Wien - Der Grüne Bundessprecher Alexander Van der Bellen hat die Aussagen von Bundespräsident Thomas Klestil über die theoretische Möglichkeit einer Entlassung von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (V) kritisiert. Auf Anfrage der APA sagte Van der Bellen am Mitwoch: "Unter dem Strich, das ist ein Weg, den ich Bundespräsident Klestil nicht empfohlen hätte. Ich weiß nicht, ob das dem Amt (des Bundespräsidenten, Anm.) gut tut." Er habe "wenig Freude mit diesem Gespräch, das in der 'NZZ' wiedergegeben wird. Und diese Beschwörung einer konsensuellen Tradition und einer politischen Harmonie in der Vergangenheit ist schon eine sehr euphemistische Darstellung".

Van der Bellen verwies darauf, dass "nicht zuletzt die Grüne Partei aus einer Disharmonie entstanden ist, aus der systematischen Vernachlässigung der Umweltpolitik". Deshalb seien die Aussagen Klestils eine "Schönfärberei der Vergangenheit, die unrealistisch ist und in mir nur Widerstand statt Zustimmung auslöst".

Der Grünen-Chef weiter: "Der Hinweis auf die theoretische Möglichkeit nach Artikel 70 der Bundesverfassung, den Bundeskanzler abzuberufen, ist im Kontext kein notwendiger gewesen. Das wissen alle, die sich in der Verfassung auskennen. Wenn jemand die Notwendigkeit sieht, die Schweizer Bürger als Leser über die Verfassung Österreichs aufzuklären, hätte er auch andere Wege gehen können". Wenn Klestil jetzt seine Rolle als aktiver Bundespräsident, die er 1992 versprochen habe, wahrnehme, "muss er sich im Klaren darüber sein, dass er auch wie jeder andere Politiker an seinen Aussagen gemessen werden wird. Ich weiß nicht, ob das dem Amt gut tut". Befragt, dass seine Wertung eine unverhohlene Kritik am Vorgehen des Bundespräsidenten ist, sagte Van der Bellen: "Na schon".

Neuwahlen nicht ausgeschlossen

ÖVP und FPÖ hätten in der Pensionsreform "zuerst alle Muskeln spielen lassen und jetzt eiskalte Füße bekommen", kritisiert Alexander Van der Bellen das Vorgehen der Koalitionsparteien in der Pensionsfrage. "Was die Regierungskrise um die Pensionsreform betrifft, gibt es ja weder Einigkeit in der FPÖ, sondern auch die ÖVP ist uneins". Van der Bellen verwies Mittwoch im Gespräch mit der APA auf widersprüchliche Aussagen innerhalb der ÖVP, wo Niederösterreichs LH Erwin Pröll das Zerbrechen der Regierung an der Pensionsfrage und Neuwahlen nicht ausschließt, während ÖVP-Klubobmann Wilhelm Molterer dies als "Unsinn" abtue.

Van der Bellen: "Es besteht ja offensichtlich keinerlei Konsens mehr" zwischen ÖVP und FPÖ und auch innerhalb der Regierungsparteien. "Auch Neuwahlen sind nicht ausgeschlossen", wobei der Grünen-Chef hier keine weitere Prognose über eine solche Wahrscheinlichkeit abgeben wollte. Die FPÖ sei jedenfalls "regierungsunfähig". Ob da nicht Neuwahlen das Beste wären? - Van der Bellen: "Dazu möchte ich mich nicht äußern. Angesichts der Möglichkeit, dass es dazu kommen kann, ist man aber gut beraten, sich darauf vorzubereiten".

Massive Kritik übte Van der Bellen am "Schlamassel" der Koalitionsparteien rund um das Budgetbegleitgesetz mit den Punkten Pensionsreform, Abfangjäger und Selbstbehalte. "Der Zwischenstand ist ja der, dass die Politik von ÖVP und FPÖ das gesamte Parlament in eine Lage bringt, die der Logik eines Budgetierungsprozesses vollkommen widerspricht. Der gesamte Fahrplan ist bereits völlig durcheinander gekommen. Gestern haben sie nicht gewusst, sollen sie im Budgetausschuss abstimmen oder nicht, das wurde verschoben. Jetzt hängt der eigentliche Fahrplan für das Budget in der Luft. Es wird so getan, als ob die Zahlen, über die man redet, reale Zahlen sind".

Untragbar sei auch, dass die schwarz-blaue Koalition weiterhin nach dem Motto "speed kills" vorgehe und dabei mit peinlichen so genannten Trägerraketen, die dann wieder wegen fehlender Qualität zurückgezogen werden, immer unglaubwürdiger werde. "Die FPÖ tut ja so, als hätten sie damit nichts zu tun. Dabei ist Vizekanzler Sozialminister Herbert Haupt (F) für die Pensionsreform verantwortlich. Entweder die FPÖ hat nicht gewusst, worauf sie sich einlässt, oder sie haben das nicht durchschaut. Und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (V) hat es jederzeit in der Hand, den Punkt aus dem Budgetbegleitgesetz herauszunehmen und damit eine noch ernstere Krise zu vermeiden. Dass er dabei einen Gesichtsverlust erleidet, ist jetzt unvermeidlich", so Van der Bellen. (APA)