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Bei Urheberrechtsprozessen werden die Richter künftig einen genauen Blick in die Unterlagen der Causa kino.to werfen müssen – unter Umständen wird das auch auf den Gesetzgeber zutreffen.

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Meist sind es auf eine jugendliche Zielgruppe getrimmte Vorfilme, mit denen Rechteverwerter die Filmseher von der Unrechtmäßigkeit von Schwarzkopien überzeugen sollen. Wenn aber die Staatsanwaltschaft von der Unrechtmäßigkeit überzeugt ist, werden ganz andere Töne angeschlagen: "Internetnutzer, die widerrechtlich Raubkopien von Filmwerken hergestellt oder vertrieben haben, müssen mit einer strafrechtlichen Verfolgung rechnen." So stand es nach ihrer Schließung Anfang Juni auf der Plattform kino.to, die zuletzt Links zu über 30.000 Filmen im Index hatte.

Zwar leistete sich die Exekutive einen Fauxpas bei der Beschlagnahme der Domain, an der Ernsthaftigkeit in ihrem Vorgehen gegen gewerbsmäßige Urheberrechtsverletzungen aber ließ sie keinen Zweifel: 13 Personen wurden bei Razzien festgenommen und ihnen die "Bildung einer kriminellen Vereinigung" vorgeworfen. Als Betreiber eines gewerbsmäßigen Portals ohne die nötigen Lizenzen drohen ihnen sogar Haftstrafen, wie der auf Immaterialgüterrecht spezialisierte Rechtsanwalt Johannes Öhlböck gegenüber derStandard.at erläutert: "Nach österreichischer Rechtslage stehen darauf eine Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten oder eine Geldstrafe von 360 Tagessätzen, und ich persönlich schließe nicht aus, dass es hier zu Strafverfahren kommen wird."

Präzedenzfall in Österreich

Wenige Tage vor der Schwerpunktaktion gegen kino.to in mehreren europäischen Ländern entschied die Judikative in einem Präzedenzfall auch in Österreich gegen die Streamingplattform. Das Handelsgericht Wien zwang den Provider UPC per einstweiliger Verfügung zur Blockierung der IP-Adressen von kino.to – der Spruch gilt als erste Sperre einer kompletten Website in Österreich und erregte dementsprechendes Aufsehen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig und wurde bisher – die Rechtsmittelfrist läuft noch – von den Klägern Constantin Film, Satel Film und Wega Film eingesprochen.

Durch das Eingreifen des Dresdner Generalstaatsanwalts und die Sperrverfügung des Handelsgerichts Wien könnte die Causa kino.to weitreichende Auswirkungen auf die Rechtspraxis und in weiterer Folge auch auf die Gesetzeslage haben – etwa ob Provider auf Zuruf von außen zur Sperrung von urheberrechtlich geschützten Inhalten gezwungen werden können.

OGH-Urteil wird auf die Rechtspraxis rückwirken

Wie zumeist nach solchen Musterprozessen, ist die Frage nach dem Einfluss auf die Rechtssprechung für spätere Fälle eine zentrale und wird über kurz oder lang auch die höchste richterliche Instanz im Land beschäftigen, glaubt Alexander Schmidt vom Wiener Handelsgericht: "Die möglichen Folgen sind bei einer erstinstanzlichen Entscheidung besonders schwierig zu beurteilen. Hinzu kommt, dass gerade bei Wettbewerbssachen der Oberste Gerichtshof eine besondere Leitfunktion einnimmt. Nachdem das doch eine sehr massive Sache ist, denke ich, dass das bis dorthin durchgefochten wird." Hinsichtlich der Rolle des Richterspruchs für künftige Verfahren verweist zwar auch Johannes Öhlböck auf das nicht rechtskräftige Urteil, meint aber: "Man hat damit sicherlich ein Zeichen gesetzt, denn so etwas gab es in der Form bisher noch nicht."

Die Vertreter der klagenden Parteien, Andreas Manak und Werner Müller, sehen in der einstweiligen Verfügung einen "Erfolg mit großer Bedeutung", doch auch sie erwarten in einer Erklärung gegenüber derStandard.at, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist: "Für die vielen anderen Fälle offensichtlich rechtswidriger Angebote von 'kriminellen Vereinigungen' im Internet wird erst dann ein durchsetzbares Präjudiz vorliegen, wenn die einstweilige Verfügung durch eine letztinstanzliche Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bestätigt wird. Erst dann ist aus unserer Sicht juristisch unwiderruflich, dass das Internet kein rechts- bzw regulierungsfreier Raum ist – weder für die Betreiber dieser Seiten, noch für die Internetservice-Provider als 'Vermittler' im urheberrechtlichen Sinn." Seitens der beklagten Partei UPC Austria GmbH wollte man über mögliche Auswirkungen des Urteils keine Erklärung abgeben.

"Gesetzgeber unter Zugzwang"

An der Gesetzeslage ändern die Vorgänge rund um kino.to vorerst natürlich nichts. Zwar werden sich die Entscheidungen bis zum Gesetzgeber durchsprechen, mit einer Novellierung des Urheberrechts ist mommentan allerdings nicht zu rechnen. Wenn es soweit ist, könnten die jetzigen Fälle aber durchaus auf das Abstimmungsverhalten der Legislative rückstrahlen. So meint Alexander Schmidt: "Es besteht natürlich schon die Möglichkeit, dass solche öffentlichkeitswirksamen Fälle auch den Gesetzgeber unter Zugzwang bringen. Bei diesem Fall zeigt sich ganz deutlich, dass die Verfolgung von Eingriffen in Urheber- oder Leistungsschutzrechte im Internet eine besonders schwierige Sphäre ist, an die der Gesetzgeber bei Erlassung des Gesetzes mit Sicherheit nicht gedacht hat, weil die technische Entwicklung gar nicht vorhersehbar war. Auch in der Entscheidung der einstweiligen Verfügung wurde festgehalten, dass das Urheberrecht schon immer dynamische Formen hatte und häufig Formulierungen wie '… oder auf eine andere technische Art …' enthält."

Eine gesetzliche Ausweitung der Befugnisse der Rechteinhaber wünschen sich naturgemäß Andreas Manak und Werner Müller: "Aufgrund einer seit 2008 bestehenden Lücke in der Strafprozessordnung sind bei Privatanklagedelikten staatliche Ermittlungshandlungen wie Hausdurchsuchungen etc. gar nicht zulässig. Die Schließung dieser Rechtsschutzlücke wäre auch zur Erfüllung von europarechtlichen Verpflichtungen, nämlich die Umsetzung der einschlägigen EU-Richtlinien, dringend notwendig."

Graubereich Konsum

Ein Musterprozess auf der einen und eine mögliche Gesetzesnovellierung auf der anderen Seite könnte auch Licht in den derzeitgen rechtlichen Graubereich der Nutzung bringen. Denn auch wenn das Betreiben einer Plattform wie kino.to sogar strafrechtliche Folgen nach sich ziehen kann, ist der Konsum nicht ausdrücklich untersagt: Das wäre er erst, wenn wie bei P2P-Tauschbörsen eine Kopie eines Werkes angefertigt würde. "Das bloße Anschauen eines rechtswidrig kopierten Werkes hingegen ist nicht strafbar", erklärt Johannes Öhlböck. Ob sich die User beim Streamen wirklich nur auf das rechtlich unbedenkliche Anschauen beschränken, darüber gehen die Meinungen allerdings wieder auseinander: Vor allem aus Kreisen der Urheberrechtsvertreter hört man bisweilen das Argument, dass auch die beim Streaming übliche, zerstückelte Pufferung in einem temporären Zwischenspeicher auf der Festplatte als Vervielfältigung definiert werden könnte.

Dass die Verwerter ihre Gangart gegen private Konsumenten nun verschärfen werden, steht ebenfalls noch nicht außer Frage. "Der Trend geht in die Richtung, auch das stärker zu verfolgen und manche Rechteinhaber verschicken teilweise schon Abmahnungen. Ich gehe davon aus, dass es bald größere Klagewellen geben wird, um ein Exempel zu statuieren", sagt Johannes Öhlböck. In einem kürzlichen Interview mit derStandard.at meinte Werner Müller auf die Frage nach dem Vorgehen gegen einzelne User zwar: "Uns geht es nicht darum, tausendfache Abmahnungen an private Down- oder Uploader zu verschicken." Dass sich diese Strategie in Zukunft aber ändern könnte, wollte auch er nicht ausschließen. (mm, derStandard.at, 8.7.2011)