Gilbert & George, stets elegant gekleidet, vor ihren Werken im Kunstmuseum Lentos in Linz.

Foto: Foto: A. Glandien

 Da Gilbert & George ungern Taxi fahren, chauffierte sie die Standard-Autorin und nutzte die Fahrt zum Interview.

Linz - Wer Gilbert & George vom Flughafen abholen will, muss Auflagen erfüllen. Unter anderem solle man sie mit einem Schild erwarten, auf dem "Gilbert & George" steht. Auf einem Flughafen wie Linz-Hörsching wirkt das Schild entbehrlich und man selbst damit deplatziert. Das bemerken auch Gilbert & George, als sie durch die Schiebetüre kommen.

Sie lächeln leise angesichts des kleinen Begrüßungskomitees: Journalistin, Fotograf und Produktionsleiter Stephen Gorman. Er arbeitet seit fünf Jahren für Gilbert & George und sollte auf Wunsch der beiden mit zum Flughafen kommen. Aus Sicht der streng kontrolliert arbeitenden Künstler ein nachvollziehbarer Wunsch.

Nichts bleibt in ihrer Kunst oder ihrem Erscheinungsbild dem Zufall überlassen. Sogar der gleiche Kugelschreiber steckt auf die gleiche Weise in der Brusttasche der Anzüge.

Eine chauffierende Journalistin birgt da wohl - nach wenigen Kilometern und vielen vorbeiziehenden Feldern - etwas zu viel an unkontrollierbaren Eventualitäten: "Es ist sehr weit vom Flughafen nach Linz? Wir dachten, Linz sei eine Industriestadt?" - "Ich finde diese Strecke landschaftlich interessanter und besser geeignet für ein Interview." - "Die andere Strecke ist nicht gut fürs Auge," bestätigt Stephen Gorman. Gilbert (67) & George (69) genießen die Fahrt und bemerken erfreut, wie dekoriert und hübsch hier alles ist. Große Bauernhöfe, ebenso große Felder, "alles so aufgeräumt", sagt der in Südtirol geborene Gilbert (Prousch) mit italienischem Akzent.

Die Herren auf der Rückbank werden mit jedem Satz und jeder Bewegung ihrem Ruf gerecht. Sie sind ironisch, höflich, nach außen hin wahre Gentlemen, die man nämlich "heutzutage sowieso kaum mehr findet." Auf unangenehme Fragen antworten sie nicht unhöflich, sondern - gar nicht. Gerne allerdings erläutern sie den sozialen Aspekt ihrer Arbeit. Der Katalog dürfe, so hört man, nie mehr als 15 Euro kosten? "Ja", kichern beide. In Galerien kosten ihre Kataloge überhaupt nur zehn Euro, in Museen 15. Es gäbe da eine Art von "age-range" unter Kunstbüchern und Katalogen. Bücher, die mehr als 40 Euro kosten, werden von über Vierzigjährigen gekauft. Also geben sie's billiger. Damit wirklich alle, die wollen, sie auch kaufen können. Ihr Motto "Art for All" nehmen sie ernst.

"Die meisten Menschen treffen in Museen auf Kunst, die nichts mit ihrem Leben zu tun hat, die ihnen nichts bedeutet und die nichts aussagt. Wir hingegen machen besucherfreundliche Bilder. In unserer Kunst findet jeder etwas, das mit seinem Leben zu tun hat. Deshalb sind wir so populär. In unserem Viertel in London sprechen wir oft mit jungen Immigranten aus Bangladesch oder der Türkei. Die würden niemals in ein Museum gehen. Der Eintritt ist zu teuer, der Katalog ist zu teuer, und dann blickt auch noch die Kunst auf sie herab."

Wie sie denn "alle" definieren, frage ich. Das sei jeder, der ihre Kunst sehen wolle und die Aspekte, mit denen sie arbeiten, sagt Gilbert: "Tod, Hoffnung, Leben, Angst, Sexualität, Geld, Religion" - "und nicht viel mehr", ergänzt der in Plymouth als George Passmore geborene Künstlerfreund.

Es ist die bisher umfassendste Werkserie von Gilbert & George, die das Linzer Lentos nun zeigt. Jedes der lebensgroßen Bilder eröffnet einen Kosmos für sich. Sie sind humanistisch, politisch, emotional und manchmal von großer Traurigkeit erfüllt.

Außerdem gibt es in den Bildern den Union Jack als bestimmendes Symbol - etwa als textiles Element auf beider Anzüge oder flächendeckend auf Hausfassaden. Sich selbst machen Gilbert & George seit den künstlerischen Anfängen in den späten 1960er-Jahren zum Zentrum ihrer Kunst. In den Jack Freak Pictures allerdings bleiben ihre Körper nicht immer heil: Kaleidoskopartig aufgesplittert erinnern ihre Köpfe und Körper an Rosettenfenster gotischer Kirchen: "Wir zerstückeln uns selbst, um uns in der Kunst wieder zusammenzubauen."

Sex der Platanen

Für jene, die sich für der floralen Aspekt interessieren, hat das exzentrische Londoner Künstlerpaar eine hübsche Geschichte parat: In einigen ihrer Jack Freak Pictures sind Platanen zu sehen. Solche, wie sie hinter ihrem Haus in London wachsen. Für die beiden symbolisieren die Bäume sexuelle Unsicherheit, denn sie müssen Millionen von Samen vom Wind verstreuen lassen, um sich fortzupflanzen. "Wie würden wohl Menschen aussehen, wenn sie sich derart fortpflanzen müssten?" - "Na, wie Platanen", so die trockene Antwort.

"Wussten Sie," fragt George, "dass der König von Persien" - "the sexiest King of Kings", kichert Gilbert - "Platanen dekorierte, lange bevor es Weihnachtsbäume gab? Und zwar mit den Juwelen seiner Konkubinen."

Und wer ist eigentlich Jack Freak? Kann man ihn an einer Person festmachen? Ja, sagen Gilbert & George, er stecke in jedem von uns. "Wenn Sie morgens in den Spiegel schauen, kann da auch Jack Freak zurückblicken. Jeder in Großbritannien hat ein wenig von Jack - also Union Jack. Und jeder ist auch ein bisschen Freak. Da war ja diese Hochzeit ..." - "Sie meinen die von Kate und William?" - "... ja ja! Also, da gab es die öffentlichen Partys für die Menschen auf den Straßen. Sie haben tagelang gefeiert. Und sie haben sich gekleidet, wie sie es sonst niemals tun würden. Sie waren wie Freaks angezogen. Und sie haben sich gut gefühlt."

Gilbert & George waren zur Hochzeit nicht eingeladen, war zu lesen, würden aber auf eine Einladung zu Harrys Coming-out-Party warten. Ob sie die schon bekommen hätten? Die Antwort bleiben die beiden schuldig, denn wir parken bereits vor dem Hotel. Glücklich, doch noch angekommen zu sein, packt sie der Übermut. Ob ich sie wohl in einer halben Stunde noch einmal abholen und zum Museum chauffieren könnte?   (Wiltrud Hackl/ DER STANDARD, Printausgabe, 17.6.2011)