Insgesamt vier Teile in sechs Stunden: "Expanded Energy" des US-Belgiers Davis Freeman beim Festival Sommerszene Salzburg, das noch bis 14. Juli dauert.

Foto: Sommerszene / W. Kirchner

Salzburg - Er hat diese vertraueneinflößende Stimme und die eindringliche, absolute Ehrlichkeit suggerierende Mimik, wie sie auch Versicherungsvertreter und Fernsehprediger haben. So brilliert der Forced-Entertainment-Schauspieler Jerry Killick zusammen mit der Choreografin Kylie Walters bei der Uraufführung von Expanded Energy des aus den USA stammenden Belgiers Davis Freeman.

Killicks dezent gegeltes und Walters' am Hinterkopf aufgestecktes Blondhaar, sein hochprofessioneller, dunkelgrauer Designeranzug und ihr perfektes schwarzes Markenkostüm vermitteln schon in den ersten Sekunden: Das sind zwei Erfolgsmenschen, die wissen, was und wie man es anpacken muss.

Hinter ihnen, auf einer Projektionsleinwand, in rascher Abfolge die Silhouette einer glitzernden Großstadt; Menschen in einer hellerleuchteten Bar; ein Kübel mit Champagnerflaschen; ein Teller mit Austern auf Eis; und zwei lachende Chirurgen. "Was uns antreibt, ist: Energie", sagt Killick.

Was folgt, ist eine einstündige, perfekt inszenierte Werbeshow für den Ausbau der Energiegewinnung aus Öl, Kohle und Nuklearbrennstoff. Alle denkbaren Argumente werden angeführt, Statistiken bemüht, emotionalisierende Bilder gezeigt und Verdachtsmomente zerstreut. Die Show wirkt so echt, dass die wenigen eingestreuten Irritationen - kleine, markante Übertreibungen - die Dynamik ihrer ideologischen Monstrosität kaum stören.

Doch am Schluss siegt die Irritation und zeigt den Trick der vermeintlich affirmativen Show: Das Publikum hat ein Muster irrer neoliberaler Logik und manipulativer Rhetorik erlebt.

Walters' und Killicks Auftritt war nur ein von insgesamt vier Teilen des sechsstündigen Expanded Energy-Projekts. Davor gab es ein Duett mit der britischen Tänzerin Wendy Houstoun und Freeman selbst, danach eine Gesprächsrunde mit lokalen Salzburger Energie- und Gesellschaftsexperten inklusive Dinner. Und zum Schluss gemeinsam mit dem Publikum eine große CO2-Spar-Show.

Beinahe wäre das Ganze wirklich toll geworden - hätte Freeman die finale Show nicht mit einem darin versteckten fünften Teil überfrachtet. Expanded Energy ist dennoch ein beachtliches Beispiel für das heute so aktuelle Genre der Doku-Performance.

Das genaue Gegenteil zeigte beim Salzburger Sommerszene-Festival die indische Choreografin Padmini Chettur. Ihr Solo Beautiful Thing 2 führt Elemente indischer Tanztradition und eine an Heidegger angelehnte Formphilosophie zusammen. Hochkonzentrierte Bewegungssequenzen, hinreißend minimalistischer Sound von Maarten Visser und eine ausgeklügelte Beleuchtung von Jan Maertens machen Chetturs Tanz zu einem erstklassigen Statement.

Während in Europa alle Performance im Emotionsrausch tanzt, wagt Padmini Chettur distanzierten Rationalismus, widerständige Langsamkeit und pathosfreie Schönheit miteinander zu verbinden. Mit beeindruckendem Erfolg. "Mehr denn je ist Kunst ein Medium des Widerstands", schreibt Chettur. Und schließt sich damit Davis Freeman an. (Helmut Ploebst/DER STANDARD, Printausgabe, 27. 6. 2011)