London/Brüssel/Wien - Fast eine Woche lang dauerte die "Schrecksekunde" von Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Nun hat er in einem Interview mit dem britischen Guardian zur harschen Kritik Stellung bezogen, die der frühere US-Verteidigungsminister Robert Gates am mangelnden Engagement einiger europäischer Partner in der Nato geäußert hatte. Die ungleiche Lastenverteilung bei der Finanzierung des Militärbündnisses sei tatsächlich ein Problem, kritisiert der Nato-Generalsekretär. Noch vor zehn Jahren betrug der Anteil der USA etwa die Hälfte der gesamten Verteidigungskosten im Bündnis, heute seien es bereits drei Viertel: "Die Europäer hinken hinterher". Das Ungleichgewicht bei der Kostendeckung könnte auch zu einer "technologischen Kluft" führen und die Allianz langfristig schwächen. Die Konsequenz wäre "ein zweistufiges Bündnis", die Interoperationalität der Truppen würde beeinträchtigt", warnte er.

Generell gilt in der Nato die Verpflichtung, dass die Mitglieder zwei Prozent ihrer Wertschöpfung (BIP) für die Verteidigung ausgeben. Diesen Wert erreichen nur fünf Mitglieder, voran die USA, Frankreich und Großbritannien, aber auch Griechenland und Albanien. Gates hatte vergangene Woche eine Art Abschiedstour in Europa absolviert und bei einer Rede in Brüssel außerordentlich offene und deutliche Worte gewählt für die Mängel in der Allianz aus seiner Sicht, insbesondere was konkret die Beteiligung an der Militäraktion in Libyen betrifft.

Laut Gates werden die USA in Zukunft nicht mehr so einfach bereit sein, derart große Lasten für Bündniseinsätze zu tragen wie heute. Das sei eine "traurige Wirklichkeit" im US-Kongress. Die Allianz zeige sich zweigeteilt: in die, die sich "auf weiche, humanitäre, entwicklungspolitische oder friedensstiftende Aufgaben spezialisieren", und jene, "die die harten Kampfaufgaben übernehmen".

In Libyen habe sich zudem gezeigt, dass den Partnern nach nur elf Wochen die Waffen ausgingen, die USA "einspringen" mussten. Manche schauten vom Rand aus zu, "weil die militärischen Fähigkeiten gar nicht bestehen", so Gates. Kampfeinsätze würden überhaupt nur von ganz wenigen Europäern geflogen, kritisierte er.

Zuschauer am Rand

Nicht nur Franzosen oder Briten, auch Spanier, die Türkei und die Niederlande sollten sich an Luftangriffen beteiligen. Deutschland, das sich wie Polen ganz aus dem Libyen-Einsatz heraushält, sollte nach Auffassung des Ex-US-Verteidigungsministers Wege zur Unterstützung finden. Er sprach wörtlich von "Nationen, die offenbar nicht willens sind, die notwendigen Ressourcen zu stellen oder notwendige Veränderungen vorzunehmen, um ernsthafte und fähige Partner zu ihrer eigenen Verteidigung sein zu können". (tom/DER STANDARD, Printausgabe, 17.6.2011)