Das Lieblingsgericht zubereiten oder einen Film auf Video aufzeichnen: Die alltäglichsten Dinge können zu einem unüberwindbaren Problem werden, wenn das Gehirn in die Jahre kommt und das Gedächtnis einfach aussetzt oder sich Demenz einschleicht.

Diese Erfahrung hat Heinrich Mayr, Rektor der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und Leiter des Instituts für Angewandte Informatik, bei seiner Mutter gemacht. Das brachte ihn auf die Idee, ein Forschungsprojekt zur Unterstützung betagter Menschen zu starten. Das Ziel: Die Gedächtnisleistung eines Menschen so zu konservieren, dass sie abgerufen werden kann, sobald die Vergesslichkeit überhandnimmt.

Beobachten und lernen

Als Ersatz für das verlorene Wissen soll die Technik einspringen. Dafür muss sie aber erst lernen, wie ein Mensch denkt und wie er sich bei bestimmten Abläufen verhält. "Es geht darum, das individuelle Verhalten eines Menschen Schritt für Schritt abzuspeichern, damit es später wieder abgerufen werden kann", erklärt die Informatikerin Judith Michael, Mitarbeiterin am interdisziplinär aufgestellten Forschungsprojekt "Human Behaviour Monitoring Support" (HBMS).

In einer ersten Phase des Projekts, das Anfang Juni startete und vorerst ein Jahr lang läuft, werden die Verhaltensweisen von 20 bis 30 älteren Personen ganz genau unter die Lupe genommen: "Wir beobachten verschiedene Szenarien: Alltagsroutinen wie den Ablauf der Morgentoilette, elektronische Prozesse wie Online-Banking oder die Bedienung von Geräten", schildert Michael.

Jeder einzelne Schritt wird in ein Computersystem eingespeist, das typische Verhalten des jeweiligen Menschen in einem Modell abbildet. Versagt nun das Gedächtnis, wenn man den Videorekorder einschalten oder eine Torte backen will, soll das System dem Gehirn auf die Sprünge helfen, indem es anzeigt, welche Schritte in welcher Reihe durchzuführen sind.

"Wir arbeiten vorerst an einem Prototyp, der auf Handys und Tablet-PCs läuft und unaufdringlich in die Lebenswelt der Menschen integriert werden kann. Das System könnte zum Beispiel in einem Bilderrahmen am Nachttisch versteckt sein", sagt Judith Michael. Bei der Entwicklung des Systems orientieren sich die Klagenfurter Forscher an den Standards anderer Projekte aus dem Bereich "ambient-assisted living" (AAL), einem Fachgebiet, das sich mit Technologien beschäftigt, die älteren Menschen ermöglichen sollen, möglichst lange selbstbestimmt zu leben. Eine Herausforderung sei nun, alltägliche Aktivitäten in einer Form darzustellen, die die tatsächliche Wahrnehmung der Nutzer widerspiegelt und leicht nachvollzogen werden kann. "Das System wird gezielt auf die Lebens- und Begriffswelt des jeweiligen Benutzers abgestimmt", betont Michael. So soll das ganz persönliche Wissen für die Zukunft gespeichert werden und bei Bedarf Gedächtnislücken schließen.

Eingreifen, wenn nötig

In weiterer Folge soll das Projekt, das derzeit durch die Heidelberger Klaus-Tschira-Stiftung finanziert wird, ausgedehnt werden: So könnte das System seine Schützlinge über vernetzte Geräte und Sensoren automatisch beobachten und selbstständig die Verhaltensweisen eines Menschen "trainieren".

Die Klagenfurter Informatiker arbeiten auch an Diagnosesystemen, die abweichendes Verhalten erkennen und eingreifen, wenn der Nutzer etwa ein Gerät nicht richtig bedient oder Hilfe benötigt. "Derzeit arbeiten wir mit Texten und grafischen Darstellungen, längerfristig könnten auch Videos und Fotos eingebaut werden", sagt Judith Michael. Wie viel Wissen bis dahin in den Abgründen des Gedächtnisschwunds verlorengeht, ist allerdings nur sehr schwer absehbar. (Karin Krichmayr/DER STANDARD, Printausgabe, 29.06.2011)

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Wissen: Länger unabhängig mit Technologie

Die Menschen werden immer älter. Dieses Faktum, bekannt als demografischer Wandel, ist eine Herausforderung für Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Es wird versucht, bezahlbare Lösungen zu entwickeln und umzusetzen, die es älteren Menschen möglichst lange erlauben, ein unabhängiges und eigenverantwortliches Leben zu führen. Unter "ambient-assisted living" (AAL) werden ebensolche Konzepte, Produkte und Dienstleistungen verstanden, die neue Technologien und soziales Umfeld miteinander verbinden und verbessern – mit dem Ziel, die Lebensqualität für Menschen in allen Lebensabschnitten zu erhöhen. Übersetzen könnte man AAL am besten mit "Altersgerechte Assistenzsysteme für ein gesundes und unabhängiges Leben". Damit wird auch schon skizziert, dass AAL vor allem etwas mit dem Individuum in seiner direkten Umwelt zu tun hat. (max)