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In Liebe angekettet: Monogamie besteht den Realitätstest oft nicht. Polyamorie kann als "Entwicklung zur Freiheit in Verbundenheit" eine Alternative sein.

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Die Niederländerin Ageeth Veenemans lebt polyamorös: "Für mich hat sich Polyamorie als sehr gute Alternative herausgestellt, und ich glaube, das wird sie für mehrere Leute sein. Aber es ist immer noch sehr tabuisiert."

Foto: Ageeth Veenemans

In ihrem Buch "Ich liebe zwei Männer" erklärt Veenemans über ihre und Erfahrungen anderer Polyamoröser das Konzept des alternativen Beziehungsmodells, dessen Essenz sie als Liebe bezeichnet: Bedingungslos.

Foto: Buchcover Ich liebe zwei Männer

"Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute." Zwei Menschen, in ewiger Liebe verbunden - Märchenstoff, der sich als Beziehungsform auch in Wirklichkeit durchgesetzt hat. Dabei sprechen die Scheidungszahlen eine andere Sprache: Im monogamen Modell ist irgendwie der Wurm drin. Sie kann sehrwohl ein gutes Mittel sein, um glücklich zu werden und zu bleiben. Für manche. Für viele ist Monogamie aber nicht einfach. 

Das hat auch Ageeth Veenemans erfahren. Ins Leben der verheirateten Niederländerin hat sich eine Liebe für einen Mann ihren Weg gebahnt, der nicht ihr Angetrauter war. Deswegen ist sie heute aber weder geschieden noch in eine verstohlene Affäre verwickelt. Und sie hat nicht auf eine neue Liebe verzichtet: Veenemans lebt polyamorös. Vor sieben Jahren haben sie und ihr Mann dieses Beziehungsmodell, in dem Partnerschaften mit mehreren Personen möglich sind, gewählt. "Für uns ist das normal", sagt Ageeth. "Ich glaube, dass Polyamorie generell näher an der Natur der Menschen ist."

Dabei ist sie sehr monogam erzogen worden, stellt sie fest. "Meine Mutter gab mir viele Beispiele von Menschen, die es anderes machen, und in diesen Beispielen ging die Beziehung immer schief. Polyamorie war nie in meinen Gedanken aufgekommen, aber es passierte doch." Vor zehn Jahren hat sie sich verliebt in Bob, einen Kollegen. "Nach fünf Monaten sind wir fremdgegangen. Mein Mann entdeckte meinen Betrug." Wenn man sich in eine andere Person verliebt, könne man oft nicht darüber sprechen, sagt Veenemans, und wenn das Gefühl nicht zu bändigen ist, müsse man lügen und betrügen. "Damit baut man in einer Beziehung Mauern auf."

Das war in ihrer Ehe nicht anders. "Ich war wieder nur für meine Familie da, aber ich trauerte, weil ich einen Gebliebten verloren hatte." Mit ihrem Mann konnte sie nicht gut darüber sprechen. Zweieinhalb Jahre vergingen, dann trat ihr Ex-Geliebter wieder in ihr Leben. "Ich dachte, es ist noch immer so wie damals. Das fühlt sich so gut an, die Liebe. Warum kann ich das nicht haben?" Auf Antwortsuche auf ihre Fragen zu Liebe und Beziehungen stieß sie auf ein Diskussionsforum über Polyamorie im Internet. "Ich wusste gleich, das ist, was ich will: Zwei Geliebten auf ehrliche Weise Platz in meinem Leben geben." Und sie staunte auch über sich selbst, dass sie sich nicht eher Gedanken über diese Möglichkeit gemacht hatte. 

"Ich sehe Menschen, die fremdgehen, ich sehe Menschen, die 25 Jahre zusammen sind und kein Sexualleben mehr haben, ich sehe Menschen, die nicht glücklich miteinander sind. Polyamorie eröffnet hier die Möglichkeit, Bedürfnisse, die man hat, die nicht in der primären Beziehung erfüllt werden können, in einer anderen Weise zu erfüllen. Mit jemanden anderen zum Beispiel", resümiert Veenemans. Sie glaubt, dass es notwendig ist, dass wir statt (serieller) Monogamie andere Beziehungsformen eingehen. "Manchmal sind Menschen wirklich fertig miteinander, und dann ist es gut, dass jede/r ihren/ seinen eigenen Weg wieder geht. Aber es gibt Menschen, die sich verliebt haben in eine neue Person, ihren ersten Partner jedoch immer noch lieben. Für alle diese Leute glaube ich, dass Polyamorie eine gute Alternative sein kann."

Utopische Gedanken

Aber ein/e zweite Geliebte/r sei eben nach wie vor sehr tabubehaftet: "Monogamie ist die Norm. Unsere Gedanken sind monogam. Seitensprünge sind solange in Ordnung, solange wir das nicht vom anderen wissen. Wenn wir darüber Beschied wissen, dann haben wir zu tun mit Angst, unseren Partner zu verlieren, mit Eifersucht. Es kann so viele Emotionen geben." Wenn man monogam ist, und die/der PartnerIn verliebt sich in eine andere Person, dann kommen Gedanken hoch, die Veenemans als falsch bezeichnet: "'Er liebt mich nicht mehr. Welche Fehler habe ich gemacht? Bin ich nicht gut genug? Ich bin nicht gut.' Aber es ist eine Utopie, zu glauben, dass ein Mensch all meine intimen Bedürfnissen ein ganzes Leben lang erfüllen kann."

Veenemans ist überzeugt davon, dass die Menschen lernen sollten, anders über Liebe zu denken, und das habe gar nichts damit zu tun, Eifersucht zu unterdrücken. "Ich bin sehr eifersüchtig gewesen. Ich glaube, das ist gesund. Mein Körper erzählt mir, dass ich etwas unterdrücke, das ich mir selbst nicht gönne, aber eigentlich will. Aber ich habe gelernt, dass ich das nicht darf. Und dann sehe ich bei anderen, dass sie das tun. Die anderen sind immer nur Anlass, aber nicht Ursache. Die Eifersucht erzählt mir viel über mich selbst." Es brauche Zeit, zu lernen, damit umzugehen. "Wenn man länger auf diese Weise lebt, dann werden manche Dinge gewöhnlich, dann ist es gut und nicht mehr so emotional." In einer erfolgreichen polyamorösen Beziehung verflüchtige sich die Eifersucht letztlich, wenn die/der PartnerIn Gefühle für eine andere Person entwickelt: "Weil wir wissen, dass das nichts mit uns zu tun hat."

Die/der neue PartnerIn trete nicht in Konkurrenz zu der/dem anderen: "Ich habe einen Mann und einen Freund. Beide bedeuten unterschiedliche Dinge für mich. Mein Mann ist sorgsam, er ist viel zu Hause. Ich fühle mich sehr glücklich, dass ich mit ihm gemeinsam unsere Kinder erziehen kann. Mein Freund war abenteuerlustig und viel unterwegs. Er hat ganz andere Facetten von mir zum Leben gebracht." Die Liebe für ihren Mann sei dadurch auch wieder tiefer geworden, "weil er mir den Freiraum gab, weil ich mich ganz zeigen konnte, auch mit meiner Verliebtheit. Unsere Beziehung ist aufgelebt."

Selbstbewusstsein und Gleichwertigkeit

Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche polyamoröse Entwicklung ist allerdings ein sehr starkes Selbstwertgefühl, betont Ageeth: "Wenn man das nicht hat, können die Ängste und Eifersucht so schrecklich sein, dass sie vielleicht nicht zu bändigen sind. Unsicherheit verursacht Chaos. Man muss stehen bleiben können. Ich weiß, wenn die ganze Welt um mich herum einstürzt, bleib' ich stehen."

Geduld ist eine weitere Ingredienz für funktionierende Polyamorie: "Es ist wichtig, dass man dem Tempo der/s Langsamsten in der Beziehung folgt. Das hilft gegen Unsicherheit auf allen Seiten, damit alle wissen, was passiert. Geduld ermöglicht, respektvoll miteinander umgehen zu können", sagt Veenemans. Und natürlich braucht es auch eine positive Einstellung zu Sex. "Man muss auch intensiv leben wollen, denn alles wird intensiver mit zwei Geliebten." Die Essenz von Polyamorie bleibe aber die Liebe, stellt sie klar: "Es geht nicht darum, mit mehreren oder vielen Menschen Sex zu haben. Sex kann die Folge der Liebe sein, weil es eine sehr schöne Sprache ist, um die Liebe zu kommunizieren."

Darin unterscheide sich die Polyamorie von anderen offenen Beziehungsformen. "Polyamorie dreht sich um die Freiheit, man selbst zu sein. Offen und ehrlich. Ich brauche nicht zwei Partner, um glücklich zu sein, aber ich brauche die Freiheit, dass, wenn es mich überkommt, ich mit dem Wunsch etwas tun kann. Weil es gut für mich ist und damit auch für meine Kinder", sagt Ageeth. 

Polyamorie hat deshalb auch mit Gleichstellung von Mann und Frau zu tun. "Vor 50 Jahren waren wir ökonomisch abhängig von den Männern. Jetzt gibt es immer mehr unabhängige Frauen. Die Gleichwertigkeit ist in einer Beziehung wichtig, um polyamorös leben zu können." Veenemans kann sich zudem gut vorstellen, dass Polyamorie mit ihrem Ehrlichkeitsansatz schneller die Frauen erreicht: "Frauen wollen eher Gefühle besprechen. Männer denken: 'Ach, so viel Mühe.' Aber wenn sie einmal den ehrlichen Weg miteinander finden, bereichtert das ein Leben. Das erfahren Männer und Frauen gleich."

Freiheit in Verbundenheit

Und zwar weltweit, weil Polyamorie den Menschen heutzutage mehr entspreche: "Individualität ist wichtiger geworden, aber wir brauchen soziale Verbundenheit. Polyamorie vereint diese Pole. Sie ist ein Boost für die persönliche Entwicklung. In einer Liebesbeziehung lernen wir ganz neue Facetten von uns selbst kennen. Wir verlieben uns auch in Menschen, intuitiv, die Eigenschaften haben, die wir selbst entwicklen wollen. Aber wir müssen unsere Beziehungen nicht mehr verlieren, um neue zu entdecken. Es ist eine Entwicklung zur Freiheit in Verbundenheit."

Als Betreiberin einer Datingswebseite für polyamorös Interessierte/Lebende und Autorin eines Buches über das Thema kann Veenemans diese Entwicklung gut einschätzen: "Jeden Tag kommen neue Menschen auf meine Datingseite. Viele haben früher gedacht, dass es nicht möglich ist, anders zu leben, aber wenn man Beispiele sieht, dann entdeckt man, dass das für einen selber auch möglich sein kann. Das wird in Zukunft noch mehr Menschen ansprechen." (bto/dieStandard.at, 27.6.2011)