Co-Trainerin Irene Fuhrmann: "Es braucht in Österreich mehr Aufmerksamkeit für den Frauenfußball! Die Fußballspielerinnen haben es genauso verdient, dass sie anerkannt werden, weil sie so viel in ihren Sport investieren." Sie setzt ganz auf die Erfolge des engagierten Nachwuchses.

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Die Ex-Frauenfußball-Nationalteamspielerin in einem Match gegen LUV Graz ...

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... und gegen Ardagger.

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dieStandard.at: Werden Sie sich die Frauenfußball-WM, die am 26. Juni beginnt, vor Ort ansehen?
Irene Fuhrmann: Leider habe ich mich zu spät um Karten bemüht und Anfang Juli auch noch Prüfungswoche für die UEFA A-Lizenz als Trainerin. Aber zum Glück überträgt das deutsche Fernsehen alle Spiele. Ich glaube, dass das die bisher tollste WM wird, weil die Anerkennung des Frauenfußballs in Deutschland mittlerweile sehr groß ist, bei diesen Erfolgen kann niemand mehr wegschauen.

dieStandard.at: Sie haben selbst bis 2008 aktiv in der höchsten österreichischen Frauenliga gekickt. Wie haben Sie zum Fußball gefunden?
Irene Fuhrmann: Ich war eine Spätzünderin und habe erst mit 20 Jahren angefangen, im Verein Fußball zu spielen. Meine Liebe zum Fußball habe ich schon von klein auf durch meine Brüder entdeckt, ich hatte aber gar nicht gewusst, dass es die Möglichkeit für Frauen gibt, in einem Verein zu spielen. So war ich lange eine 'Käfigkickerin', die mit Burschen im Park gespielt hat. Erst im Zuge meines Sportstudiums auf der Schmelz, als ich das Wahlfach Frauenfußball besucht habe, hat die Professorin gemeint, ich sei ein 'Rohdiamant' und müsse unbedingt zu einem Verein gehen.

dieStandard.at: Warum haben Sie Ihre aktive Karriere im Herbst 2008 beendet?
Irene Fuhrmann: Ich habe damals eine berufliche Weiterbildung begonnen und konnte nicht mehr regelmäßig zu den Trainings kommen. Dann kam noch eine Knieverletzung hinzu und so habe ich meine Karriere unterbrochen. In dieser Zeit hatte ich das große Glück, dass Frauenfußball-Nationalteamtrainer Ernst Weber mich gefragt hat, ob ich bereit wäre, als Assistenztrainerin an seiner Seite zu arbeiten - diese Chance habe ich sofort ergriffen.

dieStandard.at: Ernst Weber ist im Frühjahr 2011 ganz unerwartet verstorben. Sein Nachfolger ist der ehemalige Bundesliga-Trainer Dominik Thalhammer. Wie war die plötzliche Umgewöhnung für Sie als Co-Trainerin?
Irene Fuhrmann: Das Ableben von Ernst Weber war ein großer Schock, wir hatten die Tage davor gerade erst die U19-Qualifikationsrunde gespielt. Die Zusammenarbeit mit Dominik Thalhammer läuft sehr gut, er ist sehr engagiert, arbeitet viel im technisch-taktischen Bereich und investiert viel in Gruppendynamik und Teamarbeit. Seine Arbeit trägt auch schon Früchte: Beim A-Team hatten wir bereits super Vorbereitungsspiele, auswärts gegen Slowenien haben wir 0:5 gewonnen und auch gegen Nigeria, die ja WM-Teilnehmer sind, haben wir jetzt ein 1:1 geschafft. Ich bin froh, dass wir nach Ernst Weber wieder einen Trainer mit höchster Ausbildung für den Frauenfußball gewinnen konnten.

dieStandard.at: Wie sieht es mit der Leistung des österreichischen Nationalteams aus? Was ist in nächster Zeit zu erwarten?
Irene Fuhrmann: Im Herbst beginnt für die Nationalmannschaft die EM-Qualifikation und wir haben mit unseren Gruppengegnern Dänemark, Tschechien, Portugal und Armenien durchwegs machbare Aufgaben. Dänemark ist zwar kein ganz großer Gegner, wie England, Frankreich oder Deutschland, aber in unserer Gruppe dennoch zu favorisieren. Mit Tschechien und Portugal können wir auf einer Augenhöhe spielen, wenn wir unsere Leistung bringen und das nötige Glück haben. Wenn wir es schaffen, Gruppenzweiter zu werden, können wir vielleicht sogar ein Play-off-Spiel erreichen. Wir hätten dann zumindest die Möglichkeit, ein Qualifikations-Endspiel zu spielen.

dieStandard.at: Gibt es Unterschiede zwischen Frauen- und Männerfußball?
Irene Fuhrmann: Die Männer spielen athletischer, es geht einfach schneller. Technisch-taktisch holen wir immer mehr auf. Bei uns sieht man manchmal vielleicht sogar die schöneren Spielzüge, die Spiele sind noch nicht so rein taktisch ausgerichtet. Bei uns wollen beide Mannschaften offensiven, attraktiven Fußball spielen - die Mädels lassen auch nicht nach, wenn sie in Führung sind.

dieStandard.at: In den 70er-Jahren sorgte in Deutschland die Schlagzeile "Wenn meine Frau Fußball spielt, lass ich mich scheiden" für Furore. Wie stark sind heute noch die Vorurteile à la "Frauen können/sollen nicht Fußball spielen"?
Irene Fuhrmann: Die gibt es natürlich immer noch und wird es vermutlich immer geben, aber die, die das behaupten, haben meistens noch gar kein Match im Frauenfußball gesehen. Sie sollten sich ein Spiel der höchsten Liga anschauen oder eines der deutschen Frauenmannschaften, um sich ein Bild zu machen. Wir sind ja leider nicht im Fernsehen, da muss man schon auf den Fußballplatz fahren dafür. Die Fußballspielerinnen haben es genauso verdient, dass sie anerkannt werden, weil sie so viel in ihren Sport investieren.

dieStandard.at: Die zweifache deutsche Weltmeisterin Sandra Minnert sagte in einem Fernseh-Interview: "Wenn man heute die Zeitung aufschlägt, sieht man Fußballerinnen, die gut aussehen, sie sind auch zu vermarkten ... wenn man denkt, wir früher, mit unseren kurzen Haaren ..." Müssen sich Fußballerinnen über ihr Äußeres vermarkten, um wahrgenommen zu werden?
Irene Fuhrmann: Unsere Fußballerinnen können sich tatsächlich sehen lassen, aber natürlich wollen wir uns über unsere Leistungen beweisen und nicht im kurzen Höschen spielen, um aufzufallen. Das Klischee, dass Fußballerinnen maskuline Züge haben, gibt es immer noch. Manche Kritiker sehen eben nur das, was sie sehen wollen und wenn eine Spielerin einen Kurzhaarschnitt hat, wird das gerne kommentiert.

dieStandard.at: In Österreich fanden 1972 die ersten Bewerbsspiele in der Bundesliga und der erste Cup-Bewerb im Frauenfußball statt, das österreichische Frauennationalteam gibt es seit 1990. Wie ist die Popularität heute?
Irene Fuhrmann: In den vergangenen zehn Jahren haben wir einen gewaltigen Schritt gemacht, von knapp 60 auf derzeit über 330 Frauenvereine. Die Mädchen haben die Möglichkeit, in den Landesausbildungszentren, den LAZ, bis 14 Jahre die Ausbildung mit den Burschen zu machen und können auch in Burschenteams mitspielen. Mit 14 kommen sie dann gut ausgebildet zu den Vereinen.

dieStandard.at: Gibt es genug Nachwuchs?
Irene Fuhrmann: Die Breite und die Anzahl der Vereine wächst, für die Spitze sind wir jetzt mit dem im Frühjahr eröffneten Nationalen Zentrum für Frauenfußball in St. Pölten gut gerüstet. Am ersten Sichtungstag des Auswahlverfahrens hatten wir über 80 interessierte Spielerinnen. Für das erste Ausbildungsjahr 2011/12 wurden 29 Spielerinnen der Jahrgänge 1995 bis 1997 aufgenommen.

dieStandard.at: Was erwarten Sie sich für den Frauenfußball vom neuen Nationalzentrum?
Irene Fuhrmann: Es soll die Talenteförderung bei den jungen Frauen schließen, davon erhoffen wir uns künftig sehr viel Output. Im Alter von 14 bis 19 hatten die Mädchen nach den LAZ bisher keine weitere Förderung. Jetzt können sie die schulische und die sportliche Ausbildung mit Internat in St. Pölten verbinden, das ist bisher einmalig. Ich denke, dass das Zentrum die Basis für internationale Erfolge sein wird, zunächst in den Jugendnationalteams U17 und U19, wo wir in den nächsten Jahren hoffentlich zu einer EM-Endrunde fahren werden.

dieStandard.at: Welche Voraussetzungen müssen junge Frauen mitbringen, um es bis in die A-Liga schaffen zu können?
Irene Fuhrmann: Sie sollten am besten von klein auf mit dem Ball vertraut sein. Komplette Quereinsteigerinnen gibt es heutzutage nicht mehr. Die Mädels fangen meist mit sieben, acht Jahren in einem Verein an, anders werden sie kaum später höchste Klasse spielen.

dieStandard.at: Welcher Verein ist derzeit in Österreich am stärksten?
Irene Fuhrmann: Der SV Neulengbach. Die Mannschaft hat eine tolle Mischung mit starken ausländischen und durchgehend erfahrenen Teamspielerinnen. Das macht den Verein so erfolgreich. Seit sie vor neun Jahren das erste Mal Meister wurden läuft es dort auch finanziell gut, weil sie Fördergelder vom Land Niederösterreich bekommen.

dieStandard.at: Können Spielerinnen in Österreich hauptberuflich vom Frauenfußball leben?
Irene Fuhrmann: Nein, es gibt keine hauptberufliche Spielerin bei uns. Auch die jungen österreichischen Spielerinnen, die zu Vereinen nach Deutschland wechseln, machen alle ein Fernstudium oder absolvieren dort zusätzlich eine Ausbildung. Selbst die bekannteste österreichische Frauenfußballerin, Nina Aigner, die bei Bayern-München spielte, war immer nebenbei berufstätig.

dieStandard.at: Welche Vorteile hat es für die österreichischen Spielerinnen, bei deutschen Vereinen zu spielen?
Irene Fuhrmann: Die Spielerinnen, die in Deutschland sind, helfen damit unserem Nationalteam, den großen Sprung zu machen. Sie haben dort mehr Entwicklungschancen. In Deutschland sind sie in den Ligen viel mehr gefordert, allein schon im Training.

dieStandard.at: In welchen Bereichen hat der österreichische Frauenfußball noch aufzuholen, um sich mit internationalen Top-Mannschaften messen zu können?
Irene Fuhrmann: Vor allem im athletischen Bereich. Oft ist der Unterschied zu den anderen gar nicht so sehr die Technik, sondern die Kondition. Auf Vereinsebene zum Beispiel schlägt sich Neulengbach sehr gut, kommt jedes Jahr unter die Top 16, aber dann ist meistens Endstation, weil sie körperlich an ihre Grenzen stoßen.

dieStandard.at: Woran liegt das?
Irene Fuhrmann: Daran, dass zu wenig trainiert wird. Frauenfußball ist in Österreich im Prinzip ein Amateursport: Die Mädels trainieren in den Vereinen maximal drei- bis viermal pro Woche. Die Spielerinnen der Nationalmannschaft haben zusätzlich zwei- bis dreimal pro Jahr fünf Tage Vorbereitungslehrgang, im Hinblick auf die EM- Qualifikation. Öfter würde es gar nicht gehen, weil die Spielerinnen sich dafür Urlaub nehmen müssen.

In Deutschland wird in der ersten Liga sechs- bis siebenmal pro Woche trainiert, weil die Frauen den Sport dort semi-professionell ausüben oder als Profis nur halbtags arbeiten müssen. Ich würde mir wünschen, dass es das in Österreich auch gäbe. Die Doppelbelastung Beruf - Sport ist schon sehr hoch.

dieStandard.at: Was bräuchte es, um dahingehend etwas zu verändern?
Irene Fuhrmann: Mehr Aufmerksamkeit für den Frauenfußball! Es ist ein Teufelskreis: Wir sind kaum in den Medien, dadurch gewinnen wir wenige Sponsoren und haben zu wenige Mittel, um den Frauenfußball so zu stärken, dass wir größere Erfolge landen, mit denen wir auffallen. Ich glaube, dass, wenn wir demnächst durch die Förderung des Nachwuchses auf internationaler Ebene einen Erfolg landen, das eine Initialzündung sein kann. Was mir in Österreich auch fehlt, ist, dass die großen, namhaften Vereine wie Austria oder Rapid keine Frauenmannschaften haben. Einzig Wacker Innsbruck und Lask haben Frauenmannschaften.

dieStandard.at: Gibt es Kontakt zwischen der Frauen- und Männer-Nationalmannschaft?
Irene Fuhrmann: Nein, bisher gab es da keine Vernetzung.

dieStandard.at: Wie sieht es mit Frauen als Trainerinnen in Österreich aus?
Irene Fuhrmann: In meinen Augen sind noch zu wenige Frauen als Trainerinnen aktiv. Zu wenige Spielerinnen entschließen sich, dabeizubleiben. Viele nehmen sich zunächst eine Auszeit, steigen dann aber nicht mehr ein. Wir haben eine sehr junge Nationalmannschaft, die älteste Spielerin ist 26. Die meisten Top-Spielerinnen wie Nina Aigner beenden mit etwa 30 ihre Karriere, meist aus gesundheitlichen Gründen. Für viele steht dann auch die Familie im Vordergrund, nachdem sie jahrelang ihr ganzes Leben auf den Sport ausgerichtet haben.

Die UEFA A-Lizenz, mit der man Spielerinnen der höchsten Liga trainieren darf, haben bisher vier Frauen, ich bin jetzt die Fünfte, die diese Ausbildung abschließt. Nur die Profi-Lizenz hat bisher noch keine. Ich denke aber, dass der Österreichische Fußballbund da keiner interessierten Frau einen Stein in den Weg legen wird.

dieStandard.at: Würden Sie selbst gerne hauptberuflich als Trainerin arbeiten?
Irene Fuhrmann: Das ist natürlich mein Ziel. Vereinsmäßig ist das in Österreich aber nicht realistisch, es gibt auch keinen männlichen Trainerkollegen, der in der ÖFB-Frauenliga hauptberuflich trainiert. (Isabella Lechner/dieStandard.at, 19.6.2011)