Wien - Der Speisesaal der Höheren Lehranstalt für Tourismus und wirtschaftliche Berufe (HLTW 13) ist gesteckt voll. Schüler und Lehrer feiern den Erfolg der diesjährigen Hotelübernahme: Zwölf Maturanten und ihre 150 Mitarbeiter aus der eigenen Schule führten für einen Tag das Austria Trend Hotel Savoyen. Dabei bewirteten sie 1000 Gäste und erwirtschafteten 30.000 Euro. Dieser Betrag kommt dem Entwicklungshilfeprojekt indischer Steinbruchkinder, ins Leben gerufen von Schauspieler Otto Tausig, zugute. Mit seinem sozialen Engagement ist er den Schülern ein strahlendes Vorbild. Drei Schülerinnen waren besonders neugierig und interviewten Tausig gemeinsam mit ihrer Deutschlehrerin Judith Wieser.
SchülerStandard: In einem Interview haben wir gelesen, dass Ihre Lieblingsspeise Fischstäbchen sind. Was denken Sie, erwartet Sie heute bei uns zum Mittagessen?
Otto Tausig: (lacht) Sicher etwas Besseres. Na ja, das mit den Fischstäbchen: Ich esse alles. Aber wir haben Freunde, die fahren 150 km irgendwohin, um in ein tolles Restaurant zu kommen. Und das ärgert mich. Dann sag ich: Ja, ich esse Fischstäbchen, ich mag das.
SchülerStandard: Wenn Sie heute 14 wären, wäre unsere Schule eine Option für Sie?
Tausig: Na ja, ich wollte nie Koch oder Hotelmanager werden. Ich wollte immer schon Schauspieler werden - schon als Kind.
SchülerStandard: Wie beurteilen Sie unsere "Hotelübernahme"?
Tausig: Das ist ganz imponierend, was ihr da macht! Erstens habt ihr auch selber etwas von diesem Tag, denn man hat ja praktischen Unterricht gewissermaßen. Und dass das für so einen Zweck ist, ist schon sehr erfreulich. Es ist auch alles toll organisiert, unglaublich!
SchülerStandard: Bleiben wir gleich bei diesem Thema: Warum engagieren Sie sich für den Entwicklungshilfeklub?
Tausig: Ich war selbst ein Flüchtling unter Hitler und konnte noch mit einem Kindertransport nach England fliehen. Dort hat man mich am Leben erhalten. Und ich finde, dass es jetzt meine Pflicht ist, das mit Zinsen zurückzugeben, anderen Leuten zu helfen, vor allem auch Jugendlichen. Ich habe in Hirtenberg ein Heim für junge Flüchtlinge aus Afghanistan gegründet. Also für Kinder, die heute ein ähnliches Schicksal haben wie ich damals. Der Entwicklungshilfeklub macht nur Projekte, die nicht abhängig machen. Und: Jedes Projekt wird kontrolliert. Es fahren immer Leute hin und schauen, ob das was taugt. Von diesen Vereinen scheint mir der Entwicklungshilfeklub der sinnvollste zu sein.
SchülerStandard: Finden Sie, dass die Menschen sozial genug sind?
Tausig: Ja und nein. Ein Beispiel: Ich war in Israel, in einem Kibbuz. Dort war ein wunderbarer Mann, mit leuchtenden Augen, grau-weißem Haar, und hat gesagt: Bei uns im Kibbuz, das ist der wahre Sozialismus. Der Wohlstand steigt, jeder hat heute einen Farbfernseher, und niemand hat einen Videorecorder. Und auf näheres Nachfragen hat man gehört, dass die jungen Leute wegrennen vom Kibbuz, denn die wollen heute einen Videorecorder. Sie wollen auch nicht dasselbe haben wie ihre Nachbarn, sondern sie wollen mehr haben. Und dieses "Mehr-haben-Wollen", das ist natürlich ein entsetzlicher Fluch. Man kann aber nicht sagen, dass die Leute nicht spenden wollen. Sie wollen nur wissen, dass die Spenden in die richtige Richtung gehen. Mein Lieblingsmotto dazu kommt von Brecht: "Sorgt doch, dass ihr die Welt verlassend, nicht nur gut wart, sondern verlaßt eine gute Welt". Also, man soll nicht für ein besseres Gewissen, sondern für eine bessere Welt etwas hergeben.
SchülerStandard: Uns interessiert auch, wie Sie die aktuelle politische Lage in Österreich einschätzen. Unlängst haben wir die Schlagzeile gelesen: "43 Prozent wollen FPÖ in der Regierung". Was löst das bei Ihnen aus?
Tausig: Entsetzen. Denn das ist ja das Schreckliche, dass ein politisches Geschäft damit gemacht wird, die anderen schlechtzumachen. Früher waren's die Juden, und jetzt sind's die Muslime und die Türken. Und es hat eine scheinbare Logik, dass es so und so viele Arbeitslose sind und dann die Ausländer an der Arbeitslosigkeit schuld sind. Das ist völliger Quatsch! Aber in ganz Europa gibt es eine Gegnerschaft gegen die Ausländer. Das ist schrecklich!
SchülerStandard: Es gibt viele alte Menschen, die behaupten, dass früher alles besser war. Erzählen Sie gern aus der Vergangenheit?
Tausig: Meine Frau, die hier war unter Hitler, aber nicht verfolgt wurde, kann Nazi-Filme nicht sehen. Sie erträgt es nicht, wenn ein Nazi einen Juden schlägt. Ich sehe es eigentlich nicht ungern, denn es gibt mir das Gefühl, dass ich das überstanden habe. Ich bin noch da, Hitler ist schon längst tot und das ist eigentlich ein gutes Gefühl - natürlich gemischt mit dem Entsetzlichen, das geschehen ist. Man muss versuchen, dass das, was geschehen ist, nie wieder passiert.
SchülerStandard: Weshalb ist Ihnen das Projekt "Steinbruchkinder in Indien" so wichtig?
Tausig: Wir wollen die Kinder, die in einem Steinbruch arbeiten müssen - was ja selbst nach indischem Recht verboten ist - dort rausholen und in eine Schule schicken. Denn sie wachsen mit einer Staublunge auf und haben eine ganz kurze Lebensdauer. Aber wenn wir sie in eine Schule bringen können, dann gibt es die Chance, dass es ihnen besser geht. Meine Frau und ich haben ein Heim in Indien für Kinder, die in der Teppichindustrie arbeiten, und die bekommen dort eine Ausbildung in Landwirtschaft, Tischlern und Schneidern.
SchülerStandard: Sie haben viele Rollen gespielt. Können Sie sich in all diese Figuren hineinversetzen? Gab es auch eine Rolle, die Sie überhaupt nicht mochten?
Tausig: Ein großes Thema, das ihr da anschneidet. Der Beruf ist etwas Wunderbares, weil man nicht nur ein Leben lebt, sondern viele. Zum Beispiel in Joshua Sobols Das Ghetto: Da steht der Nazi mit dem Gewehr, und da habe ich wieder erlebt, was mein Vater erlebt hat. Denn er war im Konzentrationslager. Ich konnte also mitleben, aber ich hab's überlebt! Was mir nicht gefallen hat? Es gibt unzählige Fernsehrollen von einer Blödheit, die man kaum aushält. Ich mach ja jeden Dreck, um Geld zu verdienen für die Dritte Welt. Aber es ist ein herrlicher Beruf, wenn man eine schöne Rolle hat, mit der man sich identifizieren kann. Interessant ist auch Folgendes: Ich bin jetzt schon sehr krank und kann oft gar nicht mehr gehen. Auf der Bühne ist dann aber alles weg. Dieses Adrenalin ist wirklich ein Wundermittel.
SchülerStandard: Ihre Biografie trägt den Titel "Kasperl, Kummerl, Jud". Würden Sie da gerne noch einen Begriff ergänzen?
Tausig: Also man wollte schreiben: Kämpfer für eine bessere Welt. Da hab ich gesagt: Na, das klingt so geschwollen, das will ich nicht. Kasperl ist ein anderer Ausdruck für Schauspieler, Kummerl steht für die politische Einstellung, die ich mal hatte, den Kommunismus, von dem ich jetzt enttäuscht bin. Jetzt bin ich nicht mehr in dem Sinn ein Kummerl, sondern versuche, Helfer zu sein. Helfer könnte man ergänzen. Und "Jud" ist keine Weltanschauung. Ich war ja nie Jude, nie bewusst, sondern Hitler hat gesagt, ich bin ein Jud. Das ist meine Beziehung dazu. (Hannah Wustinger, Belinda Spindler und Ivona Bosnjak, DER STANDARD, Printausgabe, 1.6.2011)