William Sharpe hofft, dass schlechte Finanzberater und teure Produkte mit besserer Bildung von Investoren vermieden werden können.

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Wirtschaftsnobelpreisträger William Sharpe wünscht sich gebildetere Anleger. Lukas Sustala sprach mit ihm über verrückte Finanzprodukte und die Schuld der Professoren an der Krise.

STANDARD: Sie haben für Ihre finanzökonomischen Forschungen den Wirtschaftsnobelpreis erhalten. In den letzten drei Jahren wurde viel Geld an den Finanzmärkten vernichtet. Welche Fehler haben Investoren begangen?

Sharpe: Es hat ein Realitätsverlust stattgefunden. Zunächst haben viele Anleger massiv überhöhte Erwartungen an die Erträge ihrer Investmentstrategien gehabt. Es wurden historische Aktiengewinne aus den 1990er-Jahren in die Zukunft prognostiziert, doch die waren ein statistischer Ausreißer. Zudem wurden die fundamentalen Gesetze ignoriert, wie Diversifikation und Kostenvermeidung. Und zu guter Letzt wurde das Risiko ignoriert, man handelte nur noch nach Ertragsaussichten. Das war bizarr. Für mich als Lehrer und professionellen Investor ist das nicht nachvollziehbar, basieren doch alle Modelle, die wir heute in der Praxis verwenden, auf Risiko und Unsicherheit.

STANDARD: Hat die Finanzberatung aus Ihren Modellen wirklich Lehren gezogen?

Sharpe: Es ist wirklich tragisch, dass manche Anleger und Sparer auch heute noch schlecht beraten werden. Früher war der Standard in der Branche viel niedriger. Das hat die Portfoliotheorie geändert.

STANDARD: Was ist die Kernthese der Portfoliotheorie?

Sharpe: Dass Risiko und Ertrag zusammenhängen. Wollen Sie hohe Renditen, müssen Sie in die Wertpapiere investieren, die in einer Krise leiden. Wir haben die Finanzplanung aus einem Traumland geholt, in dem es kein Risiko gab.

STANDARD: Ist es angesichts der hohen Schwankungen an den Aktienmärkten noch sinnvoll, die Pensionssysteme stärker an den Kapitalmarkt zu binden?

Sharpe: Ich sehe angesichts des demografischen Wandels wenig Alternativen. Gerade deswegen ist die Bildung von Anlegern so wichtig. Meine gesamten Aktivitäten neben der Universität waren immer auf der Seite der Investoren, der Käufer von Finanzprodukten. Es ist wichtig, dass sie lernen, die schlimmsten Fehler zu vermeiden und nicht auf Marketingsprüche der Finanzbranche hereinfallen. Die Industrie möchte den Kunden verwirren, oder anders formuliert, ihn nicht beim Verstehen unterstützen.

STANDARD: Sie selbst waren doch ein Teil der Branche, haben ein Beratungsunternehmen gegründet.

Sharpe: Es gibt zum Glück in der Branche der Vermögensverwaltung viel Wettbewerb. Doch die Evolution arbeitet sehr langsam. Ich habe dennoch weiter die Hoffnung, dass mit besserer Bildung die schlechten Berater und teuren Produkte weniger werden.

STANDARD: Eine zentraler Punkt für die Vorsorge sind die Kapitalmarktrenditen. Mit welchen Erträgen darf ein Anleger im nächsten Jahrzehnt rechnen?

Sharpe: Die realen Renditen (nach Inflation, Anm.) werden niedrig sein. Risikofreie Wertpapiere werden angesichts der jetzigen Preise wohl nur eine reale Rendite von einem Prozent über die nächsten zehn Jahre bringen. Auch die Risikoprämie für Aktien ist gefallen, da halte ich eine Erwartung von rund 3,5 Prozent für realistisch.

STANDARD: Das ist deutlich niedriger als der Konsens in der Branche.

Sharpe: Absolut. Es gibt aber gute Gründe, warum die Risikoprämie zurückgehen sollte, denken Sie nur an die hunderttausenden Menschen, die heute in den Aktienmarkt investieren. Ich halte das für eine verantwortungsbewusste Prognose. Für viele Pensionisten wird das aber ein Problem.

STANDARD: Was ist für Sie die zentrale Lehre aus der aktuellen Krise?

Sharpe: Man darf niemals eine Strategie fahren, die von einer einzigen Krise oder einem schlechten Jahr zerstört werden kann.

STANDARD: Welche Rolle spielten die Finanzprofessoren in dieser Krise? Viele Autoren machen ja auch Modelle für die Krise verantwortlich, die von Ihnen popularisiert wurden.

Sharpe: Ich habe einige der Bücher gelesen, die die Meinung vertreten, dass die Finanzökonomik die Krise verursacht hat. Ich habe irgendwann mit dem Lesen aufgehört, weil es zu deprimierend war und auch zu langweilig. Tragen wir als Ökonomen Mitschuld an der Krise? Ja. Es gab eine Verbreitung von Finanzinstrumenten, die einfach verrückt waren und die auf durchaus sinnvollen Theorien basiert haben. Aber die schlechte Umsetzung von Ideen hat eine große Rolle gespielt.

STANDARD: Angesichts dieser offenkundigen Probleme im Finanzsystem, wie erfolgreich werden die aktuellen Regulierungsbemühungen der Wirtschaftspolitik sein?

Sharpe: Es ist ein unfairer Wettbewerb. In allen Volkswirtschaften zahlt es sich aus, in den Finanzsektor zu gehen und nicht in die Regulierung. Egal wie ambitioniert man reguliert, die Physiker an der Wall Street, mit Doktortiteln von Elite-Universitäten, werden einen Weg finden, die Regeln zu umgehen.

STANDARD: Also keine neuen Regeln nach der aktuellen Krise?

Sharpe: Doch. Banken, die zu groß sind, dass ein Staat sie pleitegehen lassen kann, sind auch zu groß, um überhaupt zu existieren. Ich glaube, damit kann man viele Probleme in der Branche vermeiden. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.6.2011)