Ein Triple-A-Rating der Bonitätswächter will jeder haben, ist aber nur schwer zu kriegen.

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In der EU wächst der Frust über Ratingagenturen. Der Ruf nach Schaffung eines europäischen Gegenstücks wird lauter. Doch die Eintrittshürden in den Markt sind hoch, und Experten zweifeln auch am Sinn einer EU-Agentur.

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Wien - Wenn Folker Hellmeyer über die Rolle der Ratingagenturen in der Eurokrise spricht, geht mit ihm die Wut durch. Fitch, Moody's, Standard & Poor's betrieben eine "aggressive Politik" gegen Europa. Ihr Ziel: Die Schwächung des Euro im Interesse der Finanzplätze New York und London. So werden Griechenland und Irland für ihre Schuldenprobleme unter Druck gesetzt, während die USA trotz ähnlicher Schieflage mit Samthandschuhen angefasst werden, meint Hellmeyer. "Was da geschieht, ist eine Beleidigung unterdurchschnittlicher Intelligenz".

Hellmeyer ist nicht Globalisierungsgegner bei Attac, sondern Chefanalyst der Bremer Landesbank. Seine Ansichten sind nicht neu, entwickeln sich aber derzeit zum Mainstream in Europa.

Nachdem die EU-Wertpapieraufsicht ESMA am Freitag die Bonitätsprüfer scharf attackiert hatte und von ihnen die Einhaltung der Spielregeln in Europa verlangte, stimmten zahlreiche Politiker in den Chor ein. "Nur über den großen Teich betrachtet stellt sich Europa unter Umständen nicht so dar, wie es ist", meinte etwa Finanzministerin Maria Fekter.

Der Ärger ist nicht grundlos. Die EU-Finanzminister verhandeln derzeit über eine Laufzeitverlängerung der Bankkredite für Griechenland. Moody's und Co verkomplizieren die Sache, weil sie drohen, selbst die freiwillige Kreditverlängerung als Zahlungsausfall Athens zu werten. Das könnte für Banken, die solche Papiere gekauft haben, teuer werden.

Die Politik will es diesmal nicht nur bei Schimpftiraden belassen. Weil Moody's und S&P in amerikanischen Eigentum sind und auch Fitch nicht rein europäisch ist, wird der Ruf nach Schaffung einer EU-Ratingagentur lauter.

Das Beraterunternehmen Roland Berger ist vorgeprescht. Nach eigenen Angaben spricht man bereits mit der Deutschen Börse und der hessischen Landesregierung über Gründung einer EU-Agentur in Frankfurt. "Bis 2012 soll sie stehen, bis 2014 operativ sein", meint Markus Krall, Ziehvater des Projekts zum Standard. Krall ist überzeugt, die notwendigen 15 bis 25 Investoren finden zu können. Eine Besonderheit seines Vorschlages ist, dass die Agentur nicht wie bisher im Auftrag der Emittenten von Papieren tätig werden soll, sondern im Auftrag von Investoren. Eine alte Kritik an Ratingagenturen ist ja, dass sie Unternehmen bewerten, die dafür selbst zahlen.

Doch Pläne zu Schaffung einer EU-Agentur sind in den vergangenen Jahren regelmäßig versandet. Die Eintrittshürden in den Markt sind laut Finanzexperten zu groß. Wer als Ratingagentur anerkannt sein will, muss global aktiv sein, also über ein weltweites Analystennetzwerk verfügen. Auch bei Roland Berger beziffert man Startkosten auf satte 300 Millionen Euro.

Zudem streiten Experten darüber, wie eine EU-Agentur ausgestaltet werden soll. Am Tisch liegen zwei Pläne: Entweder die Schaffung einer Agentur in Form einer privaten Stiftung oder mittels öffentlicher Gelder. Für beides gibt es gute Argumente.

Eine private Agentur wäre selbst Marktplayer, also nie ganz unabhängig. Eine öffentliche Einrichtung würde aber Gefahr laufen, als politische Agentur betrachtet zu werden. Wolf Klinz, der für die FDP im Europaparlament sitzt und jüngst einen Bericht über die Zukunft der Ratingagenturen veröffentlicht hat, plädiert für die privatwirtschaftliche Lösung. "Sonst ist das Risiko der Politisierung zu hoch."

Allerdings gibt es auch Zweifel an der grundsätzlichen Sinnhaftigkeit des Projektes. Was Fekter nicht sagte: Die Ratingagenturen blicken nicht nur "über den großen Teich", sondern sind allesamt mit Büros vor Ort in Frankfurt und London vertreten. "Der Vorwurf fehlender Aufgeschlossenheit gegenüber nationalen oder regionalen Spezifika trägt daher nicht", meinen Analysten der Deutsche Bank.

Zudem spielen die Ratingagenturen vor allem deshalb eine zentrale Rolle in Europa, weil sie ihnen von öffentlichen Institutionen eingeräumt wird. Die Europäische Zentralbank (EZB) verlangt von Banken im Gegenzug für Kredite Sicherheiten mit dem Gütesiegel mindestens einer Agentur. Die bei der EZB hinterlegten Papiere müssen - außer im Falle Griechenlands und Irlands - zumindest ein Rating von BBB- aufweisen. Allerdings zwingt die Währungshüter niemand dazu, ein Rating zu verlangen. "Wir haben uns nie dafür starkgemacht, dass Ratings für regulatorische Zwecke genutzt werden, und halten es für sinnvoll, wenn dies geändert wird", meinte auch unlängst Moritz Kraemer, Direktor bei S&P. (András Szigetvari, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.6.2011)