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Nicht nur in den USA werden viel mehr Absolventen mit Doktorhüten und -titeln produziert, als der Uni-Jobmarkt aufnehmen kann. Was aber passiert mit dem Rest?

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International ist die Diskussion freilich schon wieder weiter: Auch das Ph.-D.-System gehört reformiert.

Was die Titel anbetrifft, war Österreich immer schon ein bisschen anders. Wohl auch als Kompensation dafür, dass 1919 sämtlicher Adelsprädikate abgeschafft wurden, legte man umso mehr Wert auf den akademischen Grad. Das fiel auch dem Revolutionär Leo Trotzki auf, der sich darüber lustig machte, dass die austromarxistischen Vordenker von Arbeitern mit "Genosse Herr Doktor" angeredet wurden.

Mittlerweile kommt zwar die Spitze der Sozialdemokratie ohne akademischen Titel aus. Dafür wollen in Österreich umso mehr Menschen promovieren – viel mehr jedenfalls, als einem Land dieser geringen Größe und bescheidenen Akademikerquote entsprechen würde. Im Wintersemester 2009/10 gab es rund 30.000 Doktoratsstudierende. Allein an der Uni Wien sind es fast 10.000 Promotionsanwärter.

Das sind im Übrigen mehr als in ganz Dänemark und kommt schon fast an die Zahl der gesamten Niederlande heran. Wie viele österreichische Doctores in spe davon tatsächlich aktiv an ihrer Dissertation arbeiten, kann allerdings nur geschätzt werden. Der Hochschulforscher David Campbell von der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung geht von 7000 bis 8000 "hauptberuflichen" Dissertanten aus.

Kein Namensbestandteil

Warum in Österreich gar so viele mehr oder weniger junge Menschen einen Doktorgrad erwerben wollen, liegt zum einen an der notorischen Titelsucht – auch wenn der Dr. übrigens hierzulande kein Namensbestandteil ist. Zum anderen gibt es absurderweise an Österreichs Unis auch bei der Zulassung zu einem Promotionsstudium keine Beschränkungen.

Dazu kommt aber auch noch, dass man zwar beim Bachelor und Master die sogenannte Bologna-Architektur mittlerweile flächendeckend durchgesetzt hat. Bei den Dissertationen allerdings gibt es immer noch eine Zweiteilung zwischen dem längst überholten "Doktorat neu" und dem Ph. D. (kurz für Philosophiae Doctor oder "Forschungsdoktorat"), der eigentlich nach dem Bachelor und Master folgen müsste – und ein zumindest dreijähriges Dissertationsstudium verlangt.

In Österreich dürften nach Schätzungen nur rund zehn bis 20 Prozent ein solches "professionelles" Forschungsdoktorat machen, das in vielen Fächern noch gar nicht angeboten wird. Entsprechend dürftig ist die Qualität vieler Dissertationen, was nicht allein an der oft katastrophalen Betreuungssituation liegt. Über welche Themen sollten zum Beispiel 2600 juristische Doctores in spe, die allein an der Uni Wien inskribiert sind, wissenschaftlich relevante Dissertationen schreiben?

Ähnlich gering wie der Anteil der Forschungsdoktoranden ist der Anteil jener, die im Rahmen von FWF-Förderprojekten oder in Doktoratskollegs dissertieren und dafür auch Geld bekommen – 14-mal jährlich 1600 Euro. Doch immerhin wächst der Anteil solcher international konkurrenzfähiger Ph.-D.-Programme.

Das Problem ist nur, dass man zumindest mit der Reformdiskussion international schon wieder einen Schritt weiter ist. Obwohl etwa in den USA, wo der Ph. D. in seiner heutigen Form "erfunden" wurde und wo man aufgrund strengerer Zulassungskriterien im Vergleich zu Österreich weniger Promovierende hat, infrage gestellt wird, ob es so viele Absolventen mit einem Ph. D. nach dem Namen braucht.

Schuld daran ist die wachsende Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage: Zwischen 2005 und 2009 produzierten die US-Universitäten weit mehr als 100.000 Absolventen mit einem Ph. D., der zumindest bisher gleichbedeutend mit dem Einstieg in eine Uni-Karriere war. In diesen fünf Jahren wurden aber nur 16.000 dauerhafte Uni-Anstellungen frei.

Noch drastischer mutet die Situation in Großbritannien an, wo man ebenfalls eine lange Tradition der Ph.-D.-Ausbildung hat. Dort kam eine Untersuchung der Royal Society zum Schluss, dass in den Natur- und Ingenieurwissenschaften sowie in der Medizin gerade einmal einer von 200 Ph.-D.-Absolventen später einmal ein Ordinariat innehaben wird.

Eine Studie im Journal of Higher Education Policy and Management wiederum zeigte, dass in vielen Fächern Master-Absolventen im späteren Beruf genauso viel verdienen wie solche mit einem Ph. D. Mit solchen und ähnlichen Untersuchungen begründete das britische Wirtschaftsmagazin Economist in seiner letztjährigen Weihnachtsausgabe, warum der Erwerb eines Doktortitels oftmals "bloße Zeitverschwendung" sei.

Soll man sich trotzdem auf die im Normalfall mindestens dreijährige Ausbildung einlassen – und sich einfach damit abfinden, als Doktor-Titel-Träger im späteren Beruf wahrscheinlich überqualifiziert zu sein, was hierzulande jetzt schon für ein Drittel der Doctores gilt?

Reformieren oder abdrehen

Mark Taylor, Professor an der Columbia University in New York, hat einen anderen Vorschlag: In seinem Buch Crisis on Campus: A Bold Plan for Reforming Our Colleges and Universities (2010) und einem Kommentar in "Nature" forderte er, das Ph.-D.-System selbst radikal zu überdenken – also jenes System, das man in Österreich erst rudimentär umgesetzt hat.

Angesichts des schrumpfenden Uni-Arbeitsmarkts sei die Ausbildung zu sehr nach akademischen Gesichtspunkten organisiert. Nötig sei eine fächerübergreifende Ausrichtung an praktischen Problemen. Ph.-D.-Programme, die vor allem der Eitelkeit der Professoren dienen oder ihnen billige Arbeitskräfte für die Forschung liefern, sollten einfach abgedreht werden. (Klaus Taschwer/DER STANDARD, Printausgabe, 29.06.2011)