuweichen begannen - seit 1979 wird dieses Phänomen registriert. Dies geschah glücklicherweise erst, nachdem sie ihre Aufgaben zur Erforschung des Jupiter und des Saturn erfüllt hatten, aber bemerkenswert blieb die Sache doch und wurde seitdem zum Gegenstand unterschiedlicher Hypothesen. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich die durch eine Abbremsung ausgelöste Abweichung von der berechneten Flugbahn immerhin schon auf mehr als 650.000 Kilometer hochgeschaukelt.

Mittlerweile gilt als nachgewiesen, dass Wärmestrahlung für die Abbremsung der beiden Sonden verantwortlich ist. Für die Berechnungen wurden sowohl die Auswirkungen der direkten Wärmeabstrahlung als auch deren Reflektion an verschiedenen Bauteilen der Sonde mit einbezogen. Eine wichtige Rolle in der Gesamtberechnung spielt dabei die Wärmeabgabe der Atombatterien, die die Zerfallswärme des Plutoniums zum Teil in Elektrizität umwandeln und den Rest in den Weltraum abstrahlen. Zusätzlich wird die von den elektrischen Verbrauchern erzeugte Abwärme abgegeben. Wenn aber diese Hitzeabstrahlung nicht absolut gleichmäßig in alle Richtungen erfolgt, führt dies bereits zu einem wahrnehmbaren Einfluss auf die Flugbahn.

Rechenmodelle

Ein Team von Claus Lämmerzahl vom Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) an der Universität Bremen beschäftigte sich vier Jahre lang mit einer ausführlichen Thermalanalyse der Sonden. Anhand eines detaillierten mathematischen Modells der Sonde in Kombination mit dem von der NASA bereitgestellten Datenmaterial berechnete ZARM-Mitarbeiter Benny Rievers die Oberflächentemperaturen zu jedem Zeitpunkt der Mission und anschließend die resultierenden Rückstoßkräfte.

Bereits 2009 konnte Rievers bestätigen, dass die Thermalstrahlung einen erheblichen Anteil an den Positionsabweichungen der Sonden hat. Im Jahr darauf lieferte eine verbesserte Version des verwendeten "Raytracers" (eines mathematischen Verfahrens zur Verfolgung von Strahlen in 3D) und eine detailliertere Modellierung der Sonde mit einer Genauigkeit von 20 Prozent den Nachweis dafür, dass thermale Rückstoßkräfte Grund der Anomalie sind. Um die Berechnungen weiter zu präzisieren, wurden nun auch der detaillierte Innenaufbau des Satelliten und der Wirkungsgrad der elektrischen Konverter mit einbezogen.

Am 27. März 2011 veröffentlichte ein portugiesisches Team um Frederico Francisco eine Arbeit, in der die obigen Ergebnisse für den letzten Teil der "Pioneer"-Missionen bestätigt wurden. Sie stützten sich dabei auf ein virtuelles dreidimensionales Computermodell der Satelliten. Nun ist eine Arbeit von Benny Rievers und Claus Lämmerzahl im Fachjournal "Annals of Physics" publiziert worden, in der mit ihrem verfeinerten Computermodell der "Pioneer"-Sonden unter Einbeziehung der Temperaturdaten die gemessene anomale Beschleunigung der kompletten Mission vom Start bis heute erklärt werden konnte. 

Keine mysteriösen Variablen in der Rechnung

Die Lösung des Rätsels erscheint - wie so oft im Leben - fast banal. Zumindest im Vergleich zu anderen Hypothesen, die unter anderem die Anziehungskraft dunkler Materie bemüht hatten oder gar darauf hinausgelaufen waren, dass vielleicht eine Modifizierung des Gravitationsgesetzes erforderlich sei. Mit dieser Erklärung ist es nun aber mit größter Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen, dass die Pioneer-Anomalie Ergebnis einer "neuen Physik" ist.
(red)