"Wenn du daran glaubst, gibt es dir größere Gewissheit, als wenn du darüber nachdenkst!"
Wie viele Religionslehrer diese Einstellung ihren Schülern vermitteln, ist ungewiss. Verpflichtet dazu sind die katholischen.

Kirchliches Wertesystem in punkto Erkenntnis versus ...

Als Folge der Querelen mit der Wissenschaft hat die Kirche im Ersten Vatikanum (1870) zwei Dogmen über den prinzipiellen Zugang zu Erkenntnis deklariert:

  • Glaube hat Vorrang vor Vernunft
  • Glaube und Vernunft können einander (letztlich?) nicht widersprechen

Diese moderner Wissenschaft hohnsprechenden Aussagen sind aktuell, wurden im Zweiten Vatikanum, im Katechismus (1993) und in "Fides et Ratio" (1998) bekräftigt.

Und obiger Satz über Gewissheit steht als Folge mittelalterlicher Scholastik als Artikel 157 im Katechismus: "Der Glaube ist gewiss, gewisser als jede menschliche Erkenntnis, ..."

Von solchen Grundsätzen innerlich überzeugt zu sein, ist also essentieller Wert für Religionslehrer, und den an die Schüler weiterzugeben, sind sie verpflichtet - m. E. explizit in ihrer kirchlichen Unterrichtszulassung.

(Dass die Kirche selbst sich selten daran hält, macht es nicht weniger suspekt. Was aber oft wie päpstlicher Eigensinn wirkt - etwa Kondomverbot - ist Folge solcher Dogmen.)

... staatliches Wertesystem ...

An öffentlichen Schulen unterrichtende Religionslehrer stehen damit in einer Zwickmühle. Der Staat verlangt von ihnen (wie von allen von ihm besoldeten Lehrern) laut Lehrplänen (z. B. BGBl. Nr. 134/2000) ganz andere Prioritäten zu setzen:

"Die (...) Schule hat (...) an der Heranbildung der jungen Menschen mitzuwirken, nämlich beim Erwerb von Wissen, bei der Entwicklung von Kompetenzen und bei der Vermittlung von Werten. Dabei ist die Bereitschaft zum selbstständigen Denken und zur kritischen Reflexion besonders zu fördern. (...)
Den Fragen und dem Verlangen nach einem sinnerfüllten Leben in einer menschenwürdigen Zukunft hat der Unterricht mit einer auf ausreichende Information und Wissen aufbauenden Auseinandersetzung mit ethischen und moralischen Werten und der religiösen Dimension des Lebens zu begegnen."

Es sind also nicht nur verschiedene, sondern konträr in Widerspruch stehende Prioritäten, die Staat und Kirche fordern - fundamentale Unvereinbarkeiten in Erkenntnisprozess und Urteilsbildung.

... zerspragelt die Religionslehrer

Religionslehrer sind demnach a) infolge der genannten Dogmen auf eine ganz besondere Weise befangen, und wie weit sie von ihrer Konfession abweichende Grundhaltungen überhaupt vermitteln können, ist zweifelhaft. Darüber hinaus stehen sie b) in einem dauernden Gewissenskonflikt, welchem der beiden "Herren" Staat (der sie bezahlt und gesetzlich verpflichtet) oder Kirche (der sie ihre Seele verschrieben haben) sie dienen sollen.

In diesem Sumpf stecken wir schon lange.

Völlig prekär wird es aber bei Religionslehrern, die ausgerechnet den Ethikunterricht für von Religion abgemeldete Schüler abhalten sollen. Hier verschärfen sich Wertedivergenzen besonders.

Weitere große Konfliktbereiche: Sexualmoral, Sinnfragen

Ein solcher Ethikunterricht überfordert diese Lehrer, denn es geht den Ehrlichen von ihnen weltanschauungsmäßig völlig gegen den Strich

  • Vernunft (kritisches Denken) generell über den Glauben zu stellen,
  • Werte darzustellen, die für sie selbst ein Gräuel sind (z. B. liberale Einstellung zu Ehescheidung und Homosexualität, Masturbation und vorehelicher Geschlechtsverkehr als empfehlenswerte, Empfängnisverhütung als probate, Abtreibung als legale Möglichkeit),
  • als mögliche Antwort auf Sinnfragen nicht mit einem verbrämten Gottesbegriff zu liebäugeln,
  • sondern in diesem Zusammenhang auch Religionskritik in einer objektiven und umfassenden Weise zu bringen.

Und die Unehrlichen von ihnen, die solche Inhalte unterrichten könnten, müssten mit kirchlicher Repression rechnen. Oder soll in "Ethik" ein Bogen gerade um solche Fragen gemacht werden? Verlierer wären Staat und Schüler. (Leser-Kommentar, Hermann Geyer, derStandard.at, 1.6.2011)