"Die Massentauglichkeit ist sehr wohl vorhanden"
Patryk Kopaczynski

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Ein ehemaliges Mitglied der Piratenpartei Österreich warf kürzlich seinen Ex-Kollegen Handlungsunfähigkeit vor: Es sei keine Bundesgeneralversammlung möglich und nur Personen, die gar nicht mehr in der Partei sind, hätten Zugriff auf die Mitgliederdaten. Auch die Schwesternpartei in Deutschland stand im Mai in den Schlagzeilen, als ein Teil ihrer Server wegen der Anonymous-Aktion gegen einen französischen Kraftwerksbetreiber beschlagnahmt wurde. Unter anderem darüber sprach derStandard.at mit dem Vorsitzenden der Piratenpartei Österreich, Patryk Kopaczynski.

derStandard.at: In der deutschen Öffentlichkeit wurde die Piratenpartei wegen "Servergate" harsch kritisiert – denken Sie, dass es sich dabei um eine politische Kampagne gegen die Interessen der Piratenpartei handelt?

Patryk Kopaczynski: Statt auf Spekulationen sollte man sich auf die Fakten konzentrieren. Für eine Kampagne gibt es derzeit keine Anzeichen. Wenn die näheren Umstände des Zustandekommens des Durchsuchungsbeschlusses und die daran beteiligten Personen bekannt gemacht werden, kann man die Situation bestimmt besser einschätzen. Ein Rechtsstaat sollte ein Interesse an einer Aufklärung dieser Vorfälle haben. Wenn diese Aufklärung ausbleibt, können wir nochmal über eine Kampagne spekulieren.

derStandard.at: Sehen Sie einen Grund, sich im Namen der Piratenpartei von solchen oder anderen Anonymous-Aktionen zu distanzieren?

Kopaczynski: Zuerst möchte ich erwähnen, dass Anonymous ein Kollektiv ist, bei dem es keine Mitgliedslisten gibt, keine Sprecher, keine Aufnahmehürden. Anonymous ist viel mehr ein Label als eine Gruppe, das sich jeder umhängen und auch wieder ablegen kann, wann immer er will. Daher distanziert sich die Piratenpartei Österreichs nur teilweise von diesen Aktionen und kann sie nur bedingt gutheißen. Die Ziele der Piratenpartei decken sich zum Teil mit denen von Anonymous, die gewählten Methoden tun dies nicht, wenn sie die Rechtsstaatlichkeit verlassen. Um es mal vorsichtig zu formulieren: Sofern die Aktionen von Anonymous als Teil politischer Willensbildung interpretiert werden können, sollte über eine adäquate Beurteilung nachgedacht werden. Demonstrationen sind legale Ausdrucksformen, um auf einen Missstand aufmerksam zu machen, daher sehen wir keinen Grund, das als rechtswidrig zu betrachten.

derStandard.at: Wie groß würden Sie die Schnittmenge an Anonymous-Aktivisten und Mitgliedern der Piratenpartei einschätzen?

Kopaczynski: Derzeit sind keine Mitglieder der Partei als Anonymous-Mitglieder bekannt, daher kann auch keine Abschätzung abgegeben werden. Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass bei den Großparteien, alleine schon aufgrund der größeren Mitgliederzahl, mehr Personen unter dem Label Anonymous aktiv sein könnten als bei der Piratenpartei.

derStandard.at: Eines Ihrer ehemaligen Mitglieder verlautbarte vor kurzem, die PPÖ sei handlungsunfähig – zudem gab es in der Partei in letzter Zeit sogar einen leichten Mitgliederschwund. Wie ernst ist die Lage?

Kopaczynski: Aufgrund von Fehlinterpretationen der Satzung von diversen Ex-Mitgliedern sah es tatsächlich so aus, als wäre die Piratenpartei Österreich handlungsunfähig. Durch die mediale Verlautbarung des Ex-Mitglieds und die dadurch mobilisierte Hilfe von internationalen Piraten sind wir dankenswerterweise wieder dran, klar Schiff zu machen. Am vergangenen Mittwoch wurde die Bundesgeschäftsführung sowie der Bundesvorstand nachbesetzt. Einer satzungskonformen Übergabe der Mitgliedsdaten sowie der Serverzugänge sollte jetzt nichts mehr im Wege stehen. Aktuell sind wir gerade bei der Kontaktaufnahme zu den Ex-Mitgliedern, die die Zugangsdaten verwahren, um eine Übergabe in die Wege zu leiten. Damit möchten wir auch alle Parteimitglieder und Interessenten zur Bundesgeneralversammlung am 9. Juli in Tirol einladen.

derStandard.at: Warum haben es in Ihren Augen in den letzten 60 Jahren mit Grünen, LIF und BZÖ erst drei neue Parteien in den Nationalrat geschafft? Besteht vielleicht einfach nicht das Bedürfnis nach einer alternativen Bewegung?

Kopaczynski: Den Grund sehen wir einerseits beim mangelnden Budget der kleinen Bewegungen, um mit den großen mitzuhalten. Andererseits an der medialen Berichterstattung und den Hürden, denen sich kleine Gruppierungen bei Wahlen stellen müssen. Im Rahmen der Wien-Wahl 2010 gab es dazu eine Pressekonferenz der Kleinstparteien. Wenn man sich die Prozedur der Abgabe von Unterstützungserklärungen anschaut, dann scheint dieser bürokratische Stacheldraht gezielt gesetzt worden zu sein, damit ja keine Frischluft in die Ämter kommt. In diesem Bereich müsste man überhaupt eine Wahlreform durchbringen. Aber gerade jetzt besteht ein Bedürfnis nach wählbaren alternativen Bewegungen. Wie aus einem Artikel auf derStandard.at vom April hervorgeht, schätzen Politikwissenschafter die Chancen für eine neue Bewegung zwischen 15 und 20 Prozent ein.

derStandard.at: Könnte auch fehlende Massentauglichkeit der PPÖ ein Grund sein, dass sie noch keine relevanten Wahlerfolge feiern konnte? Oder gar am Namen, der in der Öffentlichkeit negativ geprägt ist?

Kopaczynski: Im Gegenteil, die Massentauglichkeit ist sehr wohl vorhanden. Was uns fehlt, ist die öffentliche Präsenz abseits des Internets, sowie mediale Berichterstattung, die das nötige Bewusstsein für unsere Themen schafft. Im Grunde müssten jede Österreicherin und jeder Österreicher, die schon mal eine Datei "am Urheberrecht vorbei" heruntergeladen haben, zumindest Sympathisanten, wenn nicht sogar Mitglieder der Piratenpartei sein. Damit wäre die Piratenpartei Österreich über Nacht vermutlich bei den größten Parteien Österreichs anzusiedeln. Das Bewusstsein dafür fehlt aber noch, hauptsächlich, weil es in Österreich noch keine drakonischen Strafen für das illegale Herunterladen gibt. Würden diese Strafen rigoros exekutiert werden, wäre das Bewusstsein schlagartig hergestellt und somit auch die Massentauglichkeit kommuniziert. Das Wort "Pirat" wurde übrigens im 15. Jahrhundert aus dem italienischen "pirata" geliehen, verfolgt man die Wurzeln aber weiter, kommt man zum griechischen Ausdruck "peira", der soviel wie "der Versuch, die Wagnis" bedeutet.

derStandard.at: Vertreter der Urheberrechtswirtschaft kritisieren das kostenlose Filesharing, weil dadurch die Einnahmen wegbrechen und die Millionen teuren Produktionen nicht mehr finanzierbar seien. Können Sie deren Anliegen nachvollziehen?

Kopaczynski: Wir können die Interessen der Urheberrechtslobby sehr gut nachvollziehen: Gewinnmaximierung und Steuerbarkeit des Marktes, die sich rein nur auf die Kreativwirtschaft richten. Wenn keine ausreichende Nachfrage nach Millionen teuren Produktionen besteht, sollte man dann nicht seine Strategie überdenken und das Angebot zurückfahren? Die Nachfrage besteht nicht nur aus der Anzahl, sondern auch aus dem Preis, den jemand dafür bereit ist zu zahlen. Schön zu sehen ist ebenfalls gerade an der aktuellen Debatte zum Leistungsschutzrecht, wo schon für das Zitieren von Überschriften Gebühren anfallen würden. Die Piratenpartei setzt sich für künstlerische Vielfalt ein, sowie für die Freiheit der Kunstschaffenden, Vertriebswege abseits der Contentmafia zu finden. Übrigens bei Qualitätsbands hat sich in letzter Zeit der Trend zu Gratisdownloads immer weiter verstärkt, da diese ihre Umsätze hauptsächlich bei Live-Konzerten und mit Merchandising-Artikeln machen. Dass die Hochglanz-Playback-Produkte der großen Konzerne da nicht mithalten können, zeigt nur die verfehlte Strategie, die dahintersteckt.

derStandard.at: Sie sprechen beim Verlagsdenken der Kreativwirtschaft von einem veralteten Modell. Ist dieses Modell – wie Apple mit iTunes beweist – nicht sogar das Modell der Zukunft?

Kopaczynski: Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, sollte man alternative Modelle einfach ausprobieren können, Offenheit für eine Veränderung, denn es werden potentielle Kunden zu Feinden erklärt und veraltete Modelle künstlich erhalten. Apples iTunes funktioniert (oberflächlich) deshalb so gut, weil es von einem Großkonzern betrieben wird, der über das nötige Kapital verfügt und eine gewisse mediale Aufmerksamkeit genießt. Dass Apple nicht gerade als Datenschützer bekannt ist, wusste man auch schon vor dem iPhone-Geodaten-Skandal, etwa indem iTunes persönliche Musikbibliotheken der Nutzer an die Zentrale schickte. Die Preispolitik orientiert sich auch nicht an den Künstlern, da sie im Schnitt fünf Prozent des iTunes-Preises erhalten. Ein echter Quantensprung der Kreativwirtschaft wäre es, sich selbst untereinander zu organisieren, ohne Großkonzern. Gerade das Internet bietet die Möglichkeit dazu. Ich bin der persönlichen Meinung, dass jeder kunstschaffende Mensch selber die rechtmäßige Nutzung seines Opus bestimmten sollte, deswegen möchte ich auf Creative Commons aufmerksam machen.

derStandard.at: Die Piratenpartei hat mehrfach die Vorratsdatenspeicherung kritisiert. Wo liegen die Gefahren genau?

Kopaczynski: Das Fatale an der Vorratsdatenspeicherung ist, dass es eben keine konkreten Auswirkungen gibt, solange die Betroffenen nicht am Radar der Behörden auftauchen. Das kann jederzeit und auch recht willkürlich passieren. Ebenfalls haben wir einen leichten Zweifel an der technischen Kompetenz unserer Behörden: Welche Formen das Ganze annehmen kann, haben wir im Tierschützer-Prozess gut mitverfolgen können. Darüber hinaus kann man noch weitere Auswirkungen vermuten, etwa den Anstieg der Wirtschaftskriminalität, weil potentielle Whistleblower abgeschreckt werden, Missstände aufzudecken. Oder mehr Korruption, da ein Missbrauch dieser Daten einer diesbezüglichen Aufdeckung entgegen wirkt. Die Menschen werden mit ihren Kontakten sorgsamer umgehen, was einen Verlust der freien Meinungsäußerung bewirken könnte. Dieses ganze System bedeutet auch enorme Kosten, wodurch letztendlich die Bürger ihre eigene Überwachung bezahlen werden. Schließlich ebnet jede neue Kontrollmethode auch den Weg für weitere Einschränkungen der persönlichen Freiheiten, damit der Status Quo der gefühlten Sicherheit aufrecht erhalten werden kann. Die Bevölkerung wird in die Passivität gedrängt und gleichzeitig abgestumpft. Analog zu einer Stadt, in der eine sehr dichte Abdeckung von Überwachungskameras gegeben ist, wird der Bürger immer im Hinterkopf haben, dass er gefilmt wird und deshalb automatisch versuchen, weniger aufzufallen. Wenn er jetzt noch weiß, dass seine gesamte Kommunikation für sechs Monate gespeichert wird, wird er auch versuchen, hier möglichst wenig aufzufallen. Die Kritik wird im Endeffekt immer leiser und der Bürger passiver in seiner Zivilcourage. (Michael Matzenberger, derStandard.at, 6. Juli.2011)