Bild nicht mehr verfügbar.

"Die Beharrungskräfte in der ÖVP sind nach wie vor in der Mehrzahl. Die anderen setzen sich nicht entsprechend durch", sagt Oxonitsch.

Foto: APA/Pfarrhofer

Die Faulheit von Schülern würde keineswegs gefördert, wenn sie mit drei Fünfern in die nächste Klasse aufsteigen können, sagt der Wiener Bildungsstadtrat Christian Oxonitsch (SPÖ) im derStandard.at-Interview. Über den Vorschlag von Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz, ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr einzuführen, müsse man erst diskutieren, so der Stadtrat. Ob er einmal Bürgermeister werden könnte, "entscheiden andere", derzeit will sich Oxonitsch über die Nachfolge von Michael Häupl allerdings nicht den Kopf zerbrechen. Die Fragen stellte Lisa Aigner.

***

derStandard.at: Unterrichtsministerin Schmied hat ein neues Konzept für die Oberstufe vorgeschlagen. Dabei müssen Schüler Module positiv abschließen, können aber mit drei Fünfern in die nächste Klasse aufsteigen. Was halten Sie von dem Konzept?

Oxonitsch: Ich halte das für dringend notwendig. Sitzenbleiben ist volkswirtschaftlicher und bildungspolitischer Unsinn. Das weiß ich deshalb, weil ich es selber gemacht habe. Man ist in einem Gegenstand mäßig begabt oder faul oder was auch immer und muss trotzdem zehn andere Gegenstände parallel dazu wiederholen. Wir wissen ganz genau, dass das nicht nur Ressourcenvergeudung ist, sondern dass das auch bei vielen dazu führt, dass sie sagen: "Das habe ich eh alles schön gehört, da schalte ich das Hirn ein Jahr lang aus". Hier besteht die Gefahr, dass ein Problem in einem anderen Fach auftaucht, weil man einfach abgeschaltet hat und die anderen Fächer vernachlässigt.

derStandard.at: Viele sagen, wenn man es möglich macht, dass Schüler mit drei Fünfern aufsteigen können, fördert man ihre Faulheit. Was sagen Sie dazu?

Oxonitsch: Das hat man auch diskutiert, als es darum ging, dass man mit einem Fünfer aufsteigen kann. Dieses Argument wird man nie zum Verstummen bringen. Mir geht es darum, dass ein Defizit in einem Fach aufgeholt wird und entsprechend dem Modulsystem Fördermaßnahmen für diesen Gegenstand angeboten werden. Das bedingt aber nicht, dass ich zehn andere Gegenstände, wo ich gut bin, nachholen muss. Es kommt dadurch kein Schlendrian hinein. Ganz im Gegenteil: Das System fokussiert auf die Problemlage und führt nicht dazu, dass ein Jahr "heruntergebogen" wird.

derStandard.at: Was sagen Sie dazu, dass Vizekanzler Spindelegger nun einen Neustart der Verhandlungen zur Oberstufenreform fordert?

Oxonitsch: Es ist bedauerlich. Es ist leider nicht das erste Mal, dass sich scheinbar die Bremser in der ÖVP durchsetzen gegenüber jenen Kräften, die den Reformbedarf des Bildungssystems erkennen. Da gibt es einige, aber die sind anscheinend nicht mehrheitsfähig. Die Beharrungskräfte in der ÖVP sind nach wie vor in der Mehrzahl. Die setzen sich nicht entsprechend durch. Da hat auch das Austauschen vom Verhandlungspartner nichts genutzt wie man sieht (Anm. die damalige Wissenschaftsministerin und jetzige Justizministerin Beatrix Karl wurde mit Bildungssprecher Werner Amon ersetzt). Sie bräuchten ein entsprechendes Reformverständnis für die österreichische Bildungslandschaft. Wir wissen, dass wir im Bildungssystem zurückfallen, dass hier die einzige Antwort der ÖVP, ist alles so beizubehalten wie es ist, ist für mich überhaupt nicht verständlich.

derStandard.at: Kommt die Oberstufenreform wie geplant, würde es sehr viel mehr Lehrer für die Förderkurse brauchen. Hätte Wien da genug Personal?

Oxonitsch: Das wir im Lehrerbereich ein Problem haben werden und auch aktuell haben ist evident. Wir haben an den pädagogischen Hochschulen Gott sei Dank 25 Prozent mehr Bewerber. Das heißt, das was vielfach verankert ist in den Köpfen der jungen Menschen, nämlich der Brief der ehemaligen Unterrichtsministerin Gehrer, in dem es geheißen hat, man hat als Lehrer keine Jobchance, löst sich langsam. Es gilt immer noch hier gegenzusteuern, aber es wird besser. Wir werden nichtsdestotrotz eine Delle in der Personalausstattung haben. Ich hoffe in erster Linie auf ein flexibleres Ausbildungsmodell, das es möglich macht, dass Lehrer in den Schultypen wechseln können. So kann ich Lehrer leichter ersetzen.

derStandard.at: Werden Sie das Bildungsvolksbegehren von Hannes Androsch unterschreiben?

Oxonitsch: Ich habe vor es zu unterschreiben. Ich unterstütze aber nicht alle Forderungen. Da gibt es Dinge, denen ich skeptisch gegenüber stehe. Ob es wirklich notwendig ist, das Kindergartensystem in die Bundeskompetenz zu übertragen, darüber muss man diskutieren. Auch die Frage der Schulautonomie ist diskussionswürdig. Ich unterschreibe, weil ich nicht will, dass diese bildungspolitische Debatte, die seit zwei Jahren anhält, nicht einfach abreißt, sondern einmal zu Ende geführt wird. Ich hoffe, dass diese Diskussion - vielleicht dauert sie noch zwei oder drei Jahre, da bin ich geduldig in der Bildungspolitik - zu einem Ende kommt. So dass wir die Tipps, die wir immer wieder von außen bekommen, also das wir ein Ganztagsschulmodell, eine gemeinsame Schule und  eine innere Differenzierung in den Klassen brauchen, endlich umsetzen können. Mit dem Bildungsvolkbegehren entsteht vielleicht ein gewisser Druck, so dass man erkennt, dass Veränderung in dem Bereich möglich ist und auch gewünscht wird von den Leuten.

derStandard.at: Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz hat vorgeschlagen ein zweites verpflichtendes Gratiskindergartenjahr einzuführen. Wien bietet den Kindergarten schon jetzt für alle Kinder kostenlos an. Unterstützen Sie Kurz in dieser Sache?

Oxonitsch: Die Forderung ist sehr ad hoc gestellt. Ich finde es ist wichtig und richtig darüber zu diskutieren. Gleichzeitig muss man sagen, dass wir das erste Gratiskindergartenjahr noch nicht einmal abgeschlossen haben. Ich habe zwar einige Rückmeldungen dazu, aber man sollte sich die Zeit nehmen über Schwierigkeiten und Probleme die es gibt, nachzudenken. Die Grundintention ist das zweite verpflichtende Gratiskindergartenjahr für jene Kinder einzuführen, die Sprachdefizite haben. Da muss man sich den Kopf darüber zerbrechen, wie man das eruieren kann. Es geht nicht nur um Sprachdefizite, sondern auch um motorische Probleme, da ist die Frage, wie die herausgefiltert werden sollen und wie ich Eltern dazu bringe, mit einem zweijährigen oder dreijährigen Tests zu machen.

derStandard.at: Würden Sie es grundsätzlich begrüßen, dass man ein zweites Kindergartenjahr nur für jene Kinder verpflichtend vorsieht, die Sprachdefizite haben?

Oxonitsch: Ich glaube, dass es durchaus auch andere Defizitbereiche gibt, z.B. sozialer oder motorischer Art. Hier muss man darüber nachdenken, wie man Kinder optimal auf die Schule vorbereitet. Man sollte auf jeden Fall alle Defizitbereiche beachten. Hier zeigen auch Vorschuljahre andere Wege auf. Wir sollten uns Zeit nehmen über das beste Modell zu diskutieren.

derStandard.at: Hat sich Ihre Arbeit geändert, seit sie einen Koalitionspartner in der Landesregierung haben?

Oxonitsch: Natürlich hat sich etwas geändert. Man muss Beschlüsse anders vorbereiten und diskutieren. Das ist manchmal zeitaufwändiger. Ich kann nicht eine Idee einfach machen. Auch wenn weniger populäre Maßnahmen umgesetzt werden müssen, muss ich das mit dem Koalitionspartner absprechen. Wir haben hier ein sehr faires Arbeitsverhältnis gefunden. Wenn wir Probleme miteinander haben diskutieren wir sie.

derStandard.at: Am Wiener SPÖ-Parteitag wurde Häupl mit nur 89 Prozent als Landesparteichef bestätigt. Warum?

Oxonitsch: Der Vergleichswert davor war unmittelbar vor einem Wahlkampf, wo ganz stark an einem Strang gezogen wird. Der andere Effekt ist, dass in Zeiten einer wirtschaftlichen Krise gewünschte politische Maßnahmen nicht erfüllt werden können. Aber das sind Auf und Abs, die ich nicht überwerte, dazu stehe ich zu lange in der Politik. Bei der Renate (Brauner, Vizekanzlerin, Anm.) hat man auch gesehen, dass man in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nicht aus dem Vollen schöpfen kann. Man muss hier auch auf den ausgeglichenen Haushalt schauen. Das ist nicht immer populär.

derStandard.at: Sie glauben nicht, dass das an der rot-grünen Koalition liegt?

Oxonitsch: Das ist eher deshalb, weil man manche politische Vorstellungen nicht umsetzen kann, weil es schwierige wirtschaftliche Rahmenbedingungen gibt.

derStandard.at: Michael Ludwig hat beim Parteitag sehr viel Unterstützung bekommen, im Gegensatz zu Vizebürgermeisterin Renate Brauner. Wen wünschen Sie sich als nächsten Bürgermeister bzw. Bürgermeisterin?

Oxonitsch: Ich zerbreche mir darüber überhaupt nicht den Kopf. Michael Häupl ist mit Lust und Laune dabei. Diese Entscheidung werden wir dann treffen, wenn es so weit ist.

derStandard.at: Wollen Sie selbst Bürgermeister werden?

Oxonitsch: (Lacht.) Ich habe hier mit meinem Ressort eine Aufgabe die groß genug ist. Ich habe mich noch nie gefragt, was ich als nächstes mache. Weder als Klubobmann noch als Gemeinderat. Das liegt auch nicht an einem selber, dass entscheiden andere. (derStandard.at, 22.6.2011)