DER STANDARD-Schwerpunkt Thema Glück

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Nives Widauer: Stickbild mit Seneca-Zitat.

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Obwohl gerade erst 33 geworden, ist Matthew Killingsworth als Glücksforscher eher ein Spätberufener. Der Doktorand an der Harvard University studierte nämlich zuerst einmal Ökonomie und Ingenieurwissenschaften. Danach arbeitete er einige Jahre als Produktmanager in der Software-Industrie.

Ab Mitte zwanzig fragte er sich immer öfter, warum sich auf der einen Seite die Lebensbedingungen dank der neuen technischen Möglichkeiten immer weiter verbessern, auf der anderen Seite das Glück und die Zufriedenheit der Leute aber nur ganz langsam ansteigt, sagt Killingsworth auf STANDARD-Nachfrage. Also beschloss er vor fünf Jahren, beim Psychologen Daniel Gilbert, einem der weltweit führenden Glücksforscher, eine Dissertation zu schreiben.

Sein Projekt nennt sich im Original trackyourhappiness.org (also "Verfolge dein Glück") und besteht im Wesentlichen aus einer smarten Applikation für das iPhone. Jene Personen, die sich die App auf das Smartphone laden, werden mehrmals am Tag per SMS danach gefragt, was sie gerade tun, ob sie glücklich sind und noch einige andere Dinge mehr. Sie werden so einerseits zu wertvollen Datenlieferanten. Zugleich erhalten sie aber auch Statistiken über ihren jeweiligen Glücksstatus und entsprechende Beratung, um so ein noch glücklicheres Leben zu führen.

Doch man muss nicht unbedingt bei Killingsworths großangelegtem Projekt mitmachen, das wegen der SMS-Gebühren vor allem von nordamerikanischen Datenlieferanten lebt. Gemeinsam mit seinem Betreuer und Mentor Daniel Gilbert hat Killingsworth nämlich vor kurzem die ersten Ergebnisse aus Analysen von 250.000 Angaben von damals 2250 Testpersonen (im Alter zwischen 18 und 88 und zu 74 Prozent aus den USA) veröffentlicht.

Die beiden kamen dabei zu einem doch eher erstaunlichen Prädiktor dafür, ob man glücklich ist oder nicht: Wenn Menschen an etwas anderes denken als das, was sie gerade tun, dann macht sie das im Normalfall unglücklich. "Dabei ist es ziemlich egal, ob der Geist zu angenehmen oder unangenehmen Dingen abschweift", wie Killingsworth im Interview erklärt.

Die App-Nützer können bei ihren Angaben, die im Normalfall dreimal täglich abgefragt werden, aus 22 Aktivitäten wie Gehen, Essen, Einkaufen und Fernsehen wählen. Laut den Angaben schweiften ihre Gedanken zu 46,9 Prozent der Wachzeit ab, bei 21 Tätigkeiten passierte das zumindest zu 30 Prozent der Zeit. Einzige Ausnahme: Sex.

Wie die beiden Psychologen im US-Wissenschaftsmagazin Science schreiben, waren ihre freiwilligen Testpersonen am glücklichsten, wenn sie Sex hatten, Sport betrieben oder in ein Gespräch vertieft waren. Am wenigsten glücklich waren sie beim Arbeiten, beim Ausruhen oder zu Hause am Computer. Doch die Forscher gehen aufgrund der Daten davon aus, dass die spezifische Aktivität nur 4,6 Prozent des jeweiligen Glückszustands erklärt, während die Variable "abschweifende Gedanken" rund 10,8 Prozent ausmacht.

Killingsworths Forschungen mittels neuester technologischer Möglichkeiten scheint dabei freilich erst wieder nur zu bestätigen, was viele philosophische und religiöse Traditionen seit Jahrhunderten predigen: dass man Glück und Zufriedenheit am besten darin findet, im Hier und Jetzt zu leben - und sich dabei möglichst wenig ablenken zu lassen. (Klaus Taschwer/DER STANDARD, Printausgabe, 22.06.2011)