Vor dem Happel-Stadion bildeten sich lange Schlangen. Zu wenig Kassen hatten geöffnet.

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Sieht doch gleich besser aus! Kicker Peter Kramberger vor einer österreichischen Rekordkulisse im Wiener Prater. Im Juli werden es wohl nochmal so viele werden.

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Raiders Allrounder Talib Wise erledigte die Vikings quasi im Alleingang.

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Der US-Amerikaner durfte dafür danach auch die MVP- und die Austrian Bowl-Trophäe in seinen Händen halten.

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Damit war nicht zu rechnen. 9.638 Karten wurden laut oeticket beim Finale der 27. Bundesliga Saison beim Eingang registriert und es hätten durchaus einige mehr sein können. Bei 5.000 lagen die optimistischen Schätzungen, die pessimistischen sagten keine 3.000 im Prateroval vorher. Das Zweifache vom prognostizierten Maximum führte auch zum Fauxpas. Viel zu wenig Kassen waren für die Kurzentschlossenen geöffnet, dadurch entstanden Wartezeiten wie beim Zahnarzt, nur das man sich in dem Fall, auf das was nach dem Warten passiert, auch hätte freuen können. Nicht wenige entschlossen sich, kehrt zu machen und die Sache am Bildschirm zu verfolgen. AFBÖ Präsident Michael Eschlböck nahm die Schuld auf sich und entschuldigte sich bei den Fans für die falsche Präparation der Kassencrew. Der Test für die WM im Ernst Happel-Stadion habe gezeigt, dass man immer positiv denken sollte.

Der Wahrheit zu Liebe sei gesagt, dass erstmals bei einem Footballspiel in Wien auch massiv Freikarten ausgegeben wurden. So freute sich auf seiner Homepage der ÖGB und in einer Aussendung der ASKÖ über je 400 Tickets. Gewinnspiele weisen nochmal rund 300 aus, dazu gab es 1.000 „Mama&Papa-Tickets" für die rund 500 Cheerleader. In Summe dürfte ein Viertel der Gäste auf Haus im Stadion gewesen sein. Aber, so Captain Jack Sparrow: sie waren da. Nicht alles was umsonst ist, ist gleichzeitig auch interessant.

Das Grundinteresse dem Sport gegenüber ist offenbar da. Auch bei Leuten, für die Football in Österreich neu ist oder etwas, was man sich bisher nicht antun wollte. Ein kleiner Umfragewert aus dem Jahr 2009: Keine 20 Prozent der tausenden Besucher der großen Wiener Superbowl-Party besuchen auch Spiele des Veranstalters Raiffeisen Vikings. Die 80 Prozent sind zur Hälfte NFL-Fans, zur anderen Hälfte Partytiger. Oder beides. Da liegt also ein Potential „brach".

Plötzlich sind sie alle da

Was mich und meine Arbeit betrifft, war das mediale Interesse am Sport zwei Wochen vor der WM noch nie größer. Der ORF übertrug live und bereits kurz nach dem Spiel las man auf allen Webportalen die Spielberichte. So wie früher die Raiders vor 100 Leuten spielten, so gab es auch bei mir ein solches „früher". Es ist eigentlich keine fünf Jahre her, da saß ich noch relativ einsam auf der Pressetribüne der Hohen Warte. Der Rainer von der Krone war damals schon dabei, auch der „Doktor Schli" von der Sportwoche. Vor dem Spiel besuchte uns Christopher Ryan, um zu fragen, wie es geht, oder mir zu sagen, dass er mich in der kommenden Saison im Fantasy Football wieder gescheit panieren würde. Es war alles sehr übersichtlich.

Nach dem Spiel die Interviews, im Anschluss schnurstracks in die Partyzone an Ali's Coacktail Bar und dann irgendwann mit dem D-Wagen und der U1 heim Richtung Favoriten. Um 2:00 morgens den Rechner angeworfen, unter dem Eindruck von etlichen Mojitos den Spielbericht getippt, bis der Morgen graute, um 4:30 online gestellt und: Trotzdem Erster! Das geht heute, zum Glück für den Sport, nicht mehr. Football-Austria ist live. Spielbericht in Echtzeit, Live-Ticker, Webradio, die ersten Fotos kommen bereits zur Halbzeit. Eine Challenge, die mir auch Freude macht. Geht es dem Football gut, geht es auch mir gut.

Wise Up!

Zum Spiel selbst wurde bereits viel gesagt. Verloren haben es die an dem Tag desaströsen Special Teams der Vikings, speziell die Kick-Return-Coverage klappte nicht, die alleine bei vier Kickoffs 145 Yards aufgaben. Gewonnen hat es Raiders Allzweckwaffe Talib Wise. Dass der US-Amerikaner derart im Mittelpunkt stehen würde (er erzielte alle Touchdowns der Raiders und damit exakt die Hälfte aller Punkte des Finales), das war nicht Teil des ursprünglichen Raiders Gameplan und eigentlich eine Notlösung. Nach dem frühen Ausschluss von Runningback Florian Grein, mussten die Raiders ihre Offense umstellen und gaben Wise die alleinige Hauptrolle auf den Skill Positions. 24 Mal berührte er den Ball und erzielte dabei 275 Yards (!) an Raumgewinn. Glasklar MVP.

Zum Ausschluss von Grein: Der beschwerte sich nach eigener Aussage bei Head Referee Benny Lair zunächst über das aus seiner Sicht viel zu späte Abpfeifen eines Spielzugs und fürchtete um seine Gesundheit. Ist der „Forward Progress" gestoppt, dann wird der Spielzug in der Regel abgepfiffen, auch wenn der Ballträger noch auf den Beinen ist, um eben Verletzungen zu verhindern. Beim zweiten Mal, als Grein etliche Meter zurückgedrängt wurde und das Spiel aber weiter lief, versetzte er Lair danach einen Stoß und wurde vom Whitecap dafür unter die Dusche geschickt. Dem ist die (im übrigen völlig korrekte) Entscheidung sicher nicht leicht gefallen, denn Lair war 1992 eines der fünf Gründungsmitglieder der Raiders.

Sie lesen richtig. Der Hauptschiedsrichter der Austrian Bowl XXVII zwischen Raiders und Vikings hat die Raiders mit gegründet. Und niemand hat damit ein Problem, denn im österreichischen Football hat fast jeder irgendwann, irgendwas gegründet oder gespielt, oder wo mitgemacht. Die gute Nachricht dabei: Grein wird damit gesund in die kommende WM gehen. Noch einen Ausfall auf der Runningback-Position (nach Andrej Kliman) hätte das Nationalteam nicht mehr kompensieren können. Grein scherzte danach auch, dass das vermutlich ein abgekartetes Spiel zwischen dem Verband und den Referees war, dass er möglichst früh „geschont" wird.

Vor dem Spiel wurde Grein noch zum Offensive MVP der Saison 2011 gekürt. Die weiteren Preisträger: Defense MVP: John Clements (Raiders), Youngstar Of The Year: Laurinho Walch (Vikings) und die Giants in den Personen von Headcoach und Teamchef Rick Rhoades, so wie Quarterback Chris Gunn durften sich über den Titel „Coach Of The Year" bzw. „MVP 2011" freuen. Für beide ist es die bereits zweite Auszeichnung. Rhoades war schon 2009 der Trainer des Jahres, Gunn wurde zum zweiten Mal in Folge zum wertvollsten Spieler der Saison gekürt und das, ohne auch nur ein Finale erreicht zu haben.

Randsport Ade?

Die eine (eigentlich schon beantwortete) Frage ist nun, was man von diesem Schwung in die WM, die andere was man von der WM dann in die Saison 2012 mitnehmen kann. Über 18.000 sahen die Finalspiele der EFL und AFL am Tivoli und im Prater. Für das WM-Finale sind bereits 10.000 Tickets im Vorverkauf weg. Man rechnet am 16. Juli mittlerweile mit 20- 25.000 Zuschauern. Gestern wurde bekannt, dass Eurosport2 die Vorrundenspiele aus Innsbruck (mit Deutschland und den USA) übertragen wird, der ORF wird sein Programm angesichts der gut besuchten Austrian Bowl ausweiten und fünf der sechs Spiele der Vorrunde in Graz, so wie alle vier Spiele der beiden Finaltage (Spiel um Platz 7, Platz 5, kleines Finale und Finale) zeigen. Damit war ebenfalls nicht zu rechnen.

Ob die Bundesliga mittelfristig von der WM profitieren wird, das wird in erster Linie auch von ihr selbst abhängen. Nach der WM wird man zunächst mal sehr lange nichts über Football in Österreich lesen und hören. Im August findet noch die Junioren EM in Sevilla statt, dann ist aber mediale Pause bis in den kommenden März hinein. Und zu dem Zeitpunkt muss die Bundesliga 2012 wie eine Eins dastehen. Sie wird, das ist bereits fix, wieder einmal ganz anders aussehen als im Vorjahr.

Nur dieses Mal braucht es ein Konzept mit Ausblick auf 2020 und Bestand bis dahin und keine Verlegenheitslösung mehr, die es allen irgendwie und keinem so richtig Recht macht, wie es solche die vergangenen Jahre und Jahrzehnte gab. Dazu benötigt es auch ein Bekenntnis der EFL-Teilnehmer zur AFL, die mehr Spiele in der Bundesliga nicht zwingend brauchen, weil sie ja eh international schon sehr beschäftigt sind. Die Salzburg Bulls hatten aber heuer gerade zwei Heimspiele. Wem will man das noch als „Liga" verkaufen?

Es wird die Chance geben, den Sport vom Rand ein Stück weiter zur Mitte zu rücken, nur nutzen muss man sie. Smart und ohne sich dabei selbst zu belügen. Eine signifikante Ausweitung der Bundesliga, was die Anzahl ihrer Spiele betrifft, die muss her, dazu eine klares Ab- und Aufstiegszenario, welches mehr als vier Monate Bestand hat, oder gar noch vor der Saison implodiert, weil ein Teilnehmer dann lieber doch nicht mitspielt. Weitet man die Liga nach Klubs aus, dann wird man sich überlegen müssen wie man diese integriert, ohne dass es sie gleich zerbröselt. So einfach wie man es sich 2010 gemacht hat, in dem man die beiden Finalisten der zweiten Liga einfach in die erste Liga holte, wird es nicht mehr klappen.

St. Pölten gab vor der zweiten Bundesligasaison auf, Salzburg zeigte Mut und wurde zermalmt. Besser feig als tot? Was auch immer, das funktioniert jedenfalls so nicht. Das wissen wir jetzt. Den Rangers, als Back2Back Champions der zweiten Klasse, wird das hoffentlich der Warnsignale genug gewesen sein, bevor sie sich blindlings ins Abenteuerland AFL begeben.

Dann und vermutlich nur dann, wenn ein übergreifendes Konzept, beim gleichzeitigen Abschütteln aller österreichischen Eitelkeiten gelingt, wird der Sport von der WM, die in Österreich wohl wie eine Bombe einschlagen wird, langfristig profitieren. Und das war schließlich ja der große Plan dahinter. Schafft man das nicht, immerhin ein Scheitern im Bereich des Möglichen, dann geht es zurück zum Start und es wird außer schönen Bildern nicht viel bleiben. (derStandard.at - 25.6. 2011)