Régine Chassagne an der Quetsche, Feldherr Win Butler an der Gitarre: Arcade Fire entzündeten sich in Wiesen.

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Win Butler, der örtlichen Polizei noch von früher bekannt, führte seine Band nach einem müden Beginn zu einem überzeugenden Finale.

Wiesen - Win Butler sieht aus, als würde er eine Armee anführen. Ein Hüne mit ausrasierten Schläfen, stierem Blick, strengem Scheitel - wie ein Militarist: zu nichts zu gebrauchen, aber zu allem fähig. Gleichzeitig erinnert der 31-Jährige an ein Riesenbaby, dessen Hosen immer zu eng und zu kurz sind. Auch das im Bund steckende Jeanshemd mit den Aufnähern lässt ihn nicht lockerer wirken: Habt Acht, Musik ab!

So betrat Butler als Kommandant der kanadischen Band Arcade Fire am Mittwochabend bei lauem Sommerwetter die Freiluft-arena in Wiesen für ein Heimspiel in der Fremde.

Arcade Fire, die ansonsten aussehen wie die Kelly Family der Independent-Music, luden zum gemeinsamen Singsang vor und mit 8000 Besuchern; das Konzert war seit Wochen ausverkauft. Schließlich ist Arcade Fire eine der erstaunlichsten Bands der letzten Jahre, ihr 2004 erschienenes Debüt Funeral ließ sie quasi über Nacht zu Stars werden.

Das Folgewerk Neon Bible festigte diesen Status, ihr im Vorjahr veröffentlichtes drittes Album The Suburbs wurde von der Grammy-Jury gar zum Album des Jahres ausgelobt. Gleichzeitig ist es ihre schwächste Arbeit. Ein eben neu und erweitert noch einmal aufgelegtes Konzeptalbum zum Thema Vorstädte, in denen mittlerweile ja die halbe westliche Welt aufwächst und lebt.

In teils zum Fremdschämen nötigenden Texten versinkt darauf eine sehr sensible Band in betuliche Nostalgie, besingt das Ende der Kindheit, böse Autos und vernachlässigt darüber ihre Kernkompetenz: zwischen Euphorie und Trübsinn zu gratwandeln und dort, an dieser Gefühlsscheide, unglaublich schöne Popmusik abzuschöpfen.

Die Schwäche von The Suburbs schlug sich im Konzert deutlich nieder. Stücke wie Modern Man oder das alberne Rococo wurden zwar beklatscht und abgewippt, die Begeisterung hielt sich aber in Grenzen. Dazwischen erzählte Butler von einem früheren Besuch in Wiesen, damals, in den 1990ern, als er zum ersten Mal in Europa war und sich Konzerte von The Cure und Pulp im Burgenland anschaute. Dabei wurde er am Heimweg von der örtlichen Polizei aufgegriffen, weil er versucht hatte, per Autostopp zurück nach Wien zu kommen. Nett.

Wunden lecken

Wo musikalisch die Publikumspräferenzen liegen, wurde bei Crown Of Love deutlich, einem dieser Meisterwerke, das erst weidwund seine Wunden leckt, um ab der Halbzeit gen Himmel zu schießen - es erfuhr ungleich größeren Zuspruch als die Aufwärmversuche zuvor.

Die Kurve kratzte die Band endgültig mit einer brachialen Version von Month Of May. Ein Lied wie ein Tölpel, aber live mit einer Schärfe dargeboten, dass man sich an diesem milden Abend damit versöhnen konnte. Im Folgenden verließ sich die achtköpfige Formation weitgehend auf die Kraft ihres Frühwerks und rief mit infantiler Spielfreude in Erinnerung, warum sich so viele in die Kunst von Arcade Fire verliebt haben. Auch wenn diese Spielfreude mitunter beträchtliches Overacting zeitigte, dessen sich namentlich der Multiinstrumentalist Richard Reed Parry und William Butler am Synthesizer schuldig machten: Illuminiertes Ausdrucksgewese an der Rassel, magenkrampftauglich.

Aber eine Show ist eine Show ist eine Show. Und bei acht Leuten gibt es viel zu schauen. Régine Chassagne, Win Butlers Angetraute, tänzelte im Sommerröckchen, zog dann und wann die Quetsche lang oder half als zweite Schlagzeugerin und an der Stimme aus. Sarah Neufeld und Marika Anthony-Shaw geigten am rechten Bühnenrand wie unter Einfluss, Parry und der junge Bruder des Chefs gaben gegen Ende noch an der Trommel die Durchgeknallten, Win Butler suchte derweil menschliche Nähe und schüttelte Hände im Publikum.

Jubel am Gelände - der Weg hat sich am Ende doch gelohnt. (Karl Fluch / DER STANDARD, Printausgabe, 24.6.2011)