Etwa 150 Flüchtlingen, die mit den unterschiedlichsten Schicksalen in Wien landen, dient das Haus Amadou als Auffangstation. Lebendig und bunt wirkt dieser Ort, der ohne Spenden nicht existieren könnte.

Foto: Standard/Hendrich

Die 15-jährige Tschetschenin Maryam wartet seit drei Jahren auf den Asylbescheid.

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Wien - "Zuerst war es schon schwer. Die Schüler waren total schockiert, Flüchtlinge an ihrer Schule zu haben." Maryam (15) sitzt im Innenhof des Flüchtlingsheims Amadou in der Robert-Hamerling-Gasse und erzählt in nahezu perfektem Deutsch von ihrer Ankunft in Österreich vor drei Jahren. Währenddessen laufen lachende Kinder an ihrer Bank vorbei, die sich an diesem heißen Sommertag mit Spritzpistolen Abkühlung verschaffen.

Vor ihrer Ankunft in Wien wurde Maryams Familie in Innsbruck aufgenommen. Das Verhältnis zu ihren ehemaligen Mitschülern der dortigen Hauptschule sei immer noch sehr innig: "Wir haben uns schnell angefreundet und haben immer noch viel Kontakt - manchmal telefonieren wir stundenlang", sagt Maryam. Seit einigen Monaten wohnt sie im Haus Amadou, gemeinsam mit ihren Eltern und ihrer kleinen Schwester. Die tschetschenische Familie wartet nach drei Jahren immer noch auf eine Aufenthaltsgenehmigung, und an ihrer Art, darüber zu sprechen, merkt man, dass Maryam die Ungewissheit zu schaffen macht.

Die Kraft der Hoffnung

Den meisten Bewohnern des Hauses Amadou, einer Einrichtung der Caritas, geht es ähnlich - sie warten und versuchen indes, das Beste aus ihrer Lage zu machen, obwohl sie nicht arbeiten dürfen. "Viele bleiben nur wenige Tage bei uns, andere mehrere Jahre. Manche, die lange hierbleiben, fallen unter das Dubliner Übereinkommen", erzählt die Leiterin des Flüchtlingsheims, Irmgard Joo.

Diese Übereinkunft besagt, dass Menschen, die zum Beispiel über Polen mit einem polnischen Visum gekommen sind oder dort einen Asylantrag gestellt haben, auch wieder nach Polen zurückmüssen. "Das sehr langwierige Verfahren führt dazu, dass Flüchtlingskinder, die sich hier langsam integriert und Freunde gefunden haben, plötzlich wieder wegmüssen. Das ist für die Betroffenen eine Katastrophe", kritisiert Joo. Mit Beschäftigungsprogrammen und Festen wird versucht, den Bewohnern den Aufenthalt so erträglich wie möglich zu machen. Zwischen Jänner und April dieses Jahres waren es 3739 Menschen, die in Österreich um Asyl angesucht haben. Allen voran Personen aus Afghanistan oder Russland, vor allem Tschetschenen. Die Chance auf positive Erledigung ist gering: Von 710 Anträgen aus Afghanistan waren es 43 Prozent, von 695 Anträgen aus Russland nur 34 Prozent.

Derzeit leben etwa 150 Flüchtlinge im Haus Amadou, aufgeteilt in drei Bereiche: alleinstehende Frauen, alleinstehende Männer und Familien. Die Menschen, die hier wohnen, stammen aus diversen Nationen, haben verschiedenste Hintergründe und Traditionen, und doch scheinen die Spannungen zwischen ihnen gering zu sein. Auch die Platznot - oft muss sich eine fünfköpfige Familie ein Zimmer teilen - wird laut Michael Zikeli, der Amadou 1992 ins Leben rief, selten zum Problem: "Das Haus ist lebendig und harmonisch. Ich wünschte, Menschen würden auf der ganzen Welt so zusammenleben können, wie die Leute es hier können", sagt Zikeli. Die Atmosphäre in der umfunktionierten Tierfutterfabrik ist einladend. Die Wände sind hell und freundlich, die Gänge mit bunten Fliesen versehen, und im Innenhof herrscht reges Treiben. Während wir durch das Haus gehen, spricht ein Familienvater Irmgard Joo an und beklagt sich höflich über ein Mädchen, mit dem sein Sohn Streit hatte. "Die wenigen Konflikte, die es gibt, werden geregelt, indem wir uns mit den Kindern und wenn nötig auch mit deren Eltern zusammensetzen", erklärt sie.

An die Anfänge des Hauses erinnert sich Zikeli genau: "Damals, als die ersten Flüchtlinge aus dem Osten über unsere Grenzen kamen, wurde jeder Einzelne noch als Sieg über den Kommunismus verstanden. Das hat sich schlagartig geändert, als die Zahl anstieg. Die Caritas hat gesehen, wie viele Flüchtlinge hier keine Auffangstation finden. Also wollten wir diese Auffangstation sein."

Während seiner Karenz kümmerte er sich Stück für Stück um die Renovierung der Räumlichkeiten und machte sie bewohnbar. Heute leitet er den Bereich Asyl und Integration der Caritas Wien und wirkt nicht minder begeistert und engagiert in Sachen Nächstenhilfe. Heimleiterin Joo macht bei diesem Punkt auf die Wichtigkeit der psychologischen Betreuung aufmerksam: "Die Betreuer sprechen regelmäßig mit den Betroffenen über ihre Perspektiven. Denn trotz der Beschäftigungsprogramme denken sich viele: 'Ich bin jung, ich bin gesund, ich will arbeiten!'" Während die Heimleiterin spricht, nähert sich ihr ein kleines Mädchen und ergreift ihre Hand. Joo lächelt und fährt fort: "Es ist auch wichtig, mit den Kindern etwas zu unternehmen." So wurde zum Weltflüchtlingstag am 18. Juni ein Fest organisiert. Zikeli betont, dass es der Caritas ein Anliegen sei, nicht in einem starren Verwaltungsapparat festzustecken. "Wir haben keine streng definierte Zielgruppe, sondern reagieren auf das, was gerade als Notlage erkannt wird."

In einem Punkt sind sich Joo und Zikeli einig: "Ohne Sachspenden könnten wir zusperren." Das Vertrauen, das die Flüchtlinge in die Betreuer haben, ist groß. Zikeli weiß, worauf es ankommt: "Wir wollen allen das Gefühl von Sicherheit vermitteln. Aber wir versuchen alles, um den Leuten so rasch als möglich ein richtiges Zuhause zu schaffen. Das hier soll nur eine Notlösung sein." (Alicia Prager, Aurora Orso, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22.6.2011)