Vor vielen Jahren sagte Bruno Kreisky, die österreichische Sozialpartnerschaft sei ein "sublimierter Klassenkampf". Die Interessenvertreter setzen sich am grünen Tisch auseinander und nicht mittels Streiks und Demonstrationen.

In den meisten von der Finanzkrise besonders stark betroffenen Ländern, vor allem in Griechenland und auch in Portugal, bahnt sich nun eine Art von doppeltem "Klassenkampf" - nach innen und nach außen - an. Die Griechen haben das Vertrauen verloren, dass ihre Regierung und die EU-Institutionen außer einem lähmenden, deflatorischen Sparprogramm auch noch eine Perspektive zu bieten haben. Die erhöhte Bereitschaft zur Gewalttätigkeit ist ein besorgniserregendes Zeichen, dass das soziale Gefüge der Gesellschaft zu zerfallen droht, weil die Verteilung von Besitz und Status zu immer größerer Ungleichheit führt, weil die Menschen mitten in der Krise (freilich nicht nur in Griechenland) fühlen, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden.

Es stimmt, dass rund 17 Prozent der arbeitenden Bevölkerung Griechenlands im Staatsdienst beschäftigt sind; doch mussten bereits fast alle Schichten, von den Rentnern bis zu den Beamten, Kürzungen hinnehmen. Andererseits weisen deutsche Experten auf die gewaltige "Obstruktionsmacht gewerkschaftlicher Organisationen" hin und zitieren einen Weltbankbericht, die Investitionsbedingungen in Griechenland seien wie in Papua-Neuguinea!

Zugleich warnte der angesehene Athener Ökonom Loukas Tsoukalis, dass bei einer Arbeitslosenrate von 16 Prozent das politische System die Legitimität verlieren könnte und Populisten, die auch über die Landesgrenzen hinweg Sündenböcke suchen, Hochsaison haben. Sie behaupten immer lauter, dass vor allem "die Deutschen" , aber auch die reichen EU-Staaten die Verantwortung für den drohenden Staatsbankrott trügen.

Das sich verstärkende Gefühl, Opfer im europäischen Ring zu sein, produziert einen Hass, der immer mehr nach außen projiziert wird - im Fall Griechenlands (11 Millionen Einwohner) bereits seit Jahrzehnten vor allem auf den kleinen Nachbarn Mazedonien (zwei Millionen Einwohner). Auf beiden Seiten werden Feindbilder geprägt. Mazedonien ist nicht bereit, weiterhin den 1995 von Athen erzwungenen Namen "Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien" zu tragen. Die griechische Seite wiederum blockiert seit Jahren sowohl Mazedoniens Beitritt zur Nato wie auch die Eröffnung der Verhandlungen über einen EU-Beitritt, weil man befürchtet, dass dies vor allem die Integrität der gleichnamigen griechischen Nordprovinz gefährden könnte.

Es geht freilich nicht nur um die Identitätskrise der Griechen. Man darf nicht vergessen, dass 25 Prozent der Bewohner Mazedoniens Albaner sind, die ihrerseits die Einweihung eines 15 Meter hohen Denkmals für Alexander den Großen in Skopje, der mazedonischen Hauptstadt, als fragwürdigen Beweis für die nationale Selbstbehauptung der Mehrheit ansehen. - Die von der Griechenlandkrise ausgehenden Infektionsgefahren sind die Folge der Handlungsunfähigkeit des politischen Personals - nicht nur in Athen, sondern in ganz Europa. (Paul Lendvai, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.6.2011)