Die Entdeckung der französischen Kinderärztin Christine Léauté-Labrèze von der Uniklinik in Bordeaux war zufällig. Als sie einen drei Monate alten Säugling mit einem Blutschwamm auf der Nase Betablocker verschrieb, um sein durch die Kortisonbehandlung beeinträchtigtes Herz zu entlasten, stellte sie fest, dass auch das Hämangiom schrumpfte. Sie setzte die Therapie fort, zehn Monate später war die Nase des Säuglings fast ganz normal. Die französische Ärztin wiederholte die Behandlung weitere zehnmal bei anderen kleinen Patienten. Dann war sie sich sicher: Betablocker stoppen das Wachstum von Hämangionem besser als Kortison. Sie publizierte diese Studie im New England Journal of Medicine (NEJM).

"Das war eine Sensation", sagt die Kinderkardiologien Ina Michel-Behnke von der Med-Uni Wien. Bis dahin waren Betablocker nur bei Erwachsenen mit Bluthochdruck und Herzschwäche eingesetzt worden. Ihr Wirkstoff Propanolol blockiert Beta-Rezeptoren, hemmt Adrenalin und Noradrenalin, und das senkt den Bluthochdruck.

Was man dazulernte

Blutschwämme entstehen, "indem die Bildung von Wachstumsfaktoren, die in allen Gefäßzellen vorkommen, enorm hochgefahren wird", so Michel-Behnke. Dazu zählen sogenannte VEGF und Fibroblasten-Wachstumsfaktoren. Heute weiß man, dass genau dort auch Betablocker ansetzen. "Sie unterdrücken das Ablesen der Gene für diese Faktoren." Und noch eine dritte Wirkung des Propanolol lässt Blutschwämme abklingen: Es fördert den Zelltod, die sogenannte Apoptose, in den Hämangiomen.

Inzwischen sind Betablocker Standard. Eine Studie von William Holmes vom Alder-Hey-Kinderkrankenhaus in Liverpool zeigt, dass Propanolol in 87 Prozent der Fälle zu einer deutlichen Rückbildung führt, ein Ergebnis, das durch eine Untersuchung von Carine Fuchsmann aus Lyon bestätigt wird.

"Trotz der überzeugenden Resultate bewegen wir Ärzte uns mit der Verordnung von Betablockern in einer Grauzone", sagt Michel-Behnke. Denn zugelassen sind die Mittel zur Behandlung von Häm-angiomen nicht. Von Off-Label-Use sprechen Mediziner in diesen Fällen. Das bedeutet, dass die Ärzte sie nur im Einzelfall verabreichen dürfen. Absetzen kann man die Betablocker während der gesamten Wachstumsphase, die sich bis zu einem Jahr hinziehen kann, nicht. Tut man es doch, treten die Blutschwämme wieder auf. (Edda Grabar, DER STANDARD Printausgabe, 14.06.2011)