FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hat am Mittwoch im Europaparlament in Straßburg seinen ersten offiziellen Auftritt in einer zentralen EU-Institution absolviert. Geplant war das eigentlich als Auftakt einer freiheitlichen Anti-EU-Initiative und Annäherung an andere EU-kritische rechte Parteien in Europa, die im Parlament vertreten sind.

Er endete am späten Nachmittag aber in einem Eklat. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der Chefin des französischen Front National, der EU-Abgeordneten Marine Le Pen, verlor Strache die Nerven, nur knapp fünf Minuten vor Ende seines Tagesprogramms. Er attackierte den ORF-Journalisten Raimund Löw wegen einer kritischen Frage zur Debatte um die Aberkennung der Ehrenbürgerschaft für Adolf Hitler in Österreich als "Nestbeschmutzer". Löws Frage, die sich auf das Verhalten einiger FPÖ-Politiker bezog und eigentlich an Le Pen gerichtet war, sei "schäbig", und in der Sache "Unsinn", sagte ein sichtlich erregter FPÖ-Chef.

Straches Begleiter - Generalsekretär Harald Vilimsky und der Wiener Gemeinderat Johannes Hübner - trugen das übrige bei, dass Straches Auftritt im Finish aus dem Ruder lief, was später am Abend Parlamentsgespräch wurde und bei den übrigen Fraktionen für einige Aufregung sorgte.
Dabei schien es für Strache bis dahin ausgezeichnet zu laufen. Er führte - vom freiheitlichen EU-Abgeordneten Andreas Mölzer geschickt organisiert - erste Annäherungsgespräche mit Vertretern der rechtsnationalen Fraktion "Europa der Freiheit und Demokratie". Diese wird vor allem von der italienischen Lega Nord und der britischen "Unabhängigkeitspartei" (UKIP) getragen, die strikt EU-skeptisch auftritt, sich aber von rechtsextremen Gruppen in Europa abzugrenzen trachtet. Vorrangiges Ziel Straches: "Wir wollen früher oder später in einer europäischen Fraktion sein."

Das hatte vor allem die Ukip bisher strikt abgelehnt, nun zeigt man sich dort "neutral". Auch die Lega kann sich eine engere Bindung mit der FPÖ vorstellen, fürchtet aber, dass das mediale Bild der FPÖ ihr mehr schaden als nutzen könnte. Die Freiheitlichen wollen dieses "falsche Bild" in Zukunft korrigieren. Spätestens bei den EU-Wahlen 2014 wollen sie in einer Wahlplattform mit "ernsthaften" Rechtsparteien dabeisein und im EU-Parlament eine Achse gegen die derzeitige EU-Integration bilden. Laut Strache gehe es jetzt darum, sich inhaltlich abzustimmen, Gemeinsamkeiten zu suchen: gegen den EU-Beitritt der Türkei, für Stärkung des Nationalstaates, gegen den "Moloch EU", für eine Kernzone des Euro ohne die "Problemländer" im Süden.

Der gemeinsame Auftritt mit Marine Le Pen, die den Front National moderater erscheinen lassen möchte, sollte der Höhepunkt seines EU-Auftritts in Straßburg sein. Die Tochter des Parteigründers Jean-Marie Le Pen vertritt wie ihr Vater politisch extrem rechte Positionen. Aber sie weiß sich elegant auszudrücken. Hetzte ihr Vater Wahlveranstaltungen oft ganz unverblümt mit rassistischen und antisemitischen Formulierungen, so ist Marine Le Pen in der Formulierung "weicher".

Bei den Wählern scheint sie damit Erfolg zu haben. Sie will 2012 in Frankreich als Kandidatin für das Präsidentenamt antreten. In Umfragen liegt sie deutlich über 20 Prozent, noch vor Präsident Nicolas Sarkozy. Diese Welle wollte nun offenbar auch Strache nützen, indem er mit Le Pen den großen Rahmen einer internationalen Pressekonferenz im EU-Parlament wählte, um eine gemeinsame politische Linie gegen "diese EU" zu präsentieren.

Das schien auch zu funktionieren. Die beiden Parteichefs strahlten um die Wette, als sie in der auf deutsch und französisch geführten und in alle EU-Sprachen übersetzten Pressekonferenz vortrugen. Sie überboten sich mit gemeinsamen Zielsetzungen "gegen die Macht der Konzerne", gegen die "EU-Sekte" der etablierten Parteien, sprachen vom Scheitern des "Superstaates" und der Notwendigkeit, den Bürgern und den Nationalstaaten ihre Rechte wiederzugeben.

Aber der schöne Schein brach, als es kurz vor Schluss Fragen gestellt wurden, etwa jene, wie Le Pen den Umgang einiger FPÖ-Politiker mit der Aberkennung der Ehrenbürgerschaft für Adolf Hitler sehe. Ab da war es mit der zur Schau gestellten Freundlichkeit und den geschmeidigen Formulierungen vorbei. Im O-Ton hörte sich das so an:

Der Brüssel-Korrespondent des ORF, Raimund Löw, meldet sich um 15.25 Uhr mit einer Frage an Le Pen zu Wort (auf Französisch):

Löw: "Herr Strache möchte sich einer Fraktion im Europaparlament anschließen. Was müsste die FPÖ tun, um die Hindernisse zur Seite zu räumen? Ich frage deshalb, weil es in Österreich eine etwas bizarre Debatte um die Ehrenbürgerschaft von Adolf Hitler gegeben hat, die noch in mehreren Städten existiert..."

(Löw wird unterbrochen, Unruhe, Zwischenrufe aus der ersten Reihe links, wo FP-Generalsekretär Harald Vilimsky und der Wiener Gemeinderat Johannes Hübner sitzen: "Geh, das ist ja absurd". Jemand klatscht laut in die Hände, "unglaublich", ist im Stimmengewirr zu hören. Ein Journalist bittet die FPÖ-Delegation um Ruhe: "Bitte, das ist hier eine Pressekonferenz für Journalisten!", Vilimsky dazu: "Das ist die Frage.")

Löw spricht nach 20 Sekunden weiter: "Mehrere FPÖ-Politiker wollen nicht an Abstimmungen zur Aufhebung der Ehrenbürgerschaft teilnehmen. Hätten im Front National, so wie sie ihn sich vorstellen, solche Politiker Platz? Danke."

Le Pen: "Ich gebe das Wort an Strache weiter, weil in der Demokratie, die ich mir vorstelle, zuerst Leute, die beschuldigt werden, das Recht haben sollten, auf Anfragen zu antworten. Ich will aber sagen, dass ich überrascht bin wie schnell der Punkt erreicht ist, an dem jemand Nazivergleiche zieht. Das immer dann der Fall, wenn die Argumente ausgehen, dann kommt Hitler ins Spiel."

Strache: "Ich bin wirklich baff erstaunt, dass Sie, Herr Löw vom österreichisch-rechtlichen Rundfunk wider besseres Wissen im Ausland Netzbeschmutzung Österreichs betreiben..."

(Zwischenruf FPÖ-Abgeordneter Hübner): "Unglaublich."

Strache: "... und wider besseres Wissen, völlig bewusst Unwahrheiten in der Öffentlichkeit und international versuchen zu verbreiten, die ganz anders gelagert sind. Das ist ja wirklich unglaublich."

(Lautes Klatschen von links)

Strache: "Es ist unfassbar und schäbig hier bewusst ein falsches Bild darzustellen, wo ich die Realität zum Glück hier aufzeigen kann. Faktum ist: In Österreich ist zum Glück ein Herr Hitler seit dem Jahr 1945 und 46 in keiner österr. Stadt mehr irgendwo Ehrenbürger, weil nämlich zwei Faktoren zum Glück selbstverständlich der Fall sind, dass nämlich erstens rechtlich durch den Tod diese Ehrenbürgerschaft automatisch erloschen ist, zum Glück und zweitens durch einen allierten Beschluss für alle Kriegsverbrecher aus dieser Zeit diese Ehrenbürgerschaft aberkannt wurde. Es ist daher ungeheuerlich, den Eindruck zu vermitteln, durch sozialistische Politiker in Österreich oder grüne Linkepolitiker, durch Anträge, die in Österreich gestellt worden sind, in Österreich werde bis zum Jahr 2011 völlig ungehindert ein Herr Hitler Ehrenbürger einer Stadt gewesen, was absurd ist.
Wir Freiheitlichen haben daher selbstverständlich in Amstetten und anderen Städten vielmehr immer wieder Anträge eingebracht, dass diese unselige Herr, der Hitler geheißen hat, und der so viel unseliges und Massenmord über Europa gebracht hat, eben seit 45 und 46 kein Ehrenbürger mehr ist und wir das auch feststellen. Und wenn dann Linkparteien den Eindruck vermitteln durch Anträge, er wäre bis 2012 Ehrenbürger gewesen, dann ist das ein Unsinn; dem man auch entgegentreten muss, und das haben wir gemeint. Wir lassen solche Nestbeschmutzung nicht zu."

(Wieder Klatschen, Unruhe im Raum)

Damit war die Sache stimmungsmäßig ins Gegenteil gekippt, der Rest der Pressekonferenz zu Europathemen eher flau und nach weiteren vier Minuten auch schon zu Ende. Dafür ging vor dem Saal die Debatte noch kräftig weiter, ob es angehe, dass FPÖ-Politiker eine Pressekonferenz von den Journalistenplätzen aus sprengen, indem sie kritische Fragen mit Unmutsäußerungen abzuwürgen trachten. Vilimsky fand daran nichts Besonderes: Er sei ein gewählter Abgeordneter und lasse sich den Mund nicht verbieten, begründete er sein Verhalten. (Thomas Mayer, Langfassung des in DER STANDARD, Printausgabe, 9.6.2011 erschienen Artikels)