Ai Weiwei nach der Entlassung vor seinem Haus in Peking: von den Behörden zum Schweigen verpflichtet.

 

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Ai-Weiwei-Porträt im Mai auf einer Petition britischer Künstlerkollegen

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An der scharfen Repression in China ändert dies nichts.

Fernsehteams und Journalisten drängen sich am Donnerstag frühmorgens im Pekinger Künstlerviertel Cao Changdi vor Haus Nr. 258. Die Adresse ist inzwischen weltbekannt, der Bewohner Ai Weiwei auch. Am Tor zu seinem Atelier, in dem er in der Nacht zuvor plötzlich wieder eingezogen war, steht unter der Hausnummer das zu seinem Markenzeichen gewordene englische Wort "Fake".

Fälschung, Imitation ist das Synonym für die seit 2008 immer schonungslosere Kritik des Künstlers an der Verlogenheit der von der Partei gepredigten Harmonie, hinter der sich die Repression verbirgt. Er liebt das Wort auch deshalb, weil es nach chinesischer Lesart "Fuck" ausgesprochen wird. "Fuck you" ist die provozierende Antwort des Avantgardisten auf das System, das er mit aufklärerischen Aktionen und Mikroblogs bis zur Weißglut gereizt hat.

Chinas Sicherheitsbehörden zahlen es ihm im Auftrag der Partei heim. Sie verschleppten ihn am 3. April. Nach 80 Tagen willkürlich verhängter Polizeihaft, ohne Zugang zu Richter oder Anwalt und ohne Kontakt zu seiner Familie, entließen sie ihn Mittwoch Nacht wieder nach Hause.

Pekings Führung lässt seit der Verleihung des Friedensnobelpreises an den Bürgerrechtler Liu Xiaobo im Oktober 2010 und verstärkt seit den arabischen Revolutionen Oppositionelle und kritische Journalisten so rigoros wie seit 20 Jahren nicht mehr verfolgen. Bei ihrer Abrechnung mit Ai Weiwei unterschätzte sie aber erstmals die internationale Empörung. Nun rudert sie zurück. "Es ist aber nur Taktik, eine Reaktion auf den Druck. Ai Weiwei ist ein besonderer Fall", sagt ein oppositioneller Autor, der ungenannt bleiben möchte. "Aber er ist keiner, der uns Hoffnung auf eine Ende der Repression macht."

Ai Weiwei ist nur äußerlich wieder ein freier Mann. In Wirklichkeit steht er unter Dutzenden von Polizeiauflagen. Er deutet es Journalisten vom Wallstreet Journal Mittwoch Nacht an. "Ich kann nicht sagen, dass ich draußen bin. Ich bin auf Kaution frei. Mehr darf ich nicht sagen unter den Bedingungen meiner Entlassung."

Ai Weiwei versteckt sich aber nicht. Am Donnerstagmorgen tritt er um halb acht Uhr vor die Tür, grüßt dort schon wartende Journalisten, bedankt sich für deren Unterstützung. Am Nachmittag plaudert er wieder vor der Tür. Er dürfe Peking nicht verlassen. Zivilpolizisten schreiten nicht ein, auch nicht, als zwei Bewunderer von Ai Weiwei Plakate in englischer und chinesischer Schrift - "Wir lieben Dich" - aufhängen.

Sprecher Hong Lei vom Außenministerium, genervt von den Fragen nach Ai Weiwei, nennt die polizeilichen Auflagen. "Qu bao hou shen", bedingte "Entlassung auf Kaution bei laufenden Ermittlungen". Der Kautionsparagraf wurde 1997 in das Strafgesetz aufgenommen. Er sollte ursprünglich unwichtige Fälle vor polizeilicher Willkür und Endloshaft schützen. Nun macht die Polizei daraus eine "Lex Ai Weiwei". Zu den Bedingungen gehören laut Hong Lei, dass Ai seinen Wohnort ohne Erlaubnis nicht verlassen darf und Polizeivorladungen unverzüglich nachkommen muss.

Chinesische Diplomaten hatten intern das Außenministerium vor einem Spießrutenlauf von Premier Wen Jiabao gewarnt, der von 24 bis 28. Juni Europa - Ungarn, Großbritannien und Deutschland - besucht. Die Sicherheitsbehörden zogen jetzt die Notbremse. An der inneren Lage Chinas änderte sich dadurch nichts. Bis auf die englischsprachige Global Times durfte keine chinesische Zeitung die Entlassung Ais melden.   (Johnny Erling aus Peking /DER STANDARD, Printausgabe, 24.6.2011)