Kabul/Berlin - Vor der US-Botschaft in Kabul stationierte amerikanische Soldaten haben womöglich aus Furcht vor einem Anschlag vier afghanische Soldaten getötet. Die US-Soldaten hätten das Feuer auf eine Gruppe von Soldaten und bewaffneten Geheimdienstbeamten eröffnet, die gegenüber dem Botschaftsgebäude ein Fahrzeug entladen hätten, sagte der Sicherheitschef von Kabul, Basir Salangi. Möglicherweise hätten die US-Soldaten einen Anschlag befürchtet. Salangi sprach von einem "Missverständnis." Über den Hergang gab es widersprüchliche Angaben. Der Internationalen Afghanistan-Schutztruppe ISAF zufolge geriet ein französisches Militärfahrzeug in die Schusslinie.

Straße vor US-Botschaft gesperrt

Bei den Toten handelte es sich den Angaben zufolge um drei Soldaten und einen Geheimdienstbeamten. Zwei Soldaten und der Geheimdienstmitarbeiter starben sofort, ein weiterer Soldat erlag im Militärkrankenhaus von Kabul seinen Verletzungen. Ein Arzt berichtete von insgesamt sechs Schusswunden - eine im Kopf und fünf in der Brust des Soldaten. Ein weiterer afghanischer Soldat sei durch die Schüsse verletzt worden. Die Straße vor der streng bewachten US-Botschaft wurde vorübergehend gesperrt, zahlreiche Sicherheitskräfte bezogen Stellung.

Widersprüchliche Aussagen

Salangi zufolge wollten die afghanischen Soldaten Material in das Gebäude einer afghanischen Sicherheitsbehörde bringen, das gegenüber der US-Botschaft liegt. Ein afghanischer Soldat berichtete, die Männer des 2. Schutzbataillons der afghanischen Armee hätten ungeladene Kalaschnikow-Sturmgewehre entladen. Sie hätten vergeblich versucht, den Beschuss zu erwidern, da ihre Gewehre nicht geladen gewesen seien. Dagegen sagte der stellvertretende Kabuler Sicherheitschef Mohammed Khalil Amin Sadar, die afghanischen Sicherheitskräfte hätten gerade ihre Waffen gereinigt, als sie von dem Beschuss überrascht wurden. Die Afghanen hätten selbst keinen einzigen Schuss abgefeuert.

Dem widersprach ein Sprecher des französischen ISAF-Kontingents. Ein Armeefahrzeug der Franzosen sei im Moment des Zwischenfalls zufällig in das Kreuzfeuer der Soldaten beider Seiten geraten. Die französische Wagenbesatzung habe ihrerseits das Feuer auf einen Afghanen eröffnet, die in Richtung des Botschaftsgebäudes geschossen habe. Der Einheimische und ein weiterer verletzter Afghane seien in Gewahrsam genommen worden, sagte der Sprecher weiter. Französische ISAF-Soldaten stellten den Angaben zufolge außerdem zehn Sturmgewehre russischer Bauart sicher.

US-Botschaft bedauert Vorfall

Die US-Botschaft erklärte in einer Stellungnahme ihr Bedauern über den Tod der vier Soldaten. Der Zwischenfall sei durch die "steigenden Spannungen provoziert" worden. In den vergangenen Monaten waren US-Truppen, die im Süden Afghanistans nach versprengten Taliban- und Al-Kaida-Anhängern suchen, mehrfach Ziel von Angriffen gewesen. Nach den jüngsten Anschlägen in Saudiarabien und Marokko sind die US-Truppen in erhöhter Alarmbereitschaft.

Die deutsche Regierung rückt bei ihrem Afghanistan-Militärengagement mehr und mehr von ihrer bisherigen Linie ab und erwägt auch den Einsatz von Bundeswehr-Soldaten zum Schutz ziviler Wiederaufbauteams in den Regionen außerhalb der Hauptstadt Kabul. Verteidigungsminister Peter Struck sagte am Mittwoch in Berlin, die Regierung werde "zu gegebener Zeit möglicherweise" dem Parlament einen Vorschlag machen, im Rahmen der Stabilisierung Afghanistans Soldaten und zivile Beschäftigte außerhalb Kabuls einzusetzen. Berlin halte die Überlegungen der USA für richtig, zivile internationale Teams in den Regionen Afghanistans einzusetzen, um die demokratischen Strukturen in den Provinzen zu stärken, sagte Struck. Derzeit gebe es drei US-amerikanische Wiederaufbauteams.(APA)