Gavin Romanick (11) am Prenzlauer Berg. Der US-Amerikaner erzieltet einen von drei Giants-Touchdowns in Hälfte eins.

Foto: Niki Pommer

Mario Nerad (20) rauschte durch den Sportpark, verlor den Ball aber auch einmal an den Gegner. Sein Fumble war aber nur eines von mehreren Missgeschicken der Giants in Hälfte zwei.

Foto: Niki Pommer

Tory Cooper (22) lässt Graz-Verteidiger Stefan Lechner (16) aussteigen und leitet mit seinem ersten Touchdown zu Beginn des dritten Viertels den Umschwung ein.

Foto: FRTP

Raiders Kicker Dennis Wiehberg (13) kickt bei 00:00 die Raiffeisen Vikings aus dem Rennen um die Euro Bowl. Innsbruck oder Magdeburg wird ein Finale zwischen den Raiders aus Tirol und den Adlern aus Berlin erleben.

Foto: Schellhorn

Kämpfen wie Ingenieure. Das NCAA Division III-College Rose Hulman (Fightin' Engineers) kommt von Prag via Schönbrunn nach Neudöbling, um Sonntagnachmittag das Nationalteam Österreichs zu spielen.

Foto: Vikings/AFBÖ

Es war eine Mischung aus groben Unfug, Pech, Unvermögen und einer deutschen Renitenz, die den Graz Giants im vierten Versuch erneut den Einzug ins Endspiel der European Football League verwehrte. Die Grazer, bekannt dafür, manch zweite Hälfte an sich unbemerkt vorbei ziehen zu lassen, zeigten am vergangenen Samstag am Prenzlauer Berg erneut - und dies auf eindrucksvolle Art und Weise - wie es eben nicht geht.

Der regierende deutsche Titelverteidiger, der im Vorjahr auf dem Weg zur Euro Bowl schon die Raiders und Vikings eliminierte, ließ heuer bereits die Danube Dragons im Viertelfinale über die Berliner Klinge springen. Mit den Graz Giants gastierte das letzte der großen vier Teams aus Österreich in der deutschen Hauptstadt, welches die Adler in der Neuzeit noch nicht geschlagen haben. 1988 (43:24) und 1992 (26:23) gab es die letzten Siege gegen Graz, zwischenzeitlich warfen die Steirer die Deutschen aus dem europäischen Cup-Bewerb (26:18, 2006).

Neuaufbau nach Kahlschlag

Noch dazu stehen die Adler in einem Umbruchjahr. Nachdem man die Raiders nämlich im Euro Bowl-Halbfinale 2010 am Footballfeld schlug, luden die Tiroler Berlin auf eine Nachspielzeit auf dem Finanzfeld ein. Ein Spiel, welches der familiär geführte Berliner Klub gegen den Swarovski-Angriff nur verlieren konnte. Im Abschluss-Huddle der German Bowl, welche die Berliner knapp an Kiel abgeben mussten, erklärte Head Coach Shuan Fatah den Seinen dann auch was Sache ist: Die Raiders haben gerufen und er werde Berlin verlassen. Mit ihm gingen Offense-Coordinator Lee Rowland, Quarterback Kyle Callhan und Allzweckwaffe Talib Wise. Auch Kicker Dennis Wiehberg, der noch eine wichtige Rolle spielen soll, ging mit und das, obwohl er auf Grund der in Österreich herrschenden A-Klasse-Regel nur in internationalen Spielen zum Einsatz gebracht wird. Die Raiders nahmen den Adlern also ihr Grundgerüst weg, die holten sich im Gegenzug den in Innsbruck nicht mehr gebrauchten Runningback Tory Cooper. Auch der spielt gleich noch eine Hauptrolle.

Alles in allem eigentlich gute Voraussetzungen für die Giants, die zwar ein kleines Lazarett mit sich schleppen, aber auch leicht dezimiert bisher mit einer extrem explosiven Pass-Offensive und einer bissigen Defense zu überzeugen wussten. Die bis vor dem Spiel einzige Saisonniederderlage kassierten die Grazer von den Raiders, in einem Match, in dem man einen Vorsprung von zwei Touchdowns in den letzten Minuten noch verspielte. Auch das, zum Dritten, wird gleich wieder Thema sein.

Die erste Hälfte des Halbfinales im Friedrich-Ludwig-Jahn Sportpark, dessen 20.000 Sitzplätze zu fünf Prozent gefüllt waren, zeigte eine Mannschaft, die aufspielte (Graz) und eine, die mit offenen Mündern zuschaute (Berlin). Man wolle den Giants-Quarterback Chris Gunn unter Druck bringen, dann würde er schon Fehler machen. So der Plan Berlins. Von den für Gunn viel zu langsamen D-Linern und Linebackern gejagt, warf er Touchdowns auf Armando Ponce de Leon und Jungspund Max Taurer. Aus kurzer Distanz schlug dazu noch Gavin Romanick zu. Von einem funktionierenden Angriff war in Hälfte eins von Berlin wenig zu sehen. Die Grazer hatten das Spiel auf beiden Seiten der Line unter ihrer Kontrolle, was Alexander Cucek mit einer Interception an Berlins Spielmacher Clint Toon untermauerte.

Zur Pause blickte ich in entsetzte Berliner Gesichter. Vorstand und Organisation wussten, dass es ein schwerer Gang werden wird, aber eine Abfuhr, die hat man sich doch nicht erwartet. „Was passiert hier mit uns?" fragte mich ein ratloser Frank Metscher, seines Zeichen Präsident der Adler. Gunn auf der Flucht spielte sich mit den Verteidigern der Berliner, ließ sie an sich ran, um sie kurz danach mit zwei schnelle Bewegungen wieder abzuschütteln. Flinkes Kätzchen vs. dicker Bär. Halb im Scherz, halb ernst, beruhigte ich Metscher damit, dass die Giants die zweite Hälfte oft mal verschlafen, im Hinterkopf befürchtend, aber noch nicht wirklich ahnend, dass es dann auch genau so kommen sollte.

Berlins Cheftrainer Dave Likins und sein Coaching-Staff stellten in der Kabine Offense und Defense jedenfalls um, versuchten mit Adjustments Aktionen zu lancieren, die den Grazern noch nicht vom Videostudium her bekannt waren. Und das schlug an.

Der Katastrophe Verlauf

Zu leicht und locker kamen die Berliner zu ihrem ersten Score im Spiel. Gleich nach Wiederbeginn bediente Clint Toon besagten Tory Cooper mit einem Touchdown Pass über 31 Yards. Was dann passierte, das war dann eigentlich schon vorbestimmt. Die Berliner gewannen an Selbstvertrauen, die Grazer verloren den Ball (Fumble von Mario Nerad). Wenig später erzielte Daniel Vöhringer das 14:21, wieder nach einem Pass von Toon. Das Schicksal abwenden wollend, gelang den Giants ein Field Goal über Raimund Winkler zum 14:24. Das Kicken ist an sich keine ausgemachte Stärke der Grazer, seit Christoph Kipperer in Pension ging, aber dieses Mal passte der Ball aus 33 Yards.
Doch der Knopf war den Berlinern längst aufgegangen, das Momentum trug zur Grazer Trauer bereits tiefes Schwarz und grelles Gelb. Kicker Justin Sterz verkürzte auf 17:24, setzte danach zum Onside Kick an, der von Berlin erobert wurde. Clint Toon auf Danilo Gonzales zum 23:24, plus ein weiterer Pass auf ihn in die Endzone zur 2-Point-Conversion und erstmaligen Führung von 25:24. Im Schnellverfahren holten die Adler im letzten Quarter nach, was sie bis dahin verabsäumt hatten. Sterz kickte sogleich wieder kurz, Leo Sumnitsch konnte den Ball nicht festhalten, die Adler eroberten ihn und Tory Cooper erzielte im Handumdrehen das 32:24. Die Giants hatten nur noch eine Chance. Im letzten Drive gelang Gunn auch der Anschluss Touchdown zum 32:30, die Conversion scheiterte aber ebenso wie ein danach folgender Onside-Kick der Giants. Berlin konnte die Zeit auslaufen lassen.

Giants Head Coach Rick Rhoades verstand die Niederlage, wusste aber nicht, wie er sie hätte abwenden können. Dave Likins über Rhoades: „Rick ist meiner Meinung der beste Coach in Europa, wir hatten auch viel Glück mit unseren Kicks." Die Grazer Mannschaft, die über zwei Tage mit dem Bus mit Zwischenhalt Leipzig nach Berlin angereist war, lag am Boden und musste sich einmal mehr fragen, was in Hälfte zwei für sie so oft verkehrt herum läuft.

Die Berliner Mannschaft versammelte sich noch im Stadion hinter meinem Notebook, denn das Spiel in Innsbruck, welches zwei Stunden später begann, war ja noch im Gange und wir „juckten" zusammen auf raidersTV, wer denn ihr Finalgegner werden wird. Der Wunsch der Spieler war klar: Raiders. Sie wollten gegen ihren Ex-Coach spielen, der aus ihrer Sicht des schnöden Mammons wegen die Fronten wechselte. Wofür nicht wenige allerdings auch Verständnis zeigten.

Das Spiel am Tivoli verlief ganz anders als jenes am Prenzlauer Berg. Die zwei besten Verteidigungsreihen des Landes standen sich gegenüber und die neutralisierten sich weitgehend in einem Klassiker des heimischen Footballs. Die Vikings gingen über Tony Hunt (der danach verletzt ausfiel) in Führung und sollten diese in der regulären Spielzeit nie mehr abgeben, aber trotzdem verlieren. Das ist zwar eine extrem schwierige Übung im Football, aber immer noch möglich.

Die Partie wird heute (Montag) ab 19:45 als „As Live" Wiederholung via raidersTV ausgestrahlt.

Raiders Quarterback Kyle Callahan, der im Verlauf des Spiels die Picks Nummer zehn und elf seinem mittlerweile fetten Interception-Konto hinzufügte, erzielte im zweiten Quarter den Ausgleich und das sollte auch der letzte Touchdown im Spiel gewesen sein. Nach der Pause holte Peter Kramberger mit einem Fieldgoal die Führung für Wien zurück und die Vikings sahen danach zunächst dazu imstande aus, diese auch über die Zeit bringen zu können. Zwei Minuten vor Ende der Partie kickte Dennis Wiehberg die Raiders zum Ausgleich. Und als Wiehberg die Chance bekam, sein Team bei auslaufender Uhr erstmals in Führung zu bringen (und damit das Spiel zu entscheiden), nutzte er diese auch.

Kuriositäten

Damit wurden beide Halbfinalspiele der EFL von Kickern wesentlich mit entschieden (Justin Sterz' Onside Kicks und Dennis Wiehbergs' Fieldgoals) und beide stammen aus Berlin! Das Spiel in Innsbruck wurde bei einer Spielzeit von null Sekunden entschieden, somit gerieten die Vikings ein einziges Mal in Rückstand, nämlich just dann, als die Spieluhr bereits ausgelaufen war. Während die Uhr lief lagen die Wiener entweder in Führung, oder mit den Raiders gleichauf. Die Vikings sammelten zuvor schon schlechte Erfahrungen mit deutschen Kickern in Verbindung mit der EFL und auslaufenden Uhren. In der Euro Bowl 2010 entschied Berlin Kicker Benjamin Scharweit (Nomen est omen) bei 00:01 im Anlauf zu einem Monster Fieldgoal aus 52 Yards das Spiel für die Berliner. Die Adler wollen Scharweit, der in Spanien lebt und studiert, nun extra für das Finale einfliegen lassen. „Nur zur Sicherheit", so Präsident Metscher mit einem Augenzwinkern, der anmerkte „Jung, mit deiner Prognose für die zweite Hälfte hattest du dann ja wirklich Recht!" Ich verließ Berlin mit einem „100 % Berlin Adler" T-Shirt und der leisen Hoffnung, dass es nicht bei diesen 100 bleiben wird. Sollten die Adler erneut die Euro Bowl gewinnen, dann stellt Deutschland fürderhin den Europameister auf Klub- und auf Nationalteam-Ebene und blieb das alleinige Maß der Dinge in Europa.

Euro Bowl Halbfinali

Berlin Adler vs. Graz Giants 32:30
(0:0/0:21/14:0/18:9)
»Spielstatistiken«

Swarco Raiders Tirol vs. Raiffeisen Vikings 13:10
(0:7/7:0/3:0/6:0)
»Spielstatistiken«

Das Finale wird am Wochenende 18./19. Juni stattfinden. Für die Austragung bewerben werden sich aller Voraussicht nach die Raiders und die Stadt Magdeburg, welche der Austragungsort der nächsten drei German Bowls ist. Die Bewerbungsfrist läuft bis 31. Mai 2011 um 12.00 Uhr. Der europäische Verband möchte zügig entscheiden, heißt: noch am Abend des selben Tages.

Kämpfende Ingenieure

Mit dem Gegeneinander ist es am kommenden Wochenende für einige Tage vorbei, denn es regiert das Miteinander im Nationalteam. Die Spieler der Vikings, Raiders und Giants, dazu noch einige Dragons, Rangers (zweite Liga) und Black Lions, treffen zum zweiten Mal nach 2010 auf ein US-College. Im Vorjahr schrieb das österreichische Team in der Charity Bowl Geschichte, als erstmals ein rein europäisches Team eine College-Auswahl schlug. Augustana unterlag am tiefen Boden der Hohen Warte Österreich mit 0:7.

Auch heuer wird die Charity Bowl der Raiffeisen Vikings zur Vorbereitung des Nationalteams für einen Groß-Event genutzt. Dieses Mal ist es keine EM, sondern die Heim-WM, welche von 8.-16. Juli in Innsbruck, Graz und Wien stattfinden wird. Die Mannschaft von Rick Rhoades trifft kommenden Sonntag (5. Juni, Kickoff 16:00) auf das Rose Hulman College. Die „Fightin' Engineers" sind auf Europa-Tour, werden nach einem Sightseeing in Prag nach Wien zur 13. Auflage der Charity Bowl anreisen.

Charity Bowl XIII
Team Austria vs. Rose Hulman Fightin' Engineeres
5. Juni 2011, Kickoff 16:00, Hohe Warte Wien