Aus Dürers Vorzeit: Bildnis einer Dame mit dem Schwanenritterorden (süddeutsch, um 1460).

Foto: Mudeo Thyssen-Bornemisza, Madrid

Wien - "Was aber die Schönheit sei, das weiß ich nicht." Was Albrecht Dürer allerdings wusste, war, dass die Kunst in der Natur liegt, und "wer sie heraus kann reißen, der hat sie". Im Naturalismus, das erkannten Dürer und andere Künstler an der Schwelle zur Renaissance, liegt die hohe Kunst des Porträts. Ähnlichkeit, Lebendigkeit und Wesensnähe lauteten die noch heute gültigen Kriterien für ein Menschenbildnis; und so blieb ein monströser Zinken, auch Charakternase genannt, ein monströser Zinken, selbst wenn ihn Kaiser Maximilian I. höchstselbst im Gesicht trug.

Und war die Haut des Monarchen auch schon schlaff, als ihn Dürer (1471-1528) zeichnen durfte, so ist das 1519 nach dieser Vorlage entstandene Gemälde (KHM) trotzdem seiner kaiserlichen Herrschaft würdig. Auch Lucas Cranach d. Ä. (1472-1553) war nicht besonders gnädig: Und so fand der enorme Silberblick des Markgraf Albrecht von Brandenburg-Ansbach um 1511/12 dauerhaft ins Bild. Nicht gerade idealisiert hat der Hofmaler Heinrichs VIII., Hans Holbein d. J. (1497/98-1543) dessen dritte Frau Jane Seymour.

Diesen dreien ist die aktuelle Ausstellung des Kunsthistorischen Museums dem Titel nach (Dürer - Cranach - Holbein) gewidmet: Hinter den populären Namen verbirgt sich eine Präsentation, die zwar mit einer stattlichen Zahl von Dürer-Werken (darunter das herzzerreißende Bildnis seines Vaters aus der Londoner National Gallery), etlichen Cranachs und ein paar wenigen Holbeins aufwarten kann. Im Grunde geht es aber nicht allein um diese Kapazunder der Malerei, sondern um die deutsche Porträtkunst um 1500, die die "Entdeckung des Menschen" feierte. Der Sinn der Bildnisse war, nicht die Eitelkeit des Dargestellten zu befriedigen, sondern das Aussehen der Menschen über ihren Tod hinaus zu bewahren. So schwebt über jedem Bild auch ein Todeshauch. Explizit sichtbar wird das Vanitas-Lüftchen etwa in Lukas Furtenagels herrlichem Doppelporträt von Maler Hans Burgkmair d. Ä. und seiner Frau, die im Spiegel ihre eigenen Totenköpfe erblicken.

Nach dem Leben

Nicht minder interessante Beispiele der Porträtkunst steuern Hans Baldung Grien, Barthel Beham oder Bernhard Strigel bei. Wer allerdings mehr Holbein zum Glück braucht, muss wohl ab 16. September nach München reisen. In der erweiterten Kooperationsausstellung der Hypo-Kunsthalle ist sowohl dessen wunderbares Porträt von Charles de Solier zu sehen als auch Dürers Bildnis der Elsbeth Tucher.

"Naer het leven", also "nach dem Leben" sollten die Dinge gemalt sein. Der seit dem 16. Jahrhundert gebräuchliche niederländische Ausdruck macht deutlich, woher die Freude am Naturalismus rührt: In Sachen Authentizität waren die Altniederländer, allen voran Jan van Eyck (um 1390-1441), wahre Meister.

Seine bescheidenen und fast hundert Jahre zuvor entstandenen Porträts von Kardinal Albergati oder dem Goldschmied Jan de Leeuw (beide im KHM) sind dafür gute Beispiele. Noch besser: das ohne van Eyck gar nicht denkbare Bildnis des ferraresischen Hofnarren Gonella - ein sympathischer Alter mit ebenso wissenden wie freundlichen Augen im faltigen Gesicht. "Nur der Atem fehlt", ist dieses Kapitel überschrieben, das zwar die Wurzeln deutscher Porträtkunst ausweist, jedoch in einem Kabinett eher ab- denn ausgestellt wurde: ein Alibi-Ausflug ohne Entsprechung im Katalog. Denn den Auftakt zur Schau bestreitet ein ganz anderes, prominentes Wiener Gemälde, eines der beiden ältesten Bildnisse nördlich der Alpen: Das Rudolf der Stifter genannte Bildnis von Erzherzog Rudolf IV. aus dem Dommuseum. Der "schonungslose Realismus" weise auf die charakteristischste Eigenheit des deutschen Porträts hin. Vermutlich hat es Dürer niemals gesehen. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD - Printausgabe, 31. Mai 2011)