Foto: Alexis Sidoroff, Medizinische Universität Innsbruck

Wenn der Dermatologe Harald Maier von der Uniklinik für Dermatologie an der Med-Uni Wien sagt: "Jetzt schaue ich mir noch ein Schwämmchen an", führt ihn sein Weg auf die Neugeborenenstation am AKH. Das "Schwämmchen", von dem er spricht, ist ein sogenanntes Hämangiom, eine gutartige Gefäßwucherung, die meist im Kopf- und Halsbereich von Babys auftritt, oftmals in den ersten Lebenswochen rasant knubbelig wächst - und junge Eltern in Bestürzung versetzt. Tatsächlich hört sich die Diagnose "gutartiger Gefäßtumor", die für drei Prozent der Babys und jedes zehnte Frühgeborene erstellt wird, bedrohlich an. "Doch etwa 90 Prozent dieser roten Male sind harmlos", weiß Maier. Er leitet die Baby- und Kinderlaserambulanz, wo Neugeborene und Säuglinge mit Gefäßveränderungen behandelt werden.

Dort, wo Hämangiome entstehen, werden übermäßig viele Wachstumsfaktoren in den Gefäßen produziert. Warum das so ist, weiß man auch nach jahrzehntelanger Forschung nicht. Tatsächlich verlangsamt sich nach einigen Wochen ihr Wachstum, bis es nach spätestens einem Jahr ganz aufhört. Dann verschwinden die meisten Blutschwämme im Laufe des Kindergartenalters von selbst, zurück bleiben narbenartige Veränderungen.

Doch es gibt eben noch eine zweite Gruppe, die "high risk"- Hämangiome. Sie machen zwar höchstens fünf bis zehn Prozent aller Fälle aus. "Aber sie können mit massiven Entwicklungsstörungen einhergehen und sogar lebensbedrohlich sein", erklärt Gabriele Kropshofer, Kinderhämatologin an der Med-Uni Innsbruck. Etwa für das heute fünfjährige Mädchen an der Innsbrucker Kinderklinik, bei dem sich ein Blutschwamm an der Luftröhre bildete und das seine ersten drei Lebensjahre nur mithilfe einer Öffnung der Luftröhre überleben konnte.

Eine Frage der Lage

Erst die neuartige Therapie mit Betablockern, die vor knapp drei Jahren entdeckt wurde, ließ den lebensbedrohlichen Blutschwamm schrumpfen. "Schlimm an Häm-angiomen der Luftröhre ist, dass man sie erst so spät entdeckt", so Kropfhofer. Wer denkt schon bei pfeifenden Atemgeräuschen an eine seltene Gefäßwucherung.

So beobachten Ärzte vor allem die erste Wachstumsphase der Hämangiome kritisch. Nach international festgelegten Richtlinien nehmen sie die Geschwindigkeit des Wachstums, den Ort, an dem sie entstehen, sowie die Anzahl der äußerlich sichtbaren Hämangiome genau unter die Lupe. Selbst wenn sie nicht grenzenlos wuchern, können sie bleibende Schäden hinterlassen. " Wenn der Blutschwamm im Bereich des Augenlides liegt, besteht die Gefahr, dass es zu einer Sehbeeinträchtigung kommt. Solche am Mund können das Atmen und Sprechen behindern, aufbrechende und blutende Schwämme im Genitalbereich können ebenfalls zu Funktionsstörung führen und haben ein extrem hohes Infektionsrisiko", sagt Gabriele Kropshofer. Bei mehr als drei Blutschwämmen suchen Ärzte mittels Ultraschall gezielt nach weiteren Hämangiomen im Körper. Denn auch an Herzmuskel, Leber oder im Gehirn können sie unbemerkt wachsen und zu schweren Syndromen führen.

"Zudem lassen sich Hämangiome anfangs oft nur schwer von Feuermalen unterscheiden", sagt Maier. Letztere sind angeborene Gefäßfehlbildungen, die als fleckförmige Rötungen in Erscheinung treten. Anders als Blutschwämme wachsen Feuermale nicht überproportional, bilden sich allerdings bis auf sehr kleine Vertreter nicht selbstständig zurück. Das wohl berühmteste Feuermal war von Mitte der 80er-Jahre bis 1991 nahezu täglich in den Nachrichten zu betrachten. Sein Träger: der ehemalige Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow.

Die Erkenntnisse haben zu einem "Paradigmenwechsel in der Behandlung" geführt, wie Harald Maier es nennt. "Man wartete einfach nicht mehr ab", erklärt er. Während früher nur Hochrisiko-Hämangiome behandelt wurden, richten Ärzte heute ihr Augenmerk auf die Frühbehandlung. Denn eine verlässliche Methode, mit der vorhergesagt werden kann, ob und wie ein Hämangiom wächst, gibt es nach wie vor nicht.

Doch es hat sich herausgestellt, dass sich durch Betablocker wie auch durch Laser- und Kryotherapie die Rückbildung der Blutschwämme stimulieren lässt. "Mithilfe von Lasern lassen sich Gefäße von zwei bis drei Millimeter dicken Hämangiomen gezielt verschließen", erklärt er. Ähnlich wirkt auch eine neuartige Kryotherapie, bei der die Gefäße bei - minus 32 Grad Celsius vereist werden; sie kann auch bei dickeren Blutschwämmen eingesetzt werden. Chirurgische Eingriffe und Kortisonbehandlungen haben hingegen an Bedeutung verloren.

Wegen der Komplexität der Erkrankungen existieren heute an den meisten Unikliniken, wie auch der Med-Uni Wien, eigene Zentren für Hämangiome und Gefäßfehlbildungen. Dort arbeiten Dermatologen, Kinderärzte und -hämatologen sowie plastische Chirurgen zusammen, "weil die richtige Diagnose und adäquate Therapie gerade für die schweren Fälle eine interdisziplinäre Zusammenarbeit erfordern", so Maier. (Edda Grabar, DER STANDARD Printausgabe, 14.06.2011)