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Gegen Gaddafi wurde ein internationaler Haftbefehl erlassen.

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Die Richter des IStGH in Den Haag.

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Proteste gegen die Nato-Luftangriffe in Tripolis.

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Chefankläger Louis Moreno-Ocampo im Gerichtssaal in Den Haag.

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Den Haag / Tripolis - Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat am Montag Haftbefehle gegen Muammar al-Gaddafi und zwei seiner engsten Vertrauten erlassen. Dem 69-jährigen libyschen Diktator sowie seinem Sohn Saif al-Islam (39), der einst in Österreich studiert hat, und seinem Schwager und Geheimdienstchef Abdullah al-Senussi (62) werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen - darunter Mord, Folter und der Befehl zu Massenvergewaltigungen.

Die drei Gesuchten seien persönlich verantwortlich für die Verbrechen, die zur Niederschlagung des Volksaufstandes in Libyen begangen worden seien, erklärte ICC-Chefankläger Luis Moreno Ocampo. Der Argentinier legte dem Gericht eine Anklageschrift mit mehr als 1200 Dokumenten vor.

Durch die Haftbefehle sind alle 116 Mitgliedstaaten des IStGH verpflichtet, die drei Angeklagten festzunehmen, wenn sie die Möglichkeit dazu haben. Nach Ansicht von Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen ist der Gaddafi-Clan nun noch stärker isoliert als schon bisher.

In der Rebellenhochburg Bengasi brach infolge der Nachricht großer Jubel aus. Die Rebellen sind nach eigenen Angaben bis auf 80Kilometer vor die Hauptstadt Tripolis vorgestoßen - ihr größter Geländegewinn seit Wochen.

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Auf grauen Klappbänken drängen sich NGO-Vertreter, Diplomaten, Studenten, Journalisten. Das Interesse ist so groß, dass das Gericht im Vorfeld um Anmeldung gebeten hatte. Ein Mitarbeiter weist den Gästen ihre Plätze zu. Das kommt nicht oft vor beim Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag. An üblichen Verhandlungstagen sind die Zuschauerränge nur selten so gut gefüllt.

Doch dieser Montag ist kein normaler Tag. Im Gerichtssaal 1, einem schmalen, hohen, in hellem Holz gehaltenen Raum, verkünden die Richter der Vorverfahrenskammer eine weitreichende Entscheidung: Das Gericht - trägt die Vorsitzende Richterin Sanji Mmasenono Monogeng aus Botswana vor - erlasse Haftbefehl gegen den libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi, seinen Sohn Saif al-Islam und Geheimdienstchef Abdullah al-Senussi wegen vermuteter Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Damit hat der ICC zum zweiten Mal in seiner Geschichte einen Haftbefehl gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt erlassen - vergleichsweise rasend schnell. Erst sechs Wochen ist es her, dass Chefankläger Luis Moreno Ocampo diese Haftbefehle beantragt hat. Bei Omar al-Bashir, dem sudanesischen Staatspräsidenten, hatte es sieben Monate gedauert.

Es gebe hinreichende Gründe anzunehmen, dass "nach den Ereignissen in Tunesien und Ägypten Anfang 2011 eine Politik auf höchster staatlicher Ebene entworfen wurde, die darauf abzielte, mit allen Mitteln Demonstrationen von Zivilisten gegen das Regime von Muammar al-Gaddafi zu verhindern und zu unterdrücken - einschließlich durch den Einsatz tödlicher Gewalt" , erklärt die Richterin die Entscheidung.

Gaddafi als Führer mit absoluter Kontrolle über den Staatsapparat; Sohn Saif al-Islam - ein Freund des verstorbenen Kärntner Landeshauptmanns Jörg Haider - als "unausgesprochener Nachfolger und einflussreichste Person im innersten Kreis" ; Geheimdienstchef Senussi als derjenige, der den Plan, wie die Richter es nennen, dann auf Befehl Gaddafis ausführt - auch diese Sicht sieht das Gericht als begründet an.

Die Entscheidung sei kein Urteil über Schuld oder Unschuld, hält die Richterin am Ende fest. Aber die Kriterien für einen Haftbefehl, die seien damit erfüllt.

Chefankläger Moreno Ocampo verfolgt die Erklärung der Richter mit leicht erhobenem Kopf und ausdrucksloser Mine. Mehr als 70 Seiten Anklageschrift und über 1200 einzelne Dokumente hatte er den Richtern vorgelegt. Am Ende der Sitzung huscht ein Lächeln über sein Gesicht.

Damit kann Gaddafi und zwei seiner engsten Vertrauten der Prozess gemacht werden - wenn sie denn festgenommen werden. Die Entscheidung ist nicht ohne Pikanterie, zählte Gaddafi in der Afrikanischen Union doch zu den lautstärksten Gegnern des ICC.

Möglicherweise ist das noch nicht alles, das hat Moreno Ocampo schon vor Wochen angekündigt. Es werde weiter ermittelt: wegen der Vorwürfe von Massenvergewaltigungen, aber auch wegen möglicher Kriegsverbrechen. Und zwar auf beiden Seiten.

Rebellen "sehr glücklich"

Vom Übergangsrat der libyschen Aufständischen in Bengasi ist Justizminister Mohammed al-Alagi nach Den Haag gekommen. Er sei "sehr glücklich" , sagt er. Jetzt, so hofft er, änderten die militärischen Brigaden vielleicht ihre Meinung, "denn Gaddafi hat überhaupt keine Zukunft mehr" . Die Aufständischen sehen sich im Aufwind. Am Montag wollen sie bis auf 80 Kilometer auf die Hauptstadt Tripolis vorgestoßen sein.

Gar nicht glücklich ist dagegen Südafrikas Präsident Jacob Zuma. Dieser sei "extrem enttäuscht und besorgt" über die Entscheidung, sagte der Sprecher des Präsidenten, Zizi Kodwa. Es sei "unglücklich" , da der Libyen-Ausschuss der Afrikanischen Union (AU) Fortschritte bei der Vermittlung in Libyen erzielt habe. Die USA, die EU und die NATO begrüßten die Entscheidung dagegen als wichtiges Signal. (Julia Raabe aus Den Haag/DER STANDARD, Printausgabe, 28.6.2011)