Persepolis, 530. v. Chr.: Der Perserkönig Dareios ist mit den Fähigkeiten der jungen Männer seines Reiches unzufrieden und legt drei Bildungsziele fest: Reiten, Bogenschießen und die Wahrheit sagen.

Versailles, 1650 n. Chr.: Kardinal Mazarin ist über das Können seines jungen Schützligs Ludwig XIV.entsetzt und bestimmt vier Fächer, in denen der junge Monarch überprüfbare Fortschritte erzielen sollte: Geschichte, Mathematik, Tanzen und Lesen.

Semmering, 2011 n. Chr.: Die Bundesregierung ist bestürzt über die katastrophalen Pisa-Ergebnisse der Vierzehnjährigen und beschließt als Sofortmaßnahme, die Zahl der Sitzenbleiber unter den Fünfzehnjährigen zu reduzieren.

Als neuer Parteiobmann habe ich 1992 der Wiener ÖVP eine Kehrtwendung in Sachen Museumsquartier "verordnet". Weg vom Ja und hin zum Nein. Mancher Leser wird sich noch an die damals höchst emotionale Debatte erinnern, die sich unter Federführung der "Krone" um den geplanten Leseturm als Kulminationspunkt öffentlicher Erregung gerankt hat. Als ich mich dann aber in einer ORF-Pressestunde als Fan gerade dieses Leseturms geoutet, am Rest des Projekts aber kein gutes Haar gelassen habe, war die Konfusion groß. Ein mir wohlgesonnener Journalist hat mich nach der Sendung angerufen: "Mein lieber Freund, ich gebe Ihnen für Ihre weitere Laufbahn einen guten Rat: Denken Sie immer daran, dass die Leute alles, was komplizierter ist als eine Watschen, nicht verstehen."

An diese Geschichte werde ich erinnert, wenn ich mir die verzweifelten Bemühungen von Schmied, Amon und Co ansehe, den Bürgern zu erklären, dass das Aufsteigen mit drei Fünfern in Wahrheit zu einer Qualitätssteigerung der Oberstufe führen wird und dass die Schüler dadurch noch fitter für die Uni werden. Module hin oder her, diese Botschaft ist nicht nur dogmatischen Hardlinern nicht vermittelbar! Da würde auch eine gefinkeltere Kommunikationsstrategie nicht helfen. Und wenn sich dann noch die Sozialistische Jugend - bisher nicht gerade als enthusiastische Befürworterin des Leistungsprinzips aufgefallen - von der Reform begeistert zeigt, wird das nicht nur in meiner Partei als Hohn und Provokation empfunden.

Nun ist in der Politik eine Idee oder eine Entscheidung, die nicht vermittelbar ist, immer ein Problem (Griechenland!). Aber sie muss deshalb nicht sachlich falsch sein Die Theorie von Pfarrer Kneipp, mit kaltem Wasser viele Krankheiten heilen zu können, ist von der Schulmedizin seinerzeit auch als Riesenprovokation empfunden worden und zählt heute doch zum Handwerkszeug eines jeden Mediziners.

Kneipp hatte allerdings einen unschätzbaren Vorteil: Er konnte seine Theorie sofort in der Praxis beweisen. Wenn das nicht geht, muss in der Medizin ein objektivierbares Testverfahren her. Das sollte auch für die Schule gelten.

Vielfach wird von Befürwortern der Reform auf erfolgreiche ausländische Beispiele verwiesen. Im Ausland funktionieren aber auch die Rente mit siebenundsechzig, die Hochschulzugangsbeschränkung und die Studiengebühren. Also zählt der Verweis auf das Ausland nicht. Ist auch gar nicht notwendig. Im Inland ist ja schon in Gestalt von siebenundzwanzig höheren Schulen, die dieses neue Oberstufenmodell als Schulversuch bereits über einen längeren Zeitraum praktizieren, ein solches Testverfahren eingeleitet.

Ich bin ein Fan von Schulversuchen. Schließlich verdankt mein Lieblingsprojekt, die Sir-Karl-Popper-Schule, einem solchen Versuch seine Existenz. Allerdings unterscheiden wir uns von den bei uns üblichen Schulversuchen, indem wir in regelmäßigen Abständen eventuelle Differenzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit messen lassen. Und nicht durch persönliche Einschätzungen ersetzen. Zwei Jahre nach der Gründung der Schule haben wir eine schulunabhängige Erhebung unter Schülern und Eltern gemacht, welche Erwartungen an die Schule erfüllt und welche enttäuscht worden sind. Nach fünf Jahren haben wir Prof. Gehmacher mit einer Untersuchung beauftragt, welchen Einfluss die spezielle Form des Unterrichts auf die Intelligenzentwicklung der Schüler hat. Und heute wissen wir ziemlich gut Bescheid darüber, welche Studien die Absolventen gewählt haben und wie schnell und erfolgreich sie studieren.

Probe aufs Exempel

Wenn siebenundzwanzig Schulen das neue Oberstufenmodell bereits über viele Jahre praktizieren, dann müsste es eigentlich genügend statistisch relevantes Datenmaterial darüber geben, wie erfolgreich die Absolventen dieser Schulen im Vergleich zu denen sind, denen das Aufsteigen mit mehr als einem Nicht genügend bis jetzt verwehrt gewesen ist. Ein solcher Lackmustest scheint mir vor einer generellen Einführung dringend geboten. Ich habe keine Ahnung, ob es solche Untersuchungen nicht längst gibt. Allerdings macht es mich stutzig, dass die Herolde der Reform diesen Trumpf - wenn es denn einer ist - bis jetzt nicht ausgespielt haben. Oder aber man wartet zumindest auf die ersten Ergebnisse der Zentralmatura. Auch die sollten Auskunft darüber geben, ob die Skeptiker der Reform oder deren Befürworter Recht haben. (Kommentar der anderen, Bernhard Görg, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.6.2011)