Die Ausbildung von Tophi ist typisch für die chronische Form der Gicht. Sie können praktisch an jedem betroffenen Gelenk auftreten.

Foto: Univ. Klinik für Innere Medizin I in Innsbruck

Tophi sind zwar schmerzlos, können bei entsprechender Lokalisation die Patienten in ihrer Aktivität aber beträchtlich behindern.

Foto: Univ. Klinik für Innere Medizin I in Innsbruck

König Karl V aus dem Hause Habsburg litt ebenso darunter, wie der Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. Die Gicht galt jahrhundertelang als Krankheit der oberen Zehntausend, und wurde zudem als Zeichen besonderer Intelligenz interpretiert. Ihr königliches Privileg hat sie verloren. Das „Zipperlein" hat sich in den westlichen Industrieländern harmonisch über alle Bevölkerungsschichten verteilt. 

Der Begriff „ Zipperlein" mutet harmlos an, in Wahrheit ist diese entzündlich-rheumatische Erkrankung der Gelenke jedoch eine äußerst schmerzhafte Angelegenheit. Mit dem Gefühl in einen Schraubstock eingespannt zu sein, ertragen die Betroffenen während eines Gichtanfalls im großen Zeh kaum das Gewicht der Bettdecke oder den Druck einer Socke. Was hinter den quälenden Schmerzen steckt? Die Harnsäure, ein Abbauprodukt der Purine.

Unterschätzte Hyperurikämie

Knapp ein Viertel der österreichischen Gesamtbevölkerung lebt mit einem erhöhten Harnsäurespiegel. Ungefähr zehn Prozent davon entwickeln auch eine Gicht. „Das Risiko einer Hyperurikämie wurde lange Zeit falsch eingeschätzt. Auf eine Behandlung wurde deshalb bei Symptomfreiheit verzichtet", wirft Johann Gruber, Rheumatologe an der Universitätsklinik für Innere Medizin I in Innsbruck, vorweg einen Blick in die Vergangenheit.

Heute wissen Mediziner mehr und fordern deshalb den erhöhten Harnspiegel als integralen Bestandteil des metabolischen Syndroms zu betrachten. Derzeit zählen abdominelle Fettleibigkeit, Diabetes, Hypertonie und erhöhte Blutfette dazu. Ein Großteil der Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist dem tödlichen Quartett zu verdanken.

Bier und Suppenwürfel

Neben einer genetischen Veranlagung, führt vor allem die geschmackliche Vorliebe für Purine zu einem Überangebot an Harnsäure im Blut. „Biertrinker haben von allen die schlechtesten Vorrausetzungen", betont der Innsbrucker Internist. Der humpenweise Konsum wurde schon Karl V. in zweierlei Hinsicht zum Verhängnis. Denn Bier überschwemmt den Organismus nicht nur mit Purinen, der Alkohol hemmt gleichzeitig auch die Ausscheidung der Harnsäure. Für Gichtkranke und Hyperurikämie-Patienten sind alkoholische Getränke darum ein absolutes Tabu. Der Verzicht auf Suppenwürfel, Innereien und Fleischextrakte wird ebenfalls dringend empfohlen. 

Bringen diese purinreichen Lebensmittel die Harnsäure über ein gewisses Niveau, dann bilden sich winzige Kristalle, die sich bevorzugt in Gelenksspalten absetzten und dort zu schmerzhaften Entzündungen führen. Der Einfluss dieser Natriumuratkristalle auf das menschliche Immunsystem fand lange Zeit wenig Beachtung. Erst ein Forschungsteam um den Schweizer Biochemiker Jürg Tschopp identifizierte 2006 das alles entscheidende Inflammason. Von den abgelagerten Kristallen zur Hyperaktivität angeregt, erzeugt dieser Multiproteinkomplex über den Botenstoff Interleukin I massive entzündlichen Reaktionen.

Kalte Zehen

Meist werden die Betroffenen nachts und im Großzehengrundgelenk überrascht. Diese Lokalisation ist für einen akuten Gichtanfall nicht ungewöhnlich, sondern hat mit der Körpertemperatur in den Akren (Körperteile, die am weitesten entfernt sind vom Rumpf, Anm. Red.)zu tun. „Die Harnsäure ist ein Löslichkeitsprodukt und als solches temperaturabhängig. In Großzehen oder Ohren ist die Temperatur niedriger als im Körperkern. Daher kommt es dort leichter zum Ausfallen der Kristalle", erklärt Gruber. 

Auch ohne Behandlung klingt eine Attacke meist innerhalb weniger Tage ab. Die anschließende Schmerzfreiheit ist allerdings oft nicht von Dauer. Nach jeder üppigen Mahlzeit müssen Gichtpatienten mit einem akuten Ereignis rechnen.

Nierensteine und Tophi

„Viele Patienten lassen sich nach wie vor nicht behandeln und leben von einem beschwerdefreien Intervall zum anderen", weiß Gruber. Dieses Abwarten begünstigt die Entstehung der chronischen Gicht und bleibt nicht ohne Folgen. Langfristig zerstören die abgelagerten Harnsäurekristalle die Gelenke und gefährden auch die Nieren, die den zahlreichen Kristallen ebenfalls nicht gewachsen ist. Nierengrieß und Nierensteine bilden sich und verursachen eventuell eine chronische Niereninsuffizienz. Gut sichtbar und typisch für die chronische Gicht sind auch Knötchen, von Medizinern Tophi genannt. Sie finden sich häufig an Ohrläppchen, Fingern und Füßen und sind kleine Kristallaggregate. 

„Je höher die Harnsäure, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Gichtanfall auftritt", kommt Gruber erneut auf die Hyperurikämie zurück. Umgekehrt schließt auch ein normaler Harnsäurespiegel eine plötzliche Attacke nicht aus. Tatsächlich handelt es sich dabei nur um ein vorübergehendes Phänomen, denn im Anfall kann die Harnsäurekonzentration im Blut kurzfristig sinken. 

Ist ein Patient gänzlich anfallsfrei, dann wird seine Hyperurikämie jedenfalls nicht mehr ignoriert. „ Diät, Bewegung und Gewichtsabnahme sind in jedem Fall angesagt. Medikamentös greifen wir ein, wenn Risikofaktoren wie Diabetes, Übergewicht, Hypercholesterinämie oder Bluthochdruck dazukommen," so der Rheumatologe. Am häufigsten findet nach wie vor Allopurinol seinen Einsatz, ein Medikament das nicht selten zu allergischen Reaktionen führt und in Einzelfällen gefährliche Hauterkrankungen, wie das Stevens-Johnson-Syndrom und eine toxisch epidermale Nekrolyse verursacht. Febuxostat stellt seit 2010 eine nebenwirkungsarme Alternative zu Allopurinol dar. Langzeitdaten fehlen jedoch, und so dient der Nicht-Purin-Hemmer derzeit eher als Reserve für Patienten, bei denen Allopurinol nicht eingesetzt werden darf.

Feiern oder Fasten

„Im Übrigen ist für Hyperurämiker Feiern und Fasten gleichermaßen von Nachteil", ergänzt Gruber abschließend. Radikalkuren haben nämlich nicht nur einen abrupter Gewichtsverlust, sondern auch einen hohen Purinabbau zur Folge. (derStandard.at, 13.12.2011)