Machen wir uns nichts vor: Die Österreicher sind genauso wie die Deutschen Pessimisten": Ulrich Reinhardt kratzt an einem liebevoll gepflegten Selbstbild. Als lebensfrohere Ausgabe der latent verkrampften Nachbarn stellen sich die Österreicher gerne dar - mit zweifelhaftem Wahrheitsgehalt. Aus seiner neuesten Studie kann der Hamburger Zukunftsforscher Reinhardt jedenfalls nichts dergleichen herauslesen: Demnach geht man (auch) zwischen Boden- und Neusiedler See mit schwerem Gemüt durchs Leben.
Rund 15.400 Menschen in 13 Ländern hat die gemeinnützige Stiftung für Zukunftsfragen, eine Initiative von American British Tobacco, im Vorjahr über ihr Glücksgefühl befragt. Obenauf rangieren die Dänen, gefolgt von den Griechen, deren positives Lebensgefühl sich angesichts der Krisenturbulenzen allerdings mittlerweile relativiert haben könnte. Die Österreicher hingegen landen, ähnlich wie die Deutschen, im Feld der Missmutigen (siehe Grafik): Nur 63 Prozent sind mit dem eigenen Leben glücklich.
Woher kommt die Unzufriedenheit? Eine Wurzel sieht Stiftungschef Reinhardt in der Mentalität verankert. Schon das Urwort "gelucke", das im 12. Jahrhundert aufgetaucht ist, berge den Begriff "Gelingen". Während Glück anderswo eher als allgemeiner und länger währender Zustand verstanden werde, sehe man bei uns darin mehr ein kurzfristiges Hochgefühl, das sich dann einstellt, wenn etwas erreicht wird: eine bestandene Prüfung, ein absolviertes Projekt oder auch nur ein gewonnenes Fußballmatch - "typisch deutsch eben", sagt Reinhardt. Dass die realen Chancen mit dem Schaffens- und Leistungsdrang nicht immer mithalten, schaffe Nährboden für Frust.
Sorgen statt Aufstiegträume
Als weiteren Grund nennt der Wissenschafter Abstiegsängste. Deutsche und Österreicher hätten einen besonders hohen Lebensstandard erreicht - und deshalb das Gefühl, viel verlieren zu können, wenn die Nachbarn aufholen. Dies sei auch eine mögliche Erklärung für den Umstand, dass in Glücks-Charts oft vermeintliche Armenhäuslerstaaten vorne liegen. Dort gebe es starke Aufstiegsträume, meint Reinhardt: "Ich will nicht sagen, dass uns nur die Albträume bleiben, aber die Mitteleuropäer blicken eher sorgenvoll in die Zukunft."
Beim Europa-Vergleich schreibt Reinhardt dem Faktor Familie entscheidende Bedeutung zu: Im Spitzenreiterland Dänemark lasse sich der Familientraum dank entsprechender Rahmenbedingungen viel besser leben als in den deutschsprachigen Staaten.
Der Stellenwert fester sozialer Strukturen spiegle sich auch innerhalb Österreichs wider: In Orten unter 5000 Einwohnern leben laut Umfrage mit einem Anteil von zwei Dritteln deutlich mehr glückliche Menschen als in Wien, wo gerade jeder Zweite die Glücksfrage bejahte. Reinhardt führt das etwa auf größere Familien, geringere Anonymität und intensivere Beziehungen zu Nachbarn und Freunden zurück. Doch keine Studie ohne Gegenstatistik: Auf dem Land gibt es mehr Selbstmörder als in der Stadt.
Andere Botschaft: Geld macht doch glücklich! Je höher das Haushaltsnettoeinkommen, desto verbreiteter das Glücksempfinden. In der Klasse unter 900 Euro monatliche bezeichnen sich 45 Prozent als glücklich, in jener über 3600 Euro hingegen 75 Prozent. Allerdings ist die Gefühlslage der Österreicher kompliziert. Mit steigender Bildung, die an sich Chancen auf guten Verdienst eröffnet, mache sich so mancher dann wieder zu viele Sorgen über Gott und die Welt, um das eigene Glück zu genießen, meint Reinhardt: Akademiker sind unglücklicher als Menschen mit AHS-Abschluss.
Auch zwischen den Altersgrupen gibt es eine Schieflage. Junge Leute bis 24 und Senioren ab 65 sind überdurchschnittlich glücklich. "Die mittlere Generation soll hingegen Karriere machen, sich selbst verwirklichen, Alte und Junge versorgen sowie das Sozialsystem erhalten", sagt Reinhardt: "Das sind die Gekniffenen." (Gerald John/DER STANDARD, Printausgabe, 22.06.2011)