Für den deutschen Finanzminister Hans Eichel reißen die Hiobsbotschaften nicht ab.

montage: derstandard.at

Washington - Der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht für Deutschland Deflationsgefahr, den generellen Verfall aller Preise - wenn Europas größte Volkswirtschaft beim Wirtschaftswachstum weiter schwächelt. Für die USA sehen die Experten hingegen im Augenblick nur geringe Gefahren eines allgemeinen Sinkens des Preisniveaus, heißt es im Bericht, der von einer Expertengruppe um IWF-Chefvolkswirt Kenneth Rogoff erarbeitet wurde.

Deutschland könnte 2004 in eine Deflation geraten, wenn es heuer beim erwarteten Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent bleibt - oder das Wachstum sogar noch schwächer ausfallen sollte. Angesichts steigender Arbeitslosigkeit und den Problemen einiger deutscher Banken sieht der IWF nur begrenzte Möglichkeiten gegenzusteuern. Die Europäische Zentralbank (EZB) könnte jedoch die Zinsen senken, um so die Differenz zum niedrigeren Zinsniveau in den Vereinigten Staaten zu reduzieren und über einen dadurch wieder steigenden Dollar die deutsche Exportwirtschaft zu stimulieren.

Berlin widerspricht

Die deutsche Bundesregierung widerspricht dem IWF. Finanzminister Hans Eichel erklärte: "Wir haben festgestellt, dass wir nicht von einer Deflationsgefahr ausgehen müssen." Bundeskanzler Gerhard Schröder verwies auf den Vorsitzenden des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Wolfgang Wiegand: "Er hält die Warnungen für überzogen. Er rechnet, so wie wir auch, nicht mit einer Deflation." Wiegard erwartet eine Zinssenkung der EZB im Juni oder Juli.

Hart an der Nullgrenze

Nach vorläufiger Berechnung des deutschen Statistischen Bundesamtes ist die Inflation im Jahresvergleich im April auf 1,1 Prozent zurückgegangen, von 1,2 Prozent einen Monat davor. Markus Marterbauer, Konjunkturexperte des Wiener Wirtschaftsforschungsinstitutes (Wifo), weist im STANDARD-Gespräch darauf hin, dass die Inflation gemäß Verbraucherpreisindices im Allgemeinen um einen Dreiviertelprozentpunkt höher ausgewiesen wird, da reine Qualitätsverbesserungen bei Waren (Beispiel: Zusatzairbag im Auto, daher höherer Listenpreis) als "reine" Preissteigerung angesehen werden. Zieht man das in Betracht, gerät die deutsche Inflation schon hart an die Nullgrenze.

Schrumpfende Binnenachfrage

Die Währungsfonds-Befürchtungen hält Marterbauer für plausibel, wenn Deflation "im weiteren Sinn als gesamtwirtschaftlicher Nachfragemangel" verstanden wird. Die Binnennachfrage schrumpfte 2002 laut EU-Kommissionsprognose in Deutschland um 1,5 Prozent.

Moderate Deflationsrisiken konstatiert der IWF im Übrigen auch für Belgien, Finnland, Norwegen, Portugal, Schweden und die Schweiz. In Japan könnte sich die Mitte der 90er-Jahre entstandene Deflationsspirale beschleunigen. (afs, szem, Reuters/DER STANDARD Print-Ausgabe, 20.5.2003)