Der 23 jährige Muhammed F. Muhammed war bis zum 21. April noch beim syrischen Militär und leistete dort seinen Grundwehrdienst ab.

Foto: Yilmaz Gülüm

Die offiziellen Flüchtlingslager sind durch blaue Planen abgedeckt. Nur selten bekommt man einen Blick hinein.

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Provisorische Zelte, unmittelbar an der Grenze.

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In Summe befinden sich über 11.000 syrische Flüchtlinge in der Türkei. In die offiziellen Camps hat man als Journalist allerdings keinen Zutritt.

Foto: Yilmaz Gülüm

"Was hast du vor, wenn alles vorbei ist?" Muhammed F. verdreht die Augen, als hätte ich ihn gefragt was er mit einem Lotto Jackpot machen würde. "Dann werde ich einen Monat lang Allah danken und mir ein Leben aufbauen."
Muhammed stammt aus dem Grenzdorf Chirbet al-Dschoos, nur einen Steinwurf entfernt von der türkischen Grenze. Vor etwa einem Monat hat der 23jährige sein Haus verlassen und lebt nun in einem der provisorischen Zelte ganz nah der türkischen Grenze auf der syrischen Seite. Er ist damit einer von über 17.000, die laut rotem Halbmond entlang der Grenze kampieren.

Bis Mittwoch hat Muhammed dort mit seiner Familie gelebt, doch dann kam das syrische Militär in ihr Dorf. Sie hörten Schüsse und sind mit nichts weiter, als sie am Körper hatten auf die türkische Seite gerannt. Seine Eltern, Schwester und Cousine sind in eines der Zeltlager gebracht worden, die für die syrischen Flüchtlinge vorgesehen sind. Muhammed will das nicht. Er bleibt erst einmal im Grenzdorf Güvecci in der Türkei und wartet ab.

Leben an der Grenze

Die Lebensbedingungen in den Zelten an der Grenze sind denkbar schlecht. Es gibt keine Duschen, keine WCs und auch sonst keine Infrastruktur. Es sind einfache Zelte auf einem Feld, blaue und grüne Planen und ein paar Wäscheleinen. Wasser holen die Menschen dort aus einem kleinen Bach etwa zwei Kilometer entfernt. Sie verwenden das Wasser zum Kochen, Trinken und Waschen. In den Zeltlagern des roten Halbmonds hätten sie es leichter. Dennoch entscheiden sich viele ganz bewusst gegen die Flüchtlingslager.

"Ich bleibe an der Grenze, um die letzten Informationen über die Lage in meinem Land zu bekommen. Und über meine Freunde. Ich versuche das dann der Außenwelt weiterzuleiten", sagt Muhammed. Seit nunmehr einem Monat pendelt er zwischen der türkischen und der syrischen Seite.

Es gibt viele Gerüchte in diesen Tagen. Einige sagen, es wurden ein Vater und ein Sohn beim Versuch das besetzte Dorf Chirbet al-Dschoos zu verlassen erschossen. Andere hingegen sagen, das Militär hätte nur in die Luft geschossen. Drei DorfbewohnerInnen gelten gar als verschwunden. Bekir R. ist einer von ihnen. Er ist ein Freund von Muhammed. "Als das Militär kam, war er im Dorf. Sein Bruder hat es über die Grenze geschafft. Von Bekir haben wir nichts gehört." Muhammed's Augen füllen sich mit Tränen. Er dreht sich weg und atmet ein paar Mal tief. Er zündet eine Zigarette an und dreht sich wieder zu mir. "Geht schon wieder."

"Soldaten schossen auf Soldaten"

Anders als viele andere Flüchtlinge, hat Muhammed kein Problem seinen Namen und sein Foto in den Medien zu sehen. Der Grund dafür ist einfach: Er wird bereits vom syrischen Militär gesucht. Seine Aussagen in der Zeitung änderen daran nichts, sagt er. Muhammed war bis zum 21. April selber noch beim syrischen Militär und leistete dort seinen Grundwehrdienst ab. Danach wollten sie, dass er länger bleibt. Muhammed weigerte sich. Seit dem ist er auf der Flucht. Die Dokumente, die das belegen trägt er immer bei sich. Er legt Wert darauf, dass seine Geschichte geglaubt wird.

Er war in der syrischen Stadt Homs stationiert und hat die Unruhen dort ganz nah miterlebt. "Die Demonstranten waren friedlich, nur einige haben uns mit Steinen beworfen", so Muhammed. Auf den Dächern seien damals Scharfschützen postiert gewesen. Grundwehrdiener bekamen immer wieder den Befehl auf ZivilistInnen zu schießen. Soldaten, die sich weigerten wurden von den eigenen Scharfschützen erschossen, sagt er.

Ähnlich wie Muhammed befanden sich am Donnerstag und Freitag bis zu 400 Flüchtlinge in Güvecci. Dort sind sie in Sicherheit, aber mittellos. Das Grenzdorf befindet sich auf einem Hügel. Weniger al einen Kilometer unterhalb verläuft eine Straße. Das ist die Grenze. Von dort aus geht die Sonne in Syrien auf, und in der Türkei unter.

Ein kleines Dorf auf den Kopf gestellt

DorfbewohnerInnen versorgen die SyrierInnen mit dem Notwendigsten. Emine ist eine von ihnen. Am Morgen hat sie vier Jugendliche Flüchtlinge in ihrem kleinen roten zweistöckigen Hause aufgenommen. "Ich habe sie in der Früh über die Grenze laufen sehen. Dann waren sie im Dorf. Ich habe sie gefragt, ob sie schon gegessen hätten. Sie sagten nein, also habe ich ihnen etwas gegeben", so die Mutter dreier Kinder.

Güvecci ist kein schöner Ort, sagt Emine. "Nur ein paar Kilometer weiter sind Panzer und Soldaten. Niemand weiß, was genau vor sich geht. Wer will hier schon leben?", so die Bäuerin. Syrische Truppen sind zwar sehr nahe gekommen und haben bei der türkischen Armee damit für einiges Aufsehen gesorgt, auf einen bewaffneten Konflikt mit der Türkei werden sie sich wohl aber nicht einlassen. Jedenfalls sieht es momentan nicht danach aus.

Inzwischen gibt es wieder eine Truppenbewegung auf der syrischen Seite. Muhammed springt auf und geht an ein Fenster um sich einen Überblick zu verschaffen. Mit seinem Handy versucht er jemanden auf der anderen Seite zu erreichen. Vergeblich. Er wolle selber rübergehen um nachzusehen. Wie lange er dieses Risiko noch eingehen würde? "Bis Assad geht.", sagt Muhammed. (Yilmaz Gülüm, 27. Juni 2011, daStandard.at)