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Frankreichs Bildungsminister steht unter Druck. Sein Rücktritt wird nicht mehr ausgeschlossen.

Foto: APA/ AFP/DSK/lab/sb/cha

Erstaunliches tut sich derzeit in Frankreich: In Toulouse ketten streikende Lehrer die Schulportale zu und verwehren den Schülern so den Zugang zu den Unterrichtszimmern. In Perpignan bahnen sich Schüler nur dank Polizeischutz einen Weg an demonstrierenden Lehrern vorbei, um in die Schule zu gelangen. In der Nähe von Angers demonstrierten Schüler selbst mit Plakaten für die Wiederaufnahme des Unterrichts.

Der Lehrerstreik dieser Woche ist bereits der vierte seit letztem September, was von einer tiefen Malaise an den französischen Schulen zeugt. Auslöser ist die Schulreform von Bildungsminister Luc Ferry. Er will einzelne Budgetposten kürzen, die Pensionen der Lehrer an die Verhältnisse in der Privatwirtschaft anpassen und Schuldienste teils vom Staat in die Regionen und Departements verlagern. Dies betrifft nicht die Lehrer selber, sondern bloß einen Teil der Schulwarte, Sozialarbeiter und Krankenschwestern. Die "republikanisch" gesinnte Lehrerschaft sieht darin aber einen Anschlag auf die "Egalité", die Chancen- und übrige Gleichheit im Bildungswesen.

Welche Bedeutung dieses sakrosankte Prinzip in Frankreich hat, zeigt die geharnischte Lehrerreaktion. In Le Havre blockierten sie diese Woche den Straßenverkehr, im Loiretal eine Autobahnzahlstelle und in Lyon ein Schulrektorat. In der Auvergne besetzten Eltern aus Protest gegen den Lehrerstreik eine Dorfschule.

Doch das ist ein Einzelfall. Der Unmut über die Streikenden hält sich in Grenzen. Die meisten Franzosen sind durch die gleichzeitig laufende Pensionsreform ebenso betroffen und fühlen sich "solidarisch" mit den Lehrern. Selbst allein erziehende Mütter, die von der aktuellen Lage völlig überfordert sind, drücken vor laufenden TV-Kameras Verständnis aus für die Lehrer. Nur gerade der konservative Figaro publizierte eine Statistik, laut der die Lehrer die höchste Lebenserwartung aller Berufskategorien haben, was die Klagen über ihr hartes Los zumindest etwas relativiert.

Ferry spricht zwar jetzt Klartext und kritisiert die rabiatesten Lehrer als "Geiselnehmer". Er befürchtet nicht ohne Grund ein nationales Chaos, da die Lehrer das in wenigen Wochen angesagte "Bac" - die nationale Matura - vorbereiten sollten. Das Ministerium will deshalb das Prüfungspersonal zwangsverpflichten, was letztmals im Mai '68 vorgekommen war. Doch die Medien geben ihm wenig Chancen, die Reform noch heil über die Bühne zu bringen. Eher rechnen sie mit dem Rücktritt des Ministers. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.5.2003)