Vier Dreißigjährige, emotionale Wirren, Richtungslosigkeit und lethargische Anläufe, im Leben einen Sinn zu finden, der sich nicht in der Suche nach diesem erschöpft: Reinhard Kaiser-Mühlecker.

 

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Reinhard Kaiser-Mühlecker, "Wiedersehen in Fiuninico". € 20,60 / 320 Seiten. Hoffmann und Campe, Hamburg 2011

 

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Wer redet eigentlich noch vom Kärrnertum in Zeiten von E-Books, "digital publishing", Books on Demand, Social Media und Google Book Settlement? Wer redet angesichts neuer, elektronischer Distributionswege noch von ganz altmodischer Arbeit am Text, vom konzentrierten Feilen an Dramaturgie, Dialogen, Charakteren? Im Fall des jungen Oberösterreichers Reinhard Kaiser-Mühlecker, dessen nunmehr drittes Buch im Hamburger Hoffmann-und-Campe-Verlag erscheint, sollte man dringend über Verlagsarbeit reden.

Schon beim Debütroman Der lange Gang über die Stationen des bei Erscheinen im Jahr 2008 gerade einmal 26-Jährigen stachen der sperrige, unmelodische Sprachduktus ins Auge, das Eckige, Harte und Widerständige seiner Sätze. Das passte zum latent Ersehnten und Zerbrechenden, zum Thema der Kommunikation, die nicht stattfand. Bei dem ein Jahr später erschienenen Roman Magdalenaberg stach ins Auge, dass über weite Strecken des Buches der junge Autor vom Verlagslektorat auf verheerende Art und Weise alleingelassen worden war. Und nun, bei seinem jüngsten Roman, der zwischen Vorschauankündigung und Auslieferung noch um 40 Seiten anwuchs, fallen übersehene Satzfehler auf, Schlampereien wie das dreimalige Verwenden desselben Verbs binnen zwei Zeilen und generell der fehlende Wille, einen talentierten Autor beratend besser zu machen.

Vielleicht war der Lektor abgelenkt durch den Schauplatz Buenos Aires, an dem Kaiser-Mühlecker einen Großteil der überschaubaren Handlung spielen lässt. Oder vom Texten des Klappentextes, der nur punktuell mit dem Inhalt zu tun hat. Denn im Mittelpunkt steht keineswegs exklusiv der magnetische Joseph; von der "eigenartigen Faszination" dieses Mannes zu fabulieren ist reichlich abwegig. Es geht in wechselnden, sprachlich kaum sich unterscheidenden Perspektiven um vier Dreißigjährige, um deren sich kreuzende Wege, ihre emotionalen Wirren und Sehnsüchte, postpubertäre Richtungslosigkeiten und die recht lethargischen Anläufe, im Leben einen Sinn zu finden, der sich nicht in der Suche nach diesem erschöpft.

Da ist Joseph, Agrarwissenschafter, in Wien lebend, bei einer Nichtregierungsorganisation angestellt, der mit seiner Freundin bricht, einen Forschungsauftrag über Genfood in Argentinien übernimmt, sich dort verliebt in eine junge Frau, auch diese verlässt und sich nach Ablauf des Argentinienaufenthalts autistisch in ein Haus im Dorf Rohr zurückzieht. Da ist Savina, die viele Jahre einer Karriere als Gitarristin widmete, jäh mit der Musik brach, seither als Kellnerin in Buenos Aires jobbt, Joseph erst als Untermieter aufnimmt und sich dann in ihn verliebt.

Da ist Augusto, ein junger Argentinier, Arzt kurz vor Ende seines Studiums, aus reicher Familie, mit der er brach. Und da ist Hans alias Juan, der zehn Jahre zuvor, mit 20 Jahren, aus Oberösterreich nach Buenos Aires auswanderte, Arbeit fand als Aufseher in einem Kunstmuseum, ins Gespräch kam mit einem alten, emigrierten jüdischen Österreicher, dessen Lebensgeschichte aufschreibt und als Buch herausbringt. Schon auf Seite 90 ist klar, worauf Kaiser-Mühlecker in seinem Unliebesreigen abzielt: auf gegenseitiges Verfehlen, auf die Unfähigkeit von Gefühlserkenntnissen, auf Überforderung bis zum emotionalen Totstellen.

Erstaunlicherweise wird im neuen Roman des Franzosen Philippe Dijan auf verblüffend ähnliche Weise die Chronologie durch das Drehen eines ganz ähnlichen Seelenwahrnehmungskaleidoskops ausgehebelt. Was dort aber dem Zweck dient, die Charakterschwächen des Ich-Erzählers, eines Autors am Rande des autistischen Zusammenbruchs, der den Autor Ernest Hemingway verehrt, auszustellen.

Kaiser-Mühlecker aber packt seine Protagonisten allesamt in Wärmedecken einer Secondhand-Melancholie. Dies in einem Ausmaß, dass die Figuren in ihrem juvenilen Elend uninteressant, weil vorhersehbar werden und in Tristesse versanden. Hinzu kommt Kaiser-Mühleckers Sprache. Er schraubt häufig so viele Nebensätze ineinander, dass das Konstrukt bis zur Unübersichtlichkeit ungelenk wird und die Diagnose auf Stilarthrose lautet. Manier wird Manierismus.

Dazu gesellen sich pseudopräzise Beschreibungen, die verrutschen wie auf Seite 69 eine anatomisch bemerkenswerte Körperverrenkung. Dass es anders ginge, dass er anders könnte, zeigt er bei Dialogen, bei denen so manche der Realität genau abgehört sind, und bei dem exaltierten, fast als Prosagedicht gesetzten Temperamentsausbruch Savinas, bei dem ihre Liebesverzweiflung kaum mehr Worte zu finden vermag. Hier ist er genau, was er so häufig nicht ist. Denn er fügt verhängnisvollerweise gern noch hier ein Adjektiv ein, dort ein Adverb. Das macht seine Schilderungen von Landschaften, Flüssen und Gefühlen unscharf, weicht sie ins Ungefähre auf. Vielleicht wäre es ratsam, Reinhard Kaiser-Mühlecker den frühen Hemingway zu lesen zu geben oder Raymond Carvers minimalistisch verknappte Prosa. Oder ihm DVDs mit Marx-Brothers-Filmen zu schenken. Eine anarchische Liebeskomödie von ihm, wieso nicht. In einem anderen, aufmerksamen Verlag.   (Alexander Kluy / DER STANDARD, Printausgabe, 25./26.6.2011)